6. März 2015, 10:26 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Sie sieht ein bisschen aus wie eine technisch aufgemotzte Taucherbrille und was man damit machen kann, hat auch viel mit Abtauchen zu tun: Die Datenbrille ermöglicht es dem Träger nämlich, mal eben aus dem Alltag ab- und in fremde Orte und Städte komplett einzutauchen. Nämlich 360 Grad. Für wenige Minuten. TRAVELBOOK hat die Wunderbrille getestet.
Zugegeben, es sieht schon etwas merkwürdig aus, was die Frau da auf der Nase hat. Als hätte sie ihr Smartphone auf eine Taucherbrille gebunden. Doch sehr viel eigenartiger ist ihr Verhalten. Plötzlich wirft sie den Kopf in den Nacken, als würde gerade die Lampe von der Decke krachen, schaut dann wieder runter auf ihre Füße, als würde sich dort der Boden öffnen, um sich im nächsten Moment ruckartig umzudrehen, als wäre nicht eine kahle Wand hinter ihr, sondern ein Taschendieb. Doch so gefährlich kann das alles nicht sein, schließlich umspielt ein Lächeln ihren Mund – das einzige übrigens, was man von ihrem Gesicht neben der raumgreifenden Brille wahrnimmt.
Aber was ist da los? Die Frau trägt eine Samsung Gear VR, in die das Smartphone „Galaxy Note 4“ eingelegt ist, wodurch eine Datenbrille mit Rundumblick-Virtual-Reality entsteht. Ihr Blick geht durch die Linsen der Brille auf das Smartphone, wo eine App einen Film abspielt, deren Bilder sich indes nach dem richten, was die Pupillen avisieren. Und was sie sieht, ist einer von vier Filmchen, die Thomas Cook für seine Kunden produzieren ließ und je zwischen zweieinhalb und vier Minuten dauern. Sie führen nach Rhodos, auf Zypern und – wie in diesem Fall – nach New York.
Wenn die Frau den Kopf in den Nacken wirft, muss es wegen der Wolkenkratzer sein. Wenn sie nach unten schaut und sich leicht vorbeugt, genießt sie vermutlich den Blick aus dem Helikopter. Wenn sie sich umdreht, dann wohl, um zu schauen, was sich auf der Plattform vom Rockefeller Center hinter ihr für ein Ausblick bietet. Und das verzückte Lächeln – es ist einfach nur Zeichen des puren Vergnügens, das so ein virtueller Kurztripp vor allem ist. Als hätte man plötzlich den Weg auf das Holodeck gefunden.
Bei Computerspielen schon seit längerem im Einsatz, gibt es die Superbrille jetzt also auch in Reisebüros – damit sich die Kunden vor der Entscheidung für ein bestimmtes Urlaubsziel oder eine Hotelanlage vor Ort schon mal umschauen können, und zwar umfassend. Schließlich bucht man nicht gern die Katze im Sack. Und dass Fotos in Hotelprospekten oft nur die halbe Wahrheit zeigen, haben die meistsen Urlauber ja schon selbst erlebt.
Nachgefragt bei Experten So verändert die 360-Grad-Brille unseren Urlaub
Reiseveranstalter spricht von nahezu durchweg positivem Feedback
Der Reiseveranstalter Thomas Cook hat daher drei seiner Reisebüros – in Hamburg, Jena und Bremen – mit je einer Brille und den produzierten Filmen ausgestattet und testet seit Mitte Januar, wie der virtuelle Kurztripp beim Kunden ankommt. „Bisher ist das Feedback nahezu durchweg positiv“, sagt Nina Kreke aus der Unternehmenskommunikation der Thomas Cook AG, die die Brille auf der ITB präsentiert, „nur ein paar wenige konnten die Filme nicht genießen, weil sie Höhenangst haben oder ihnen das Ganze zu nah kam.“
Doch wie entstehen diese Rundumfilme? Um zum gleichen Zeitpunkt 360-Grad filmen zu können, werden mehrere Go-Pro-Kameras auf einer dafür hergestellten Halterung montiert. So entsteht eine Art Kameraball, der die komplette Umgebung rund um den Filmenden aufnimmt. Zwar braucht man recht viele Kameras, dafür aber wenig Personal: Die Reise nach New York hat ein zweiköpfiges Kamerateam an nur zweieinhalb Tagen gedreht.
Hier geht es zum Video über die Dreharbeiten in New York:
Dass sich die Datenbrille bestens eignet, weit entfernte Orte nah zu bringen, hat auch Turkish Airlines auf der ITB für sich genutzt: Mit der Datenbrille Oculus Rift – die sehr ähnlich funktioniert wie die oben beschriebene Samsung Gear VR – werden die Besucher nach Istanbul geführt, und zwar in die luxuriöse Istanbul Lounge auf dem Istanbul Atatürk Airport. Was sonst nur wenigen Fluggästen zugänglich ist, wird hier für alle erfahrbar, die die Brille aufsetzen. Besser kann man neu eröffnete Gebäude oder Anlagen, für deren Besichtigung man sonst weite Reisen auf sich nehmen müsste, wohl kaum präsentierten.
„Mit unserer Präsentation auf der ITB nutzen wir die Möglichkeiten des Fremdenverkehrs im 21. Jahrhundert voll aus“, so Erdem Uen, Interactive Marketing and Communications Specialist von Turkish Airlines, „in nicht allzu ferner Zukunft wird es für Kunden vollkommen normal sein, beispielsweise vorab ihr Wunschhotel anzuschauen.“
Kommt es dann zur Entscheidung für ein Hotel und zu einer Buchung, brauchen die Urlauber – solange keine Kurz- oder Weitsichtigkeit vorliegt – wohl nur noch eine Brille: die Sonnenbrille.