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Nach der Aufregung in Brasilien

Wie fies war der Fifa-Knigge wirklich?

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TRAVELBOOK Redaktion

30.05.2014, 10:59 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten

Erst sorgte ein sexistisches T-Shirt von Adidas für Empörung, jetzt verärgert ein Touristenratgeber der Fifa die WM-Gastgeber. Denn dieser strotze nur so vor Klischees, zeige die Brasilianer als unpünktlich, ungeduldig und chaotisch. Die Fifa sah sich gezwungen, sofort zu reagieren und löschte die Tipps aus dem Internet. TRAVELBOOK hat sie dennoch gefunden und unter die Lupe genommen. Unser Klischee-Check.

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Kaum ein Land, das mit so vielen Klischees zu kämpfen hat wie Brasilien. Denn auch, wer noch nie da war, hat ganz bestimmte Bilder im Kopf, sobald die Sprache auf die Brasilianer kommt. Darauf sieht man halbnackte Schönheiten am Strand und Ballkünstler im Stadion. Man sieht Caipis, Karneval, die Copacabana. Und auch die Drogenbosse mit ihren Waffen dürfen auf der Klischee-Collage nicht fehlen.

Wer einen Ratgeber für Brasilien schreibt, hat vor diesem Hintergrund vor allem eine Aufgabe: ein bisschen aufräumen mit den Klischees und zeigen, wie es wirklich ist. Und natürlich: wertvolle Tipps geben, die helfen, den Kulturunterschied zu überwinden – und unversehrt wieder heimzukommen.

Nichts anderes wollte der Fußball-Weltverband Fifa mit seinen „Zehn Tipps zur Vermeidung jeglicher kultureller Missverständnisse” in ihrer Publikation „The Fifa Weekly”. Doch der Schuss ging nach hinten los. Denn die Brasilianer, die hier als unpünktlich, chaotisch und ungeduldig dargestellt werden, fühlten sich komplett missverstanden – und äußerten heftige Kritik.

Die Fifa reagierte prompt auf die Vorwürfe und löschte die Seite im Internet, jedoch nicht ohne sich vorher zu verteidigen: „Das Ziel war, die entspannte Lebensweise in Brasilien darzustellen. Das Material sollte Fröhlichkeit vermitteln und überhaupt keine Kritik an Brasilien sein”, ließ man verlauten.

Doch wie böse war der Fifa-Knigge wirklich? TRAVELBOOK hat die Seite aus dem Internet gefischt und die einzelnen Tipps unter die Lupe genommen. Hier unser Klischee-Check.

1. Ja heißt nicht immer ja

Fifa: …sondern in Brasilien oft auch einfach nur „vielleicht“. Man sollte also nicht damit rechnen, dass der andere, der verspricht, einen bald anzurufen, das auch tatsächlich tut. Und erst recht nicht bald.
Travelbook:
Das ist natürlich kein schlechter Tipp, um generell Enttäuschungen zu vermeiden – auch wenn das in vielen anderen Ländern auch so ist. Aber wir würden gern noch ergänzen, dass umgekehrt ein nein (não) aber bitte auch als nein zu verstehen ist – und unterstützen damit gern die Bemühungen der brasilianischen Regierung gegen Sexismus und Sextourismus.

2. Zeit ist flexibel

Fifa: „Pünktlichkeit ist in Brasilien nicht gerade eine Wissenschaft”, schreibt die Fifa. Wer sich also 12.30 Uhr verabredet, dürfte mit dem anderen frühestens um 12.45 Uhr rechnen.
Travelbook:
In der Tat kommt es oft vor, dass Brasilianer nicht wirklich pünktlich sind. Allerdings: Davon sollte man keineswegs ausgehen. Vor allem bei offiziellen Terminen herrscht in der Regel Pünktlichkeit. Und wenn sich Brasilianer mit Deutschen verabreden, von denen sie ja wissen, dass diese nicht nur fleißig, sondern auch pünktlich sind, sind sie allein schon aus Gastfreundschaft oft zur vereinbarten Zeit da.

3. Körperkontakt

Fifa: Distanz ist nicht angesagt. Brasilianer mögen Körperkontakt und wenn sie reden, tun sie das auch mit den Händen, mit welchen sie den anderen auch schon mal berühren. In Nachtklubs, so schreibt die Fifa, kann es sogar vorkommen, dass man einfach im Gespräch geküsst wird – was man dann aber bitte nicht falsch interpretieren sollte. Ein Kuss sei in Brasilien eine Form der non-verbalen Kommunikation – und keine Einladung, tatsächlich weiter zu gehen.
Travelbook:
Die Sache mit dem Kuss mussten wir mehrmals lesen – und haben sie immer noch nicht verstanden. In welchem Land war der Autor doch gleich?

Keine Sorge, der will nur knutschen: Laut Fifa hat ein Kuss in Brasilien nichts zu bedeuten. Aha.
Keine Sorge, der will nur knutschen: Laut Fifa hat ein Kuss in Brasilien nichts zu bedeuten. Aha. Foto: Getty Images Foto: Getty Images

4. Schlange stehen

Fifa: Sich ordentlich in eine Schlange einreihen liege dem Brasilianer nicht. „Brasilianer bevorzugen ein kultiviertes Chaos” schreibt die Fifa, und: „Geduld ist nicht in den Genen der Brasilianer”.
Travelbook:
Klischee-Alarm! Vor allem diese Passage erregte die Gemüter in Brasilien. Natürlich darf man den Brasilianern nicht vorwerfen, das Chaos zu lieben – schließlich soll zur Fußball-WM im Sommer doch alles reibungslos verlaufen.

5. Zügeln

Fifa: Wer am Abend in eine Churrascaria geht – das „All-you-can-eat”-Grillrestaurant der Brasilianer – sollte am besten 12 Stunden vorher nichts zu sich nehmen. Und beim Essen sich dann nur kleine Portionen servieren lassen. Denn: Das beste Fleisch kommt ganz zum Schluss.
Travelbook:
Diese Tipps finden wir äußerst wertvoll – und möchten noch hinzufügen: Unbedingt in eine Churrascaria gehen! Nur Vegetarier und Veganer sind entschuldigt.

6. Survival of the biggest

Fifa: Auf den Straßen würden Fußgänger in der Regel ignoriert. Selbst am Zebrastreifen halten Autos oft nicht an. Und unter den Autofahrern selbst hat meistens derjenige Vorfahrt, der einfach das dickere Auto fährt.
Travelbook:
Auch wenn hier natürlich verallgemeinert wird und es durchaus auch besonnene Autofahrer gibt: Diese Tipps können Leben retten!

7. Acai probieren

Fifa: Die Beeren aus dem Amazonasgebiet wirken Wunder, sie verhindern Falten und bringen auch müde Fußballer wieder auf die Beine.
Travelbook:
Wir stimmen uneingeschränkt zu: unbedingt Acai probieren! Und wenn der erste Löffel nicht schmeckt, nicht gleich aufgeben. Man muss sich erst an den Geschmack gewöhnen.

Acai macht müde Männer munter – und auch sonst ist der Brei aus der Beere ein vielseitiges Wundermittel
Acai macht müde Männer munter – und auch sonst ist der Brei aus der Beere ein vielseitiges Wundermittel. Foto: Getty Images Foto: Getty Images

8. Oben Ohne

Fifa: Das ist verboten – auch wenn die Bikinis hier so knapp sind wie nirgendwo sonst auf der Welt: Barbusig legen sich die Brasilianerinnen nicht in die Sonne. Wer das hier trotzdem tut, muss mit Geldstrafen rechnen.
Travelbook:
Bitte befolgen!

9. Kein Spanisch, bitte

Fifa: Wer glaubt, mit seinem Schulspanisch in Brasilien weiterzukommen, wird auf taube Ohren treffen. Und wer Buenos Aires als Hauptstadt Brasiliens bezeichnet, wird ausgewiesen.
Travelbook:
Ja, man kann gar nicht oft genug sagen, dass man in Brasilien nun mal Portugiesisch spricht und nicht Spanisch. Und die Hauptstadt Brasiliens heißt natürlich nicht Buenos Aires, aber übrigens auch nicht Rio, sondern Brasília. Allerdings stimmt es nicht, dass die Brasilianer dicht machen, wenn sie Spanisch hören. Im Gegenteil: Man versteht das. Schließlich wohnt man in Südamerika inmitten von Nachbarn, die alle Spanisch sprechen, und wenn die sich treffen, redet man in einem Mischmasch aus Portugiesisch und Spanisch miteinander, was man hier auch scherzhaft Portaniol nennt.

10. Geduld haben

Fifa: „In Brasilien werden viele Dinge erst in letzter Minute erledigt” und das träfe auch auf die Fußballstadien zu, die immer noch nicht fertig sind. Aber am Ende, so schreibt die Fifa auch, werde alles gut, sprich: doch noch fertig.
Travelbook:
Diese Passage war der zweite Stein des Anstoßes in diesem Text. Fakt ist, dass die meisten WM-Stadien tatsächlich noch nicht fertig sind und die Zeit knapp wird. Dass die Brasilianer natürlich nicht gern darauf hingewiesen werden – das ist verständlich.

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Unser Fazit

Viele der Tipps sind gar nicht mal so verkehrt, einige sogar lebensnotwendig – und in jeder anderen Zeitschrift, die ein bisschen aufklären, aber vor allem unterhalten will, wäre der Text völlig in Ordnung. Nur halt nicht in einer Publikation der Fifa. Dort sollte man politisch korrekt bleiben, Polemik ist fehl am Platz.

Zumal die Brasilianer diesbezüglich eine sehr dünne Haut haben: Vor gut zwei Jahren nämlich sorgte Generalsekretär Jérôme Valcke weltweit für Aufsehen, als sich der Franzose wegen der sich abzeichnenden Probleme bei der Fertigstellung der Arenen für „einen Tritt in den Hintern” der Brasilianer aussprach. Das war nicht nett – unter anderem ja auch, weil man beim Hintern der Brasilianer ja schon wieder bei den Klischees wäre. Aber, lassen wir das…

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