9. Oktober 2014, 11:24 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Sie steht mitten in der Mündung der Themse ins Meer, ist nur bei Ebbe zu Fuß zu erreichen – und doch sehen viele in der alten Festungsruine vor der Isle of Grain schon das Berghain Englands, sozusagen das britische Gegenstück zum Berliner Club, der als angesagtester und coolster der Welt gilt. Die Immobilienagentur, die das verfallene Gebäude zum Verkauf anbietet, hat gleich mehrere Kaufinteressenten.
Sie hatten es gleich gewusst. Auf den ersten Blick war ihnen klar, dass dieses Gebäude genau das war, wonach sie suchten: eine Location, die anders ist, etwas Besonderes. Genau richtig, um daraus den Club aller Clubs zu machen, das „Berghain-on-the-Seas“, cooler als das Berliner Original.
Sie – das sind die Musiker und Party-Organisatoren von Minival aus Aberdeen, Schottland. Ihre Musik: Techno und House. Ihr Objekt der Begierde: die Grain Tower Battery, eine verlassene viktorianische Festung, gelegen vor der Isle of Grain, dort, wo die Themse in die Nordsee mündet. „Wir dachten sofort, dass die Festung der perfekte Ort ist, um unsere Idee umzusetzen“, sagt Ravi Karia von Minival im Interview mit TRAVELBOOK.
Auf BBC hatten die Musiker gesehen, dass das alte Gebäude zum Verkauf steht. Ein paar Tage später fuhren sie zu der 70 Kilometer von Londons Stadtzentrum entfernten Isle of Grain und sahen sich die Ruine vor Ort an. „Die Festung ist im Meer, weit weg von Wohngebieten und von Menschen, verfügt über mehrere Räume sowie Stockwerke und ist von einer brauchbaren Größe.“ Vor allem aber habe sie der Zustand der Anlage fasziniert. „Sie ist heruntergekommen und sehr industriell, mit viel Beton und Ziegelsteinen. Das hat uns am besten gefallen, von den fantastischen Ausblicken mal abgesehen! Das ist das, was uns ans Berghain erinnert hat.“
Und die Festung hat noch mehr zu bieten: 5 Schlafzimmer, 1 Badezimmer, mehrere Eingänge und eine „150 Jahre alte, bombensichere Geschützstellung“, wie es in der Immobilienanzeige von Riverhomes heißt, die Agentur, die das Gebäude verkauft. Bei Ebbe könne man sogar zu Fuß bis zu der kleinen Insel laufen. Die exklusive Adresse: Number 1 The Thames (Themse 1), Sheerness.
Finanzierung über Spenden
500.000 britische Pfund sollte die Festung kosten, umgerechnet 630.000 Euro. Dazu kämen noch die Kosten für die Renovierung. Soviel Geld hatten die Jungs von Minival natürlich nicht zur Verfügung. Also stellten sie ihr Vorhaben kurzerhand bei „gofundme“ ein, einer Crowdfunding-Plattform, bei der man für Projekte werben und Spenden dafür einsammeln kann. Sie rechneten vor, dass sie für den Kauf 500.000 Pfund benötigen würden und für die Renovierung nochmals 250.000 Pfund. Als Gegenleistung sollten Spender eine lebenslange Mitgliedschaft für den Club und freien Eintritt zu den Partys bekommen.
Anfangs glaubten sie nicht, dass überhaupt jemand für ihr Projekt „Everyone’s Party Fort“ (dt. „Eine Party-Festung für alle“) spenden würde. Doch die Resonanz war überwältigend. Mehr als 50.000 Pfund kamen seit August zusammen, ihr Traum schien in greifbare Nähe zu rücken. Doch diese Woche kam der Schock: Jemand anders hat die winzige Insel gekauft! Die Meldung verbreitete sich in den britischen Medien wie ein Lauffeuer. Enttäuscht beendeten Ravi Karia und seine Team-Kollegen ihre Crowdfunding-Kampagne. Das gesammelte Geld wollen sie an die Spender zurückzahlen.
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Immobilienagentur dementiert
TRAVELBOOK fragte bei der in London ansässigen Immobilienagentur Riverhomes nach, wer der geheimnisvolle Käufer ist, der den Musikern von Minival die Ruine sozusagen vor der Nase weggeschnappt hat. Die Berichte seien falsch, ein Kauf sei noch gar nicht abgeschlossen worden, erklärt Riverhomes-Sprecherin Lana Wrightman. „Ein vorläufiges Angebot wurde vergangenen Freitag zwar akzeptiert, aber zwei andere Interessenten haben angefragt, ob sie das Objekt nächste Woche besichtigen können. Bisher wurde kein Notar beauftragt, sollte also einer der beiden Interessenten ein wesentlich höheres Angebot abgeben, könnte es sein, dass der Käufer dieses akzeptiert.“
Noch steht die Zukunft der seit Jahrzehnten verlassenen Grain Tower Battery also in den Sternen. Vielleicht war es der Medienhype um die Spenden-Aktion von Minival, die die anderen Kaufinteressenten erst auf den Plan gerufen hat – immerhin steht die Ruine schon seit 2010 zum Verkauf. Ob sie daraus auch einen Club machen wollen? „Alle Interessenten haben unterschiedliche Vorschläge zur Nutzung der Festung gemacht“, berichtet Lana Wrigthman von Riverhomes. Von Hotels über Nachtclubs bis hin zu einem Casino sei alles dabei gewesen. Was auch immer am Ende vor der Isle of Grain im Meer entsteht – die nötige Aufmerksamkeit ist dem neuen Eigentümer schon jetzt sicher.
Und die Jungs von Minival? Die wollen ihren Traum vom eigenen Berghain jedenfalls nicht aufgeben und halten weiter Ausschau nach passenden Objekten. „Ich habe neulich eine Anzeige für einen Atombunker gesehen“, sagt Ravi Karia und lacht. „Vielleicht sollten wir es damit versuchen.“
Bis England sein erstes Berghain hat, können feierwütige Briten zum Clubbing ja immer noch nach Berlin fliegen. Nur reinkommen müssen sie erst mal, in den wohl coolsten Club Europas.