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Hinter den Kulissen der Traumschiffe

Ex-Flusskreuzfahrt-Leiter über zu enge Pyjamas, Sex und fehlende Zahnprothesen

Flusskreuzfahrt
Trügerische Idylle: Ein Insider packt über Flusskreuzfahrten aus (Symbolbild) Foto: dpa picture alliance
Susanne Resch

03.03.2022, 14:34 Uhr | Lesezeit: 11 Minuten

„Hinter den Kulissen der Traumschiffe“: Mit unserer TRAVELBOOK-Serie geben wir Einblicke in die Welt der Crew von Kreuzfahrtschiffen. Im fünften Teil unserer Serie gehen wir nicht wie bisher an Bord eines Giganten, sondern blicken hinter die Kulissen von Flusskreuzfahrt-Schiffen, die ein Insider die „vermeintlich netteren Schiffe“ nennt.

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Paul (Name von der Redaktion geändert) lebt in einer Kleinstadt in Oberbayern und war jahrelang Kreuzfahrtleiter auf mehreren Flusskreuzfahrt-Schiffen. Nach seiner Ausbildung zum Kaufmann arbeitete er zunächst mehrere Jahre in der Finanzbranche – doch das war ihm zu langweilig. Nach einer Trennung wollte Paul auf zu neuen Ufern. Er arbeitete als Barkeeper in einem Kulturhaus, als Rezeptionist in einem Hotel und schließlich auf verschiedenen Flusskreuzfahrt-Schiffen. Eigentlich wollte er an Bord der großen Kreuzfahrtschiffe, doch die Anforderungen der Reedereien waren ihm zu aufwendig. Auf den „kleineren Kreuzern“ arbeitete er sich vom Assistenten zum Kreuzfahrtleiter hoch – eine Zeit, die er auf keinen Fall missen möchte.

Warum und was ihm „in den Mühlen des Kreuzfahrt-Tourismus“ eher weniger gefallen hat, verrät Paul exklusiv im TRAVELBOOK-Interview.

TRAVELBOOK: Was hat Sie an der Arbeit auf Flusskreuzfahrt-Schiffen gereizt beziehungsweise später fasziniert?
Paul: „Meine etwas naive Vorstellung, bevor ich anfing auf einem Schiff zu arbeiten, war geprägt von der TV-Serie ,Das Traumschiff‘. Ich dachte wirklich, dass es so auf einem Schiff zugeht. Auch eine Karibik-Reise auf einem amerikanischen Kreuzer mit 2000 Personen an Bord hat mir noch nicht die Augen geöffnet. Ich dachte, das ist ,Arbeiten, wo andere Urlaub machen‘. Als ich dann schließlich an Bord war, war der Reiz ganz klar: Ich bin alleine für meinen Job verantwortlich und habe keinen Boss – ich kann fast alles machen, was ich will und verdiene dabei ziemlich gutes (Trink-)Geld.“

Was genau war Ihre Position und was waren Ihre Aufgabenbereiche?
„Auf dem Fluss sind die Positionen etwas anders ,geartet‘ als auf einem Hochseeschiff. Es gibt generell weniger Gäste und dementsprechend auch weniger Personal. Ich arbeitete als Kreuzfahrtleiter – neuerdings heißt das Cruise Director. Das ist eine Mischung aus Kreuzfahrtdirektor, Reiseleiter, Shore Excursion Manager und Entertainer. Ich war also Vertreter der Reederei an Bord sowie als Reiseleiter verantwortlich für alles, was mit der Reise zu tun hat – von der Anreise, der Zeit auf dem Schiff bis zur Rückreise. Ich habe über Ausflüge informiert, diese gestaltet und begleitet sowie auf dem Schiff die Streckendurchsagen gemacht. Bei uns gab es weniger die Durchsagen ,Delfine, Schiff voraus!‘, sondern eher ,Linker Hand sehen Sie eine Kirche (mal wieder)‘.

Das Entertainment auf einem Flusskreuzfahrt-Schiff ist zwar eher übersichtlich, dennoch müssen die Gäste bespaßt werden. Ob Bingo, Sprachkurse, Vorträge über das Leben an Bord, Showcooking mit den Offizieren oder ätzende Sonnendeckpartys – ich war an erster Stelle dabei, mit und ohne Mikrofon, und mochte es nicht wirklich. Letztlich war ich zusammen mit dem Hoteldirektor und Kapitän auch derjenige, der sich die Beschwerden angehört und bearbeitet hat.“

Was waren die positiven Seiten an der Arbeit auf einem Flusskreuzfahrt-Schiff?
„Die Kollegen! Man lernt die Menschen auf so beengtem Raum intensiv kennen. Auch die Bezahlung war gut und es gab auch wirklich sehr nette Gäste. Dass eine Saison ,nur‘ sieben bis acht Monate hat, habe ich auch geschätzt. Es gibt wirklich viele positive Seiten in dem Job und in der Branche. Es ist aber nicht jedermanns Sache: Der Job ist hart, macht aber auch süchtig.“

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Was waren die skurrilsten Momente, die Sie auf einer Flusskreuzfahrt erlebt haben?
Mein Gott, skurril und witzig war so ziemlich alles auf dem Schiff. Ich bin oft mit ,älteren Semestern‘ gefahren und natürlich gab es auch Grenzüberfahrten mit Passkontrollen mitten in der Nacht. Sie können sich nicht vorstellen, was ich für Nachtwäsche gesehen habe – Nachthemden, Lockenwickler oder zu enge Herren-Pyjamas. Oder etwa fehlende Zahnprothesen und erregte Geschlechtsteile.

Dazu kommt, dass viele Gäste an der Rezeption das Gehirn abgeben – ich nehme mich in meinem Urlaub davon nicht aus. Ich ,trainierte‘ meine Gäste ab dem ersten Tag, dass Sie zuhören, wenn ich etwas sage. Zum Beispiel sagte ich vor jedem Ausflug: ,Die Busse eins bis fünf stehen am Hafen linker Hand, Gäste aus dem Kabinenbereich xyz steigen bitte in den Bus Nummer soundso.‘ Ab und zu kam etwas dazwischen und diesen Aufruf machte dann zum Beispiel die Rezeption oder ein Praktikant. Sie können sich das Desaster nicht vorstellen, wenn der Sprecher das ,links‘ vergessen hat: 200 Gäste bleiben plötzlich stehen, keiner sagt etwas, keiner bewegt sich ­– wie Roboter. Ganz einfach, weil ja niemand gesagt hat, dass sie linksrum gehen sollen.“

Gab es auch peinliche Momente?
„Peinlich fand ich es, meine Gäste gegenüber anderen Reiseleitern anderer Länder erklären zu müssen. Zum Beispiel waren viele Reiseleiter aus der Ukraine überzeugt davon, dass alle Deutschen ständig pupsen. Eigentlich war das aber recht einfach zu erklären: Es gab immer an dem Tag des Ukraine-Ausflugs Knoblauchcremesuppe zum Mittagessen – fragen Sie mich bitte nicht, warum. Die meisten Gäste haben es wohl aufgrund des engen Zeitplans zwischen Mittagessen und Ausflugsbeginn nicht mehr geschafft, die Kabinentoilette aufzusuchen und zollten daher der leckeren Suppe mit Darmgeräuschen im Bus ihre Anerkennung.“

Damit die Passagiere sich um fast nichts kümmern müssen, wird der Crew einiges abverlangt. Wie waren die Bedingungen auf einem Flusskreuzfahrt-Schiff und wie haben Sie die Arbeit empfunden?
„Ich war oft hin- und hergerissen: Einerseits habe ich den Job ab Mitte der Saison täglich verflucht. Uhrenumstellung, tägliche Aufgaben, unerwartete Situationen und nächtliche ,Notfälle‘. Ich war einfach nur müde! Die Mannschaftskabinen sind außerdem wirklich sehr klein, meistens sind zwei Personen in einer Kabine. Es gibt fast keine Privatsphäre. Man kann sich auf einer Flusskreuzfahrt nicht wirklich aus dem Weg gehen, ist nie alleine – das ist hart. Bei Abteilungsleitern, Offizieren, Kapitänen und auch bei mir sah es ein bisschen anders aus: Ich hatte ein Einzelzimmer – das war Luxus. Dafür hat aber ein Kellner wirklich Feierabend, wenn er Feierabend hat. Wenn nachts um 03:00 Uhr Randale auf dem Schiff war, wurden Hoteldirektor, der Kapitän und ich gerufen. Egal, ob ich erst um 01:00 Uhr ins Bett bin oder um 06:00 Uhr wieder aufstehen musste.

Man vermisst Freunde und Familie, träumt von der Badewanne zu Hause und davon, auf dem Sofa um 20.15 Uhr irgendeinen blöden Film anzuschauen. Das geht aber nicht: So ist man einsam, traurig und fühlt sich alleine. Andererseits hat man ständig irgendjemanden um sich herum: Man streitet, liebt, arbeitet, ist zusammen krank und zusammen gesund. Und: Ich hatte mehr als nur einmal die Gelegenheit aufzuhören und einen Nine-to-Five-Job zu machen.“

Zeitdruck, Enge, anstrengende Passagiere – da gibt es bestimmt auch mal brenzlige Situationen.
„Der Zeitdruck wegen der Passagiere hat mich zu Anfang sehr belastet, im Laufe der Jahre bin ich aber ziemlich schmerzfrei geworden. War ein Gast zur Einschiffung nicht da und wir wussten nichts, wartete ich 30 Minuten, dann fuhr das Schiff. Kam jemand vom Ausflug nicht zurück, wartete ich eine Stunde, dann ging es weiter. Schwierig waren Verspätungen des Schiffs (Schleusensperrungen, Unfälle, Strömungen, Maschinenausfälle, Treibgut etc.). Gäste hatten keinerlei Verständnis dafür und pochten auf Rechte, die nicht umsetzbar waren: Wenn ich aus welchen Gründen auch immer 12 Stunden Verspätung habe, dann fällt ein Hafen aus. Anders geht das nicht.

Bei Verspätungen und auch überhöhten Erwartungen an die Kabine kommt es sehr oft zu lautstarken Reklamationen, Beleidigungen und auch Drohungen. Ich habe vieles davon nicht verstanden ­– letztlich zermürben einen solche Situationen. Was viele Gäste nicht glauben, ist, dass wir den Job wirklich gerne machen und dass viele Mitarbeiter versuchen, den Gästen einen schönen Aufenthalt zu ermöglichen. Wenn etwas nicht geht, dann liegt das meistens an Umständen, die nicht zu ändern sind. Diese unterschwelligen Unterstellungen, dass es etwas ,Persönliches‘ sei, haben mich zum Teil wirklich verletzt, trotz aller Professionalität.“

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Hatten Sie Ihren Job auch mal so richtig satt?
„Stellen Sie sich eine Reise vor, bei der alles schiefgeht, was nur schiefgehen kann. Sie haben schlechtes Wetter, das Schiff hat einen Maschinenschaden, sie können nicht alle Häfen anfahren, von fünf Ausflügen waren drei schlecht, warum auch immer. Das Essen hat der Mehrzahl der Gäste nicht geschmeckt, die Betten waren zu hart oder zu weich, das Zimmermädchen hat nicht ordentlich genug Staub gewischt, der Pool war zu kalt und zu warm und ich trug jeden Tag denselben Anzug (meine Lieblings-Beschwerde). Schön wäre es, bei solch einer Reise trotzdem eine Anerkennung für seine Arbeit zu bekommen. Ja, Trinkgeld wäre super, aber ein nettes Wort täte es auch schon. Bei genau diesen Reisen wurde man aber bis zur Gangway noch beschimpft. Da fragte ich mich tatsächlich: ,Warum tu ich mir das eigentlich an?’“

Es herrscht ja oft auch das Traumschiff-Bild von Kreuzfahrten. Wie viel hat das bei einer Flusskreuzfahrt mit der Realität zu tun?
„Die Nebengeschichten der TV-Serie sind sehr realitätsnah. Oft genug gibt es Familiendramen oder Liebeleien zwischen den Crew-Mitgliedern. In den alten Folgen des Traumschiffs waren überwiegend ältere, betuchtere Herrschaften an Bord – bis etwa 2012/2013 war das auch noch der Fall, mittlerweile ist das eher nicht mehr so. Die Kabinen werden immer sehr groß dargestellt, sowohl im TV als auch in den Prospekten. ,Balkon‘ auf einem Flussschiff bedeutet aber meistens ein Geländer vor einer Balkontüre, die man komplett öffnen kann – also keinen richtigen Balkon zum Rausgehen oder Liegen. Und die Zeit, die Crew-Mitglieder in der Serie mit den Gästen verbringen können, hat kaum jemand – und wenn er oder sie diese hätte, würde er oder sie die Zeit wahrscheinlich nicht mit den Gästen verbringen.“

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Crew-Mitglieder anderer Reedereien haben uns von Exzessen innerhalb der Crew und von Doppelleben der Mitarbeiter berichtet. Haben Sie ähnliche Erfahrungen gemacht?
„Na klar! Was soll ich dazu jetzt sagen? Es gibt Menschen, die hatten innerhalb von 14 Tagen die komplette Crew des anderen oder gleichen Geschlechts ,durch‘ – und möglicherweise noch ein paar Gäste dazu. Obwohl sie beim Dienst vorbildliche, freundliche, zuvorkommende, ,kein-Wässerchen-trübende‘ Mitarbeiter waren, gab es auch richtige Alkoholiker an Bord, denen man zwei Promille nicht angemerkt hat. Und natürlich gab es auch genügend Personal, das den Gästen erzählt hat, dass sie zu Hause in einer Holzbaracke mit 100 Euro im Monat leben müssen und zehn Kinder zu ernähren haben. Es gibt alles an Bord! Aber: Was an Bord passiert, bleibt an Bord.“

Kreuzfahrten geraten ja immer wieder in die Kritik – sei es wegen der Arbeitsbedingungen, der schlechten Ökobilanz oder wegen eines Massentourismus. Wie ist das bei Flusskreuzfahrten und gibt es etwas, dass sich Ihrer Meinung nach bei Flusskreuzfahrten und bei Kreuzfahrten mit den Giganten ändern müsste?
„Mir ist klar, dass die Verantwortlichen die Köpfe schütteln über das, was ich jetzt sage, aber für mich ist das die einzig denkbare Lösung: Insgesamt sollte sich der Kreuzfahrt-Tourismus vom Massenmarkt zurückziehen und eher auf qualitativ hochwertige und auch hochpreisige Reisen setzen. Dann würden wieder weniger Schiffe kreuzen, weniger Menschen mit Bussen durch enge Touristenorte gefahren werden und weniger Menschen Sehenswürdigkeiten (Weltkulturerben z. B.) kaputt trampeln. Gerade bei den Flussfahrten kann man richtig zuschauen, wie die Landschaft aufgrund des gesteigerten Schifffahrtsverkehrs vor die Hunde geht! Wenn man zehn Jahre dieselbe Strecke fährt, fällt einem das einfach auf.

Höherpreisigere und hochwertigere Kreuz- oder Flussfahrten könnten weniger Gäste und weniger Schiffe bedeuten. Das käme der Umwelt zugute und man könnte (!) auch dem ,einfachen Arbeiter‘ einen Verdienst bezahlen, der würdig ist. Spüler etwa gehört zu einem der schlechtbezahltesten Jobs auf dem Schiff, aber auch zu einem der anstrengendsten.“

Darf man eine (Fluss-)Kreuzfahrt buchen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben?
„Man muss kein schlechtes Gewissen haben. Man sollte sich darüber im Klaren sein, was man unterstützt. Das betrifft generell den Tourismus, nicht nur den auf dem Schiff.“

Würden Sie noch einmal auf einem Flusskreuzfahrt-Schiff arbeiten?
„Ich bin gesundheitsbedingt vor knapp drei Jahren ausgestiegen. Eigentlich dachte ich immer, wenn es ginge, würde ich es nochmal machen. Heute denke ich allerdings, das sollen die 25-Jährigen machen – ich möchte mir das in meinem Alter nicht mehr antun.“

Zum Schluss bitte ich Sie, folgenden Satz aus dem Bauch heraus zu vervollständigen:
Eine Kreuzfahrt für mich ist

„… ein Teil meiner Vergangenheit und ist in der Gegenwart ein Urlaubsplan für die Zukunft.“

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