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Es wurde auch „Little Berlin“ genannt

Mödlareuth – das deutsche Dorf, das in zwei Bundesländern liegt

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Mitten durch das Dorf Mödlareuth verlief 23 Jahre die deutsch-deutsche Grenze . Die Mauer trennte den Ort. Foto: dpa Picture Alliance
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TRAVELBOOK Redaktion

06.04.2021, 06:08 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten

Zu Zeiten der Mauer nannte man es auch „Little Berlin“: das Dorf Mödlareuth, das lange Zeit mitten in der Hälfte geteilt war. Noch heute gehört es zu unterschiedlichen Bundesländern. Und auch an anderen Orten Deutschlands „steht“ die Mauer noch…

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An der Landesgrenze zwischen Bayern und Thüringen liegt ein ganz besonderes Dorf: Es hat zwei Bürgermeister, zwei Postleitzahlen, die Autos dort haben unterschiedliche Fahrzeugkennzeichen. Bei insgesamt nur etwa 50 Einwohnern kann es passieren, dass man in einem Moment mit „Grüß Gott“ angesprochen wird, im anderen mit „Guten Tag“. Denn mitten durch Mödlareuth verläuft eine Grenze. Der eine Teil des Dorfes gehört zum Freistaat Bayern, der andere zu Thüringen. Heute ist diese Grenze unsichtbar, man kann ganz unbefangen durch den Ort spazieren – doch das war nicht immer so.

Es ist das Jahr 1810, als das Königreich Bayern und das Fürstentum Reuß Ländereien untereinander aufteilen, zu denen auch das kleine Dorf Mödlareuth gehört, wie auf der offiziellen Seite des Ortes nachzulesen ist. Fortan wird der Tannbach, der durch das Dorf verläuft, als Landesgrenze festgelegt. Somit ist Mödlareuth ab sofort offiziell geteilt, ohne dass das jedoch zunächst große Auswirkungen hat. In die Gastwirtschaft und in die Schule geht man weiterhin gemeinsam in den heute thüringischen Teil, zum Gottesdienst ziehen alle Bewohner ins bayrische Töpen.

Ein Dorf wird getrennt

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Pioniere der sowjetischen Volksarmee begannen 1966 mit der Errichtung einer Sperrmauer in der geteilten Ortschaft Mödlareuth.

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges geht ein Teil von Mödlareuth dann an den neu gegründeten Freistaat Bayern, die andere Hälfte fällt Thüringen zu. Dabei behält man den alten Grenzverlauf zu Verwaltungszwecken weiter bei. Die dramatischen Folgen dieser Entscheidung zeigen sich knapp drei Jahrzehnte später. Denn nachdem auch der Zweite Weltkrieg vorbei ist, marschiert am 7. Juli 1945 die sowjetische Armee in Mödlareuth ein und erklärt den Ort komplett zur Besatzungszone. Obwohl ihn die Amerikaner erst kurz zuvor im April 1945 befreit hatten.

Gut ein Jahr später vereinnahmen die Amerikaner wieder den Westteil des Dorfes, die Sowjets ziehen sich hinter den Tannbach zurück. Mit der Gründung der beiden deutschen Staaten im Jahr 1949 gehört nun ein Teil von Mödlareuth zur BRD, während der andere an die DDR fällt. Das Dorf wird im aufkeimenden Kalten Krieg zum Spielball zweier verfeindeter Großmächte. Denn um die Besitzansprüche ganz klar abzustecken, wird Mödlareuth schon ab 1952 durch einen übermannshohen Grenzzaun getrennt.

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„Little Berlin”

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Auch nach dem Fall war der Berliner Mauer war die Grenze in Mödlareuth noch mehr als ein halbes Jahr lang nicht wirklich offen Foto: dpa Picture Alliance

Der Zaun wird in den Folgejahren immer weiter ausgebaut. 1966, fünf Jahre nach dem Berliner Mauerbau, wird auch in Mödlareuth über 700 Meter eine 3,30 Meter hohe Mauer aus Beton gezogen. Konnten sich getrennte Familien vorher noch über den Zaun hinweg verständigen und Nachrichten austauschen, so will das DDR-Regime sie jetzt endgültig voneinander abschotten, um zersetzenden Einflüssen durch den „Klassenfeind“ (also westlichen Einflüssen, die Redaktion) vorzubeugen. Bald schon bezeichnet man Mödlareuth auch als „Little Berlin”.

Die Autorin Pia Volk beschreibt in ihrem Buch „Deutschlands schrägste Orte. Ein Fremdenführer für Einheimische” das Leben in dem getrennten Dorf. So war es trotz Mauer aufgrund der hügeligen Landschaft teilweise möglich, sich über die Grenze hinweg zu sehen und Nachrichten zu „kommunizieren – zu diesem Zweck schwenkte man Tücher. Ein weißes Tuch bedeutete, dass alles in Ordnung war. Ein rotes Tuch war das Symbol dafür, dass man Kontakt miteinander aufnehmen wollte, weil etwas nicht stimmte. Und das war durchaus kompliziert, denn im östlichen Teil von Mödlareuth gab es nur ein einziges Telefon im örtlichen Postamt.

Auch nach dem Mauerfall noch keine Freiheit

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Besucher laufen im ehemaligen „Todesstreifen“ an der früheren innerdeutschen Grenze herum – Mödlareuth ist heute ein kleines Touristen-Highlight in Thüringen Foto: dpa Picture Alliance

Zwar ist es demnach auch in dieser Zeit theoretisch möglich, die Grenze in beide Richtungen zumindest für einen kurzen Zeitraum zu überqueren. Jedoch machen behördliche bürokratische Auflagen das Prozedere so kompliziert, dass es kaum Jemand wagt. Der Umstand aber, dass man an vielen Stellen über die Mödlareuther Mauer schauen kann, lässt auch hier „Grenztourismus“ aufkommen. Denn viele Bürger aus dem Westen möchten sehen, wie es denn im Ostteil des Landes zugeht. Besonders schlimm ist es demnach im Jahr 1988, als für etwa drei Wochen Teile der Mauer zeitweise entfernt werden, um eine Überschwemmung durch den Tannbach abzumildern.

Und auch als schließlich am 9. November 1989 die Berliner Mauer endlich fällt, ist das Martyrium der Mödlareuther keinesfalls vorbei. Sie müssen sich noch genau einen Monat gedulden, bis auch hier der Grenzübergang endlich öffnet. Zunächst jedoch nur von 8 bis 22 Uhr. Zudem braucht man weiterhin persönliche Dokumente zur „Einreise“, die mit einem Visumsstempel versehen werden. Erst am 17. Juni 1990 reißt ein Bagger auch in Mödlareuth endlich die trennende Mauer nieder. Das Dorf ist wieder vereint. Heute erinnert das „Deutsch-Deutsche Museum Mödlareuth“, für das etwa 100 Meter der alten Grenzanlage erhalten wurden, an dieses dunkle Kapitel. Der Ort ist heute zwar immer noch offiziell getrennt – aber längst wieder im Guten.

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Wo die Grenze noch steht

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Der ehemalige Todesstreifen, zu besichtigen im Grenzmuseum Schifflersgrund an der einstigen innerdeutschen Grenze in Thüringen Foto: dpa Picture Alliance

Wer hingegen einen noch „authentischeren” Einblick haben möchte, wie die Grenze einst über mehr als 1300 Kilometer Deutschland trennte, kann das „Grenzmuseum Schifflersgrund“ in Thüringen besuchen. Hier sind immer noch etwa 1000 Meter der alten Zaun-Anlage sowie ein Wachturm im „ursprünglichen Zustand“ erhalten, wie Pia Volk schreibt. Auch eine der grausamen Selbstschussanlagen, die damals Republikfluchten verhindern sollten, kann man hier sehen.

Auch diesem Grenzabschnitt liegt eine skurrile Geschichte zugrunde, denn ursprünglich war er gar keiner. Eigentlich lag das Gelände Schifflersgrund in Hessen – jedoch kam es hier durch einen Vertrag zu einem Gebietstausch zwischen Amerikanern und Sowjets. Dadurch wurde die Gegend und fünf umliegende Dörfer plötzlich zu Thüringen gezählt wurde, bzw. werden es bis heute. Zwei thüringische Dörfer dagegen wurden hessisch, und die insgesamt knapp 1000 Einwohner der Ortschaften mussten einfach ungefragt mit wechseln.

Noch aus einem anderen Grund könnte der Ort besonders gewesen sein. Es gibt die Mutmaßung, dass hier durch ein Metalltor im Zaun Spione des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit in den Westen entkamen. Über ganz Deutschland verteilt soll es bis zu 540 dieser geheimen Übergänge gegeben haben. Dass es dieses einzigartige Zeitzeugnis heute noch gibt, ist dem Arbeitskreis Grenzinformation e.V zu verdanken, einem Zusammenschluss von Bürgern, die sich bis heute um seinen Erhalt kümmern. So konnte das Grenzmuseum bereits am 3. Oktober 1991 eröffnen, und ist damit eines der ältesten seiner Art in ganz Deutschland.

Themen Bayern Deutschland
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