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Die brasilianische Tragödie

Ein Urlaubsparadies geht im Schlamm unter

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Nuno Alves
Chefredakteur

7. Dezember 2015, 12:03 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten

Es sind dramatische Bilder, die seit Wochen aus Brasilien kommen, und die vor allem eines zeigen: rotbrauner, giftiger Schlamm, der auf seinem 650 Kilometer langen Weg durch den Rio Doce alles Leben darin und an den Ufern erstickt. Mittlerweile ist der Schlamm auch im Atlantik angekommen – und zerstört nicht nur Strände, sondern auch die Lebensgrundlage von Hotels, Fischern und Meerestieren. TRAVELBOOK sprach mit dem brasilianischen Umweltaktivist Apolo Lisboa über die Tragödie.

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Noch immer sind die wahren Ausmaße der Dammbrüche vom 5. November im brasilianischen Mariana, Bundesstaat Minas Gerais, nicht absehbar. Nur eines steht schon fest: Es handelt sich schon jetzt um „die größte Umweltkatastrophe in der Geschichte Brasiliens“, wie selbst die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff bei der Klimakonferenz in Paris zugeben musste und dabei gleichzeitig versuchte, sich und ihre Regierung von jeglicher Schuld freizusprechen, indem sie auf das „unverantwortliche Verhalten einiger Unternehmen“ verwies. Womit sie Samarco meinte, die in gleichen Teilen der brasilianischen Vale und der australisch-britischen BHP Billiton gehört – beides riesige Konzerne.

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Die langfristigen Folgen der Katastrophe sind noch gar nicht absehbar. Foto: Getty Images

Mehr als 60 Millionen Tonnen Schlamm aus der Eisenerzmine von Samarco, verseucht mit Arsen, Mangan, Eisen, Blei, Quecksilber und anderen Schwermetallen, wurden Schätzungen zufolge in den Rio Doce gespült. Zwei Dämme hatten dem gewaltigen Druck von Abwässer und Abraum nicht mehr standgehalten und so den „Schlamm-Tsunami“ ausgelöst, wie die zerstörerische Flut in einigen brasilianischen Medien bezeichnet wird. „Schlamm, der Menschen getötet, Dörfer zerstört und sich in einem Fluss abgesetzt hat, der einer der wichtigsten in der Geografie und Geschichte Brasiliens ist“, sagt Apolo Lisboa zu TRAVELBOOK.de.

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Der Schlamm hat auch das Dorf Bento Rodrigues in der Gemeinde Mariana, Minas Gerais, verwüstet. Foto: Getty Images

Politiker-Kampagnen von Bergbauunternehmen finanziert

Der Umweltschützer, Uni-Professor und Mediziner lebt in Belo Horizonte, der Hauptstadt des Bundesstaats Minas Gerais, und kämpft seit Jahren für Nachhaltigkeit. Er, der in den 1960er-Jahren Studentenführer war und an der Seite des früheren Präsidenten Lula die in Brasilien regierende Arbeiterpartei (PT) mitbegründete, gibt dem System, das auf Korruption basiere, die Schuld an der Katastrophe, weil Politiker die Interessen der Bergbauunternehmen wahrten, die ihre „Kampagnen finanzieren“. Er spricht von Mittäterschaft.

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Apolo Lisboa setzt sich für eine nachhaltige Politik in Brasilien ein. Der Schlamm hat auch das Dorf Bento Rodrigues in der Gemeinde Mariana, Minas Gerais, verwüstet. Foto: Getty Images

Für Lisboa steht das Unglück sinnbildhaft für das Versagen des Staates, an dessen Spitze eine Frau steht, die er selbst mit aufgebaut hat. In den 1960ern hatte er Dilma Rousseff in die Studentenbewegung eingeführt, sie politisch unterrichtet. Später kämpften beide in der Guerilla gegen die Militärdiktatur. Von der Arbeiterpartei hat sich Lisboa längst losgesagt, auch weil sie nicht die ökologischen Themen angeht, die aus seiner Sicht viel stärker in den Fokus rücken müssten.

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Erst eine Woche später schaute sich Dilma Rousseff aus der Luft das Ausmaß der Zerstörung an. Foto: dpa picture alliance

Ein absurdes Genemigungssystem

Es gebe keine Strategie, um die Unternehmen zu Nachhaltigkeit zu verpflichten, erklärt Lisboa, es fehle an Mitarbeitern, um die Firmen zu überwachen, zudem würden Genehmigungen für Dämme und Minen ohne jegliche Überprüfung hinsichtlich ihrer ökologischen Folgen erteilt, oder auf Basis von Untersuchungen, die von Bergbauunternehmen selbst in Auftrag gegeben wurden. Ein absurdes System, das den Raubbau an der Natur fördert, und zwangsläufig zu Katastrophen wie diesen führt.

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Eisenmine von Vale in Mariana. Foto: dpa picture alliance

Für den Rio Doce, den süßen Fluss, wie er übersetzt heißt, sehen viele Experten keine Hoffnung mehr – und falls er sich überhaupt etwas erholen sollte, werden Jahrzehnte vergehen. „Praktisch alle Fische sind tot“, so Lisboa, und der dichte Schlamm habe die Grundlage der Nahrungskette zerstört. Einige Arten, die es nur dort gab, sind möglicherweise für immer verschwunden. Hinzu kommen die Folgen für die Region: „Arbeitslosigkeit, Probleme bei der Wasserversorgung, die Verseuchung der Erde, Nebenflüsse und des Meeres.“

Touristen sagen Urlaub ab

Im Bundesstaat Espírito Santo, wo der Rio Doce in den Atlantik mündet, sind bereits Dutzende Strände mit Schlamm überzogen. Wo einst Surfer im Wasser zu sehen waren, ist alles mit der rotbraunen Giftbrühe verseucht. Der Lebensraum von Meeresschildkröten, Walen, Haien und vielen anderen Tieren ist bedroht, Fischer und Hotel- und Pensionsbetreiber sind ihrer Existenzgrundlage beraubt.

An Urlaub ist hier, wo vor der Katastrophe der Ökotourismus eine wichtige Einnahmequelle für die Einwohner war, vielerorts nicht mehr zu denken. Und selbst in nicht vom Schlamm betroffenen Gebieten spürt man die Folgen, weil Touristen plötzlich ihren Urlaub absagen, etwa in Guarapari, einem beliebten Badeort.

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Strand Guarapari in Espírito Santo in ein beliebtestes Ferienziel. Obwohl nicht vom Schlamm betroffen, haben viele in Urlaub hier abgesagt. Foto: Getty Images

Ob auch andere Urlaubsregionen durch Winde und Strömungen mittel- oder langfristig betroffen sein könnten, ist nicht genau absehbar. Nördlich grenzt Espírito Santo an Bahia, das WM-Camp der deutschen Nationalmannschaft ist nur rund 400 Kilometer Luftlinie entfernt. Nach Búzios, einem beliebten Urlaubsort im Bundesstaat Rio de Janeiro im Süden, sind es ebenfalls nur 400 Kilometer. Obwohl einige Wissenschaftler betonen, der Schlamm könne Entfernungen von mehr als 200 Kilometer kaum überwinden, könnte das maritime Leben auch in Regionen, die weiter weg liegen, dennoch indirekten Schaden nehmen.

Zurzeit ist das Problem an der Mündung des Rio Doce natürlich am größten. Beliebte Wassersportarten wie Surfen, Kanu oder Jetski sind praktisch unmöglich.

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Der entstandene Schaden ist unermesslich. Umso absurder erschien die anfänglich auf umgerechnet 61 Millionen Euro bezifferte Strafe für die verantwortlichen Unternehmen. Ein lächerlicher Wert, der nur bewies, dass die brasilianische Regierung die Konzerne Vale und BHP Billiton, die sich ohnehin schon über Steuervergünstigungen freuen, möglichst glimpflich davonkommen lassen wollte.

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Schlamm in einem Supermarkt im Ort Barra Longa. Foto: dpa picture alliance
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Wann kommt es zu Protesten wie 2013?

Mittlerweile versucht Dilma Rousseff, etwas harschere Töne anzuschlagen – auch weil die gewaltige Zerstörung angesichts der Bilder aus der Region nicht mehr zu leugnen ist, und Menschen in den sozialen Netzwerken auf dramatische Weise auf die Folgen der Tragödie verweisen. 5 Milliarden Euro sollen die Bergbaufirmen nun in eine Stiftung zahlen, die dazu dienen soll, die Region wiederzubeleben und die Betroffenen zu entschädigen. Ein Tropfen auf dem heißen Stein.

Apolo Lisboa sieht nun auch Europa in der Pflicht, auch weil Länder wie Großbritannien direkt beteiligt sind. Zudem würden an der London Metal Exchange eben jene Metalle gehandelt, die in Brasilien auf Kosten der Natur beschafft werden. Und er hofft, dass die Brasilianer wie schon beim Confed-Cup 2013 oder im vergangenen August auf die Straße gehen und von ihrer Regierung eine nachhaltige Politik einfordern – und das Ende der Korruption. Noch beschränken sich die Proteste auf wenige Aktivisten.

Größere Demonstrationen könnten durchaus das Ende für die ohnehin angeschlagene Dilma Rousseff bedeuten. Gerade erst wurde das Verfahren zur Amtsenthebung eingeleitet – und dass sie die richtigen Konsequenzen aus der Katastrophe von Minas Gerais zieht, trauen ihr nur die Wenigsten zu.

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„Ich bin Rio Doce“ ist auf einem Plakat bei Protesten in Rio de Janeiro zu lesen. Foto: Getty Images
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Das größte Problem dürfte sein, dass eine Katastrophe wie diese jederzeit wieder passieren kann. Von insgesamt rund 700 Dämmen in Brasilien wurden 200 als problematisch eingestuft – und das von Mitarbeitern der Regierung. In Wahrheit dürfte die Zahl noch höher liegen.

Themen Brasilien
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