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Deutscher Forscher hat es gelüftet

Das Geheimnis des türkischen „Tors zur Unterwelt“

Das antike Amphitheater von Hierapolis
Das antike Amphitheater von Hierapolis Foto: Getty Images
Larissa Königs
Larissa Königs

09.07.2021, 06:30 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten

Pamukkale in der Türkei kennen die meisten heutzutage wegen der traumhaft schönen Kalksinterterrassen. Die weißen Natur-Treppen sind ein beliebtes Fotomotiv. Doch schon lange bevor es die ersten Kameras gab, war der Ort bekannt – weil sich hier ein „Tor zur Unterwelt“ befinden soll. Im Tempel von Hierapolis, direkt über den Kalksinterterrassen, gab es immer wieder mysteriöse Todesfälle. Ein deutscher Forscher hat herausgefunden, warum. TRAVELBOOK hat mit ihm gesprochen.

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Die Kalksinterterrassen der türkischen Stadt Pamukkale zählen zu den bedeutendsten Naturwundern des Landes. Sie sind UNESCO-Weltnaturerbe und 400.000 Jahre alt. Auch ihre Ausmaße sind beeindruckend. Insgesamt sind sie drei Kilometer lang und 160 Meter hoch – damit sind sie die größten dieser Art weltweit.

Kaum verwunderlich, dass es vor der Pandemie jedes Jahr Millionen Besucher hierherzog. Irgendwann wurde der Andrang sogar so groß, dass das Gelände zum Schutz der fragilen Natur teilweise abgeriegelt werden musste. Doch nicht erst seit Fotos der Kalksinterterrassen von Pamukkale auf Instagram zahlreiche Likes garantieren, ist der Ort beliebt. Schon in der Antike pilgerten die Menschen hierher – allerdings weniger wegen der Kalksinterterrassen, sondern mehr wegen der darüber liegenden Stadt Hierapolis.

Die Saltzterrassen von Pamukkale sind zu Recht Weltnaturerbe
Die Saltzterrassen von Pamukkale sind zu Recht Weltnaturerbe Foto: Getty Images

Die Geschichte von Hierapolis

Heute stehen zwar nur noch die Ruinen der antiken Stadt, doch einst war sie eine wahre Attraktion. Gebaut zwei Jahrhunderte vor Christus von den Herrschern Pergamons, erlangte der Ort unter römischer Herrschaft im dritten Jahrhundert nach Christus Berühmtheit. Der Grund war nicht nur das Thermalwasser, sondern auch eine schaurige Legende. So vermutete man hier ein „Tor zur Unterwelt“, denn immer wieder starben Tiere (und seltener auch Menschen) aus scheinbar unerklärlichen Gründen.

So führten die Priester im Tempel von Hierapolis oft Opfer-Zeremonien durch, die die Besucher vor Rätsel stellten. Mehrere antike Schriftsteller berichteten etwa davon, dass Priester Tiere in den Tempel führten, die plötzlich tot umfielen, wohingegen die Priester lebten. Auch konnten die Besucher Spatzen in die Mitte des Tempels werfen, die dann ebenfalls sofort starben. Für die Menschen damals gab es nur eine Erklärung: Hier musste es ein Tor zur Unterwelt geben.

„Das geht auf die Sage zurück, dass Kerberus, der Höllenhund, der die Unterwelt bewachte, einen tödlichen Atem habe. So sollte er verhindern, dass Tote wieder in die Welt der Lebenden zurückkommen“, weiß Dr. Hardy Pfanz, Vulkanbiologe Professor an der Uni Duisburg / Essen, der in Hierapolis forschte. Die Priester im Tempel von Hierapolis sollten zwischen beiden Welten vermitteln – und sie waren mutmaßlich auch die einzigen, die zumindest in Ansätzen verstanden, was an diesem Ort geschah. Denn sie waren es auch, die die Opfer-Zeremonien unbeschadet überstanden. Doch wie kann das sein?

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Das wahre Geheimnis des „Tor zur Hölle“

Die Ruinen von Hierapolis liegen oberhalb der heutigen Stadt Pamukkale – und sind auch heute noch gefährlich
Die Ruinen von Hierapolis liegen oberhalb der heutigen Stadt Pamukkale – und sind auch heute noch gefährlich Foto: Getty Images

Hardy Pfanz kennt die Antwort: Unter Hierapolis liegt eine Gasaustrittsstelle, eine sogenannte Mofette. Insgesamt vier Wochen hat er vor Ort geforscht – auch wenn er schon vorher einen sehr konkreten Verdacht hatte, dass es sich um genau so eine Mofette handeln könnte. Der Grund: Hierapolis ist nicht der einzige Ort dieser Art. „Im Mittelmeerraum gab es einst ungefähr 25 sogenannte ‚Tore zur Hölle‘, von denen ich etwa 15 besucht habe“, erklärt Pfanz im Gespräch mit TRAVELBOOK.

Das Gas, das an diesen „Toren zur Unterwelt“ aufsteigt, ist meist CO₂. In Hierapolis etwa liegt der Anteil des Kohlenstoffdioxids bei etwa 80 Prozent. „Zu einem so hohen Anteil des Kohlendioxids in der Luft kommt es, wenn sich die Mofette in einer Senke befindet und ein Gas-See entsteht“, weiß Pfanz. Diese Seen bauen sich nachts auf, wenn das Gas nicht abfließen kann, und können mehrere Meter hoch werden. „Morgens, wenn die Sonne scheint, absorbiert das CO₂ dann die Infrarotstrahlung und kann nach oben abziehen. Doch in der Nacht sind diese Orte wegen der extrem hohen Gaskonzentration lebensgefährlich“, erklärt Pfanz weiter. Das liegt daran, dass CO₂ den Sauerstoff in der Luft verdrängt. Zur Einordnung: Schon ab einem Anteil von 8-10 Prozent wird man ohnmächtig – und in Hierapolis und an ähnlichen Gas-Seen ist die Konzentration bis zu zehnmal höher.

Diese hohe Gaskonzentration führte dann auch zu dem fast sofort eintretenden Tod von allen Lebewesen, die sich innerhalb des Gas-Sees aufhielten und die Luft dort atmeten. Das erklärt, warum die Tiere in den Opferzeremonien starben. Doch warum konnten die Priester überleben? „Die Priester selbst wussten immer genau, bis in welche Höhe die Gas-Seen reichten und hielten sich immer so auf, dass sie die unbedenkliche Luft darüber atmeten“, erklärt Hardy Pfanz. „Dafür nutzen die Priester zum Beispiel kleine Öllämpchen: Wenn die Flamme erlosch, wussten sie, dass die Sauerstoffkonzentration zu gering war, und dass sie sich darüber aufhalten mussten.“

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Hierapolis ist immer noch gefährlich

Das Ungewöhnliche an Hierapolis ist, dass dort auch heute noch das Gas austritt. „Einst haben vermutlich alle ‚Tore zur Hölle‘ geogene Gase ausgestoßen, heutzutage gasen aber nur noch fünf oder sechs“, sagt Pfanz. Das liege daran, dass das Gas in den Austrittsstellen durch Risse im Erdboden entweicht, die z.B. durch Erbeben entstehen. Doch durch neue Erdbeben können sich diese Risse auch verschieben oder sogar schließen, was an vielen Stellen geschah, in Hierapolis jedoch nicht.

Heutzutage bildet sich der See zwar nicht mehr so stark wie noch in der Antike. Doch er ist immer noch existent – und immer noch lebensgefährlich. „Wir konnten bei unseren Messungen feststellen, dass der Gas-See noch mehr als einen Meter hoch werden kann“, betont Pfanz. Aus diesem Grund gibt es in Hierapolis auch strenge Sicherheitsmaßnahmen. So werden Besucher an Treppen in einem großen Bogen außen um die Stelle geleitet.

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Was das „Tor zur Hölle“ mit den Kalksinterterrassen von Pamukkale zu tun hat

Die Salzterrassen von Pamukkale sind ein beliebtes Fotomotiv, das es ohne das „Tor zur Hölle“ nicht geben würde
Die Kalksinterterrassen von Pamukkale sind ein beliebtes Fotomotiv, das es ohne das „Tor zur Hölle“ nicht geben würde Foto: Getty Images

Trotz der spannenden Geschichte von Hierapolis sind natürlich die Kalksinterterrassen in Pamukkale heute die wahre Attraktion. Doch was kaum jemand weiß: Die berühmten weißen Treppen sind eine direkte Folge der Mofette in Hierapolis. Bekannt ist, dass die Kalksinterterrassen durch das herabfließende Wasser der Mineralquellen entstanden ist. Über die Jahrtausende lagerte sich immer mehr des strahlend weißen Kalziumkarbonat ab. Doch woraus besteht eigentlich dieses Mineral?

„Kalziumkarbonat ist nichts anderes als das im Salz gefangene Gas Kohlenstoffdioxid“, erklärt Professor Pfanz. Und so ist das „Tor zur Hölle“ von Hierapolis noch immer der wahre Grund, warum es die Menschen nach Pamukkale zieht.

Themen Türkei
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