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Bis zu 1000 Jahre alte Gänge

Oppenheim – die deutsche Stadt, die komplett unterkellert ist

Unter der Stadt Oppenheim verläuft ein bis zu 40 Kilometer langes System aus Kellern und Tunneln – dabei sind wohl noch längst nicht alle von ihnen erschlossen
Unter der Stadt Oppenheim verläuft ein bis zu 40 Kilometer langes System aus Kellern und Tunneln – dabei sind wohl noch längst nicht alle von ihnen erschlossen Foto: dpa picture Alliance
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TRAVELBOOK Redaktion

08.04.2021, 06:17 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten

Unter den Straßen der Stadt Oppenheim liegt ein bis zu 1000 Jahre altes, kilometerlanges System aus Kellern. Wiederentdeckt wurden sie nur durch einen skurrilen Unfall. TRAVELBOOK erzählt die irre Geschichte.

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Als im November 1986 eine besorgte Einwohnerin der Stadt Oppenheim die Polizei rief, kam ein Geheimnis wieder ans Tageslicht, das bis dahin jahrhundertelang vergessen unter den Straßen der Stadt geschlummert hatte. Die Frau meldete sich bei den Beamten, weil sie in ihrem Haus merkwürdige Geräusche hörte, die sie Einbrechern zuschrieb. Doch als zwei Polizisten anrückten, brauchten diese schon bald selbst Hilfe – denn ihr Wagen sank in der plötzlich nachgebenden Straße ein. An diesem Tag wurden die Oppenheimer Keller wiederentdeckt.

Oppenheim, eine kleine Stadt in Rheinland-Pfalz, 7000 Einwohner – auf den ersten Blick ein Ort wie jeder andere. Und doch wohl weltweit einzigartig: Unter seinen Häusern und Straßen verläuft ein bis zu 1000 Jahre altes, miteinander verbundenes System aus Kellern, wie die Autorin Pia Volk in ihrem Buch „Deutschlands schrägste Orte. Ein Fremdenführer für Einheimische” erklärt. Insgesamt weiß man heute von 40 Kilometern aus Tunneln und Kellern, doch längst sind wohl noch nicht alle von ihnen bekannt.

Oppenheim
Unter der Stadt Oppenheim verläuft ein bis zu 40 Kilometer langes System aus Kellern und Tunneln – dabei sind wohl noch längst nicht alle von ihnen erschlossen Foto: dpa Picture Alliance

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Oppenheimer Keller – Versteck für wertvolle Waren

Demnach wird Oppenheim im Jahr 765 das erste Mal urkundlich erwähnt, 1008 beginnt ihr Aufstieg zu einer reichen Handelsstadt, als sie das Markrecht erhält. Der Ort liegt sehr günstig an gleich zwei wichtigen internationalen Handelsstraßen, den Routen zwischen Basel und Köln bzw. Paris und Prag. In der Folge werden in Oppenheim immer mehr wertvolle Güter gelagert, für die oberirdisch bald kein Platz mehr ist. Die Geburtsstunde der heute weltberühmten Keller.

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Denn der Boden unter der Stadt besteht aus weichem Löss, der leicht zu bearbeiten ist. So beginnen die Händler, ohne jeglichen Plan, sich unter ihren Häusern Keller als Lagerräume zu bauen – und auch als Verstecke für sich selbst und ihre Waren, denn der Reichtum zieht viele Neider an. So gibt es in jedem Haus versteckte Falltüren, die ein Unwissender nicht bemerken würde, und über die man in die Keller gelangt. Da jeder einfach wild drauflos buddelt, sind viele von ihnen schon bald über Gänge miteinander verbunden. Ein weit verzweigtes Labyrinth entsteht.

Zeitweise leben Menschen in den Kellern

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Teilweise sind die Oppenheimer Keller noch so erhalten, wie sie einst verlassen wurden – nicht wenige wurden als Müllkippen missbraucht Foto: dpa Picture Alliance

Offiziell weiß jedoch niemand von den Kellern, ihre Existenz wird aufgrund einer Art Ehrenkodex besonders vor Außenstehenden streng geheimgehalten. Vermutlich konnte man so auch viele Reichtümer verheimlichen, denn bis zum Jahr 1225 musste Oppenheim Abgaben an gleich zwei Bistümer abführen. Man wollte wohl nicht allzu viele Begehrlichkeiten wecken. Nach der Wiederentdeckung der Keller wurde bekannt, dass die Oppenheimer Bürger zumindest zeitweise auch hier gelebt haben, denn man fand sowohl Alltagsgegenstände als auch Brunnen und Feuerstellen.

Dass die (Vor)Sorge der Oppenheimer um ihre Existenzgrundlage durchaus berechtigt ist, zeigt sich im Jahr 1689. Der französische König Ludwig XIV. lässt im Zuge der pfälzischen Erbfolgekriege die Stadt komplett niederbrennen. Während des Wiederaufbaus bewohnen die Menschen das Keller-Labyrinth, graben sogar noch weitere Stollen, manche mehrere Stockwerke tief. Die Gänge und auch die Keller wurden dabei vorsorglich mit Stein verstärkt, denn der Lössboden ist sehr witterungsanfällig. Vermutlich gäbe es ohne diese Vorsichtsmaßnahme die Oppenheimer Keller in dieser Form heute gar nicht mehr, viele wären längst eingestürzt.

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Heute finden hier Führungen statt

Oppenheim
Im Kellerlabyrinth finden heute Führungen statt, die sich großer Beliebtheit erfreuen Foto: dpa Picture Alliance

Nachdem Oppenheim wieder aufgebaut ist, geraten viele der Keller jedoch langsam in Vergessenheit. Manche werden nun nicht mehr als Lagerraum für Handelswaren, sondern als Müllkippe benutzt. Und so dauert es bis zu dem Tag im November 1986, dass die Stadt unter der Stadt wiederentdeckt und weitgehend erschlossen wird. Ab 1989 werden die Keller aufwendig renoviert, es wird Strom und sogar ein Alarmsystem verlegt. Heute gibt es ein etwa 500 Meter langes Teilstück, in dem seit 2003 touristische Führungen auf zwei unterschiedlichen Routen angeboten werden. Laut der Seite „Kellerlabyrinth Oppenheim” kommen mehrere zehntausend Besucher jedes Jahr. Zu normalen Zeiten werden hier auch unterirdische Dinner und Halloween-Partys angeboten.

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Die Stadt Oppenheim selbst liegt in der Rhein-Main-Region zwischen den beiden Städten Mainz und Frankfurt am Main. Zu sehen gibt es hier laut der offiziellen Seite der Stadt neben den Kellern unter anderem auch noch das Deutsche Weinbaumuseum sowie die historische Altstadt mit ihren Fachwerkhäusern. In den Weinbergen rund um die Stadt kann man sehr schön wandern, in der Nähe verläuft mit dem Rheintalradweg eine beliebte Fahrradstrecke. Und auch nach Hessen ist es nicht weit, wo mit der Insel Kühkopf das größte Naturschutzgebiet des Bundeslandes liegt.

Themen: Deutschland
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