Matt Lambros fängt den Zauber einer Epoche ein, in der amerikanische Kinos keine austauschbaren Date-Locations waren, sondern wie Paläste aussahen. „Game of Thrones“-Schöpfer George R. R. Martin ist einer seiner größten Fans und hat die Arbeiten des Fotografen schon persönlich ausgestellt. TRAVELBOOK hat ihn interviewt und zeigt seine schönsten Bilder.
Pseudo-klassizistische Statuen ragen schräg, aber stolz hinter den Trümmern eines einst kostbaren Fußbodens hervor. Zwischen brüchigen, korinthischen Säulen und arg mitgenommenen Brokattapeten stapeln sich Aktenordner und Müllsäcke. Einst waren diese maroden Prachtbauten Kinos. Doch Amerika hat sie vergessen und lässt sie verfallen.
Die Vergänglichkeit des Glamours
Matt Lambros will das ändern. Der Architektur-Fotograf zieht seit zehn Jahren durch die Vereinigten Staaten von Amerika, um die maroden Kinos einer Zeit ausfindig zu machen, in der Hollywood den Glamour neu erfand: Als Hommage an die Filmkunst und ihre Stars bauten die Amerikaner in den 1920er- und 30er Jahren ihre Lichtspielhäuser wie einen Abklatsch der europäischen Opern und Theater: aufwendige Deckenbemalungen mit einem Hang zu Melodramatik und Kitsch, gewaltige Kronleuchter, mit rotem Samt bezogene Sitze und eine Bühne, als seien die Schauspieler nicht nur zweidimensional auf der Leinwand anzuhimmeln, sondern persönlich anwesend. Die kleinen Häuschen in den Kino-Foyers, in denen man Karten und Popcorn kaufen konnte, waren Muscheln und Märchenkutschen nachempfunden. War kein Geld oder keine Geduld für einen Neubau da, wurden alte Schauspielhäuser flix umfunktioniert.

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Doch zu Beginn der 1960er Jahre ging die Glanzzeit des amerikanischen Kinos zu Ende: Das TV-Fernsehen war erfunden worden und etablierte sich als das Familienmedium Nummer Eins. Durch die ausbleibenden Besuchermassen gingen viele der luxeriösen Kinos Bankrott. Und verfielen. Manche von ihnen wurden jahrelang benutzt, um Waren wie Tabak zu lagern, andere wurden sofort dicht gemacht. Die meisten von ihnen stehen bis heute leer.

Mehr und mehr von den Theatern fasziniert, fassungslos, dass solche Bauwerke einfach der Vergessenheit überlassen wurden, begann Lambros schließlich damit, die Geschichte seiner Entdeckungen aufzuschreiben und die Filmtheater zu fotografieren. Bald startete er den Blog After The Final Curtain. Zu deutsch: Nach dem letzten Vorhang. Ein prominenter Fan der alten amerikanischen Kinos, „Game of Thrones“- Erfinder George R. R. Martin, wurde auf Lambros aufmerksam, bloggte über ihn und lud ihn ein, Vorträge über die Geschichte der verfallenen Kinos zu halten. Bald begann Lambros seine Bilder in Galerien überall in den USA auszustellen. Im November 2016 wird er seinen ersten Bildband veröffentlichen.
Der Zauber des Dystopischen
Wie man Fotograf und Chronist verlassener Kinos wird? Durch den Entdeckerdurst seiner Oma, wie Lambros im Interview mit TRAVELBOOK verrät. „Als meine Eltern sich scheiden ließen, fuhr meine Großmutter mit mir und meinem Bruder durch die Gegend. Wenn wir an einem verlassenen Gebäude, zum Beispiel an einer Scheune, vorbeifuhren, hielt sie an und ging mit uns hinein. Manchmal waren die Gebäude nicht leer, manchmal schrien die Leute, denen sie gehörten, uns an, wenn sie uns beim Herumstöbern entdeckten und verjagten uns. Aber es war großartig. Die Faszination von meiner Großmutter für verlassene Orte habe ich geerbt.“

Am Kino hat ihn das Dystopische gereizt: Endzeitfilme, in denen man Ruinen und verlassene Städte sieht, waren seine Favoriten. Als Lambros älter wurde, fing er an, mit Freunden nach verlassenen psychiatrischen Klinken und Krankenhäusern zu suchen und den Verfall dieser Gebäude mit Fotos zu dokumentieren. Irgendwann stieß er dabei auf das verlassene Kings Theatre Kino in Brooklyn, New York, und verliebte sich in das Gebäude. Damit begann eine regelrechte Sucht: In den letzten sechs Jahren hat Lambros 85 Filmtheater fotografiert. Und wie er sagt, gibt es allein in den USA noch 60 weitere, die er noch nicht abgelichtet hat.
Von der Oper zur Sporthalle
Viele der Häuser haben eine kuriose Nutzungs-Geschichte. So zum Beispiel das Metropolitan Opera House in Philadelphia, das erst eine Oper, dann ein Filmtheater, dann ein Ballsaal, dann eine Sporthalle und in den 1950er Jahren schließlich eine sehr beliebte Kirche war. Als die Gemeinde schrumpfte, konnte sich der Besitzer des Hauses die Reparaturen nicht mehr leisten und das Haus zerfiel. Heute gibt es eine neue Initiative, wieder einen Gebetsraum daraus zu machen. Noch reicht das Geld aber nicht.

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„Europa ist sehr beschützerisch, wenn es um seine Architektur geht“, sagt Lambros. In den USA sei die Haltung eher: „Ohhh das brauchen wir nicht mehr. Lasst es uns verkaufen. Oder abreißen!“ Oft bekommt Lambros Mails von Menschen, die in den Orten, an denen er verlassene Filmtheater aufgestöbert und fotografiert hat, wohnen. „Sie schreiben mir, dass sie jahrelang an dem Gebäude vorbeigegangen sind, ohne zu wissen, wie wunderschön es da drinnen aussieht.“ Das liegt auch daran, dass selbst die Fassade eines von innen sehr pompös eingerichteten Theaters von außen oft sehr schlicht gestaltet ist.
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Ein Hobby wird zur Mission
Die Athmosphäre der versteckten „Sleeping Beauties“ beschreibt Lambros als verwunschen und melancholisch zugleich. „Du betrittst diese spektakulären Räume, die eigentlich dafür gemacht waren, Menschen zu unterhalten und zum Lachen zu bringen. Und jetzt sind sie so heruntergekommen. Das ist traurig, aber gleichzeitig sehr schön.“

Doch bei seinen Bildern geht es Lambros nicht nur um Ästhetik. Durch seinen Blog macht er die Kinos wieder bekannt, bekommt Anrufe von interessierten Käufern, die er dann mit den oft gegenüber der Schönheit und Geschichte ihres Besitzes ignoranten Inhabern in Verbindung setzt. Er hält überall im Land Vorträge über die Geschichte der Filmtheater und begleitet diejenigen Häuser, für die sich ein Investor gefunden hat, auf dem Weg zu ihrer Restauration. Lambros‘ Lieblingstheater ist immer noch das Kings Theatre in Brooklyn, das mittlerweile wieder als Kunsthaus seine Pforten geöffnet hat. Über die Wiedergeburt dieses Theaters schreibt er gerade ein weiteres Buch.

„Viele meiner Freunde fragen mich oft, ob ich mich in den verlassenen Häusern nicht grusele. In Amerika glauben viele Menschen, dass solche Orte automatisch von Geistern heimgesucht werden. Aber das einzige Mal, dass ich Angst hatte, war als ich ein neues Theater gefunden hatte, in dem ein Obdachloser wohnte. Er war nicht sehr erfreut, als ich Fotos von seinem Zuhause machen wollte. Ich knipste noch schnell ein paar Bilder, während er neben mir stand und ein großes Stück Holz in der Hand hielt. Dann bin ich abgehauen.“
Lambros‘ erstes Buch „After The Final Curtain. The Fall of the American Movie Theatre“ erscheint Mitte November 2016 bei Marco Polo Travel Publish.
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