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Japan und die Kultur der Stille – eine Reisende berichtet

Unsere Autorin Doris Tromballa war kürzlich in Japan und erlebte hautnah mit, wie wichtig den Japanern Ruhe im Alltag ist
Unsere Autorin Doris Tromballa war kürzlich in Japan und erlebte hautnah mit, wie wichtig den Japanern Ruhe im Alltag ist Foto: Getty Images (Collage: TRAVELBOOK)

11. September 2024, 12:27 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten

Wer zum ersten Mal in Japan ist, dem wird auffallen, wie leise es selbst in vollen Zügen oder auf belebten Marktstraßen ist. Während uns Stille manchmal peinlich ist, wird in Japan Ruhe als unverzichtbarer Teil des Alltags betrachtet. Aber es gibt Ausnahmen. Unsere Autorin verrät, wo es in Japan leise und wo es überraschend laut ist. 

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Vor meiner Abreise habe ich oft gelesen, dass man in Japan großen Wert auf Ruhe legt. Hintergrund ist zum einen der fest verankerte Grundsatz, dass man niemanden stören will – und, klar, Lärm nervt! Zum anderen aber hat Stille in Japan eine bedeutende kulturelle Bedeutung. Sie gilt nicht einfach nur als „Pause“, sondern die Ruhe soll Nachdenken, Kreativität und eine tiefere Art der Kommunikation ermöglichen, ganz ohne Worte. Diese Idee hat mich vor meiner Abreise nach Japan sehr beeindruckt – und auch etwas eingeschüchtert. Wie würde ich damit im Alltag tatsächlich klarkommen?

Ein Land der leisen Töne

Schon bei meinem ersten Besuch in Tokio bemerkte ich, dass es in den meisten alltäglichen Situationen viel leiser ist, als wir es gewöhnt sind: Auf der Straße, in Geschäften, in Hotelfoyers. Sogar auf der gut besuchten Aussichtsplattform des Tokyo Metropolitan Buildings herrschte fast andächtige Stille – die Besucher schlichen förmlich an den bodentiefen Fenstern entlang und genossen andächtig den Blick über die Stadt, nur begleitet vom leisen Klappern des Geschirrs im Café. Ein Schild auf der Plattform empfahl Touristen, die sich angemessen benehmen wollen, auf öffentlichen Plätzen keine lauten Unterhaltungen zu führen.

Strikte Regeln in Zügen und U-Bahnen

Die Stille setzt sich in den öffentlichen Verkehrsmitteln in Japan fort. Bereits auf dem Zubringer vom Flughafen nach Tokio fiel mir auf, dass außer meinem Reisebegleiter und mir niemand ein Wort sprach. Man hätte die sprichwörtliche Stecknadel fallen hören. In der U-Bahn hörte ich sogar eine Durchsage: „Bitte respektieren Sie die Privatsphäre der Mitreisenden und unterlassen Sie Gespräche.“ Dementsprechend starrten fast alle Passagiere still auf ihre Handys.

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Etwas entspannter im Bus

In den Bussen empfand ich die Atmosphäre als etwas lockerer. Zwar wird auch hier nicht telefoniert, Musik gehört oder laut gelacht, aber diskrete Unterhaltungen scheinen okay zu sein. Mir sind jedenfalls keine „strafenden Blicke“ aufgefallen, wenn ich ein paar Sätze mit meinem Reisebegleiter wechselte. Vor allem in Kyoto konnte ich beobachten, dass die Kultur der Stille etwas lockerer ist – vielleicht, weil die vielen Touristen und Expats die strengen Gepflogenheiten schon etwas aufgeweicht haben.

Unterschiede zwischen Stadt und Land

Überhaupt habe ich festgestellt, dass das „Ruhe, bitte!“-Gebot in Japan nicht überall gleich gesehen wird. Während in Tokio in der U-Bahn wirklich Totenstille herrscht, war das in Kyoto schon nicht mehr so streng. In einem Pendlerzug in Takamatsu erlebte ich fröhliche Unterhaltungen zwischen Kollegen und sogar leise kichernde Teenager. 

Lebhafte Restaurants und stille Teehäuser

In japanischen Restaurants hingegen habe ich meistens eine sehr lebhafte und gelöste Atmosphäre erlebt – hier muss niemand man sein Essen in andächtiger Stille einnehmen. Es wird diskutiert, gelacht und geflirtet. Ausnahmen sind Restaurants, die wie eine Bar arrangiert sind, und wo jeder für sich alleine isst. Angesichts der japanischen Single-Gesellschaft gibt es immer mehr dieser Gaststätten. Auch bei der traditionellen Teezeremonie herrscht absolute Ruhe, um die feierliche Prozedur gebührend zu würdigen.

Bei einer Zugfahrt in Tokyo war unsere Autorin überrascht davon, dass keiner sich unterhält
Bei einer Zugfahrt in Tokyo war unsere Autorin überrascht davon, dass keiner sich unterhält Foto: Getty Images

Diskretion auf der Toilette

Die japanischen Toiletten sind weltweit für ihre verschiedenen Features bekannt (wie die verschiedenen Bidetfunktionen oder die WC-Sitzheizung). Besonders schön fand ich aber die „Privacy“-Taste: Bei eventuellen „Störgeräuschen“ auf dem „stille Örtchen“ erzeugt diese Taste Geräusche wie Meeresrauschen oder Vogelgezwitscher. So werden andere „Töne“ elegant überspielt. 

Ruhige Badehäuser und leise Unterkünfte

Mit Gebrüll rein ins Spaßbad? Nicht in den Onsen, den japanischen Badehäusern. Im Onsen ist Ruhe oberstes Gebot. Hier trifft man keine tobenden Kinder oder feiernde Gruppen, wie bei uns im Freibad. Der Onsen ist ein Ort der Entspannung und Reflexion. Bei meinem Besuch im „Hirayu no mori“-Onsen tippelten die Badenden fast lautlos über die steinernen Wege, von Becken zu Becken, Gespräche fanden höchstens im Flüsterton statt. Auch in Hotels und Apartments fand ich oft den Hinweis, man möge bitte abends besonders leise sein oder sich nicht auf den Balkonen aufhalten, um die Nachbarn nicht zu stören.

Lautes Reden gegen Bären

Wo in Japan hingegen wirklich laut geredet wird – und das absichtlich – ist auf Wandertouren. Fast jeder Wanderer, der mir begegnet ist, rief mir ein lautstarkes „Konnichiwa!“ (Guten Tag) zu. Oft sind mir fröhlich quasselnde Schulklassen entgegengekommen, und manche Wanderer sangen oder pfiffen sogar. Das Grüßen ist sicherlich zum einen der japanischen Höflichkeit geschuldet, hat aber noch einen anderen Grund: In Japan gibt es 12.000 Braunbären und 44.000 Schwarzbären, immer wieder geschehen auch ernste Unfälle. Denn die Bären hören relativ schlecht. So kann es zu brenzligen Situationen kommen, wenn sie von Wanderern überrascht werden. Deswegen ist es üblich, beim Wandern laut zu sprechen oder Glöckchen am Rucksack zu tragen, um die Bären vorzuwarnen. 

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Bimmeln, Summen, Dudeln

Trotz der „Sprachlosigkeit“ in vielen Bereichen war ich teilweise geradezu überwältigt vom sonstigen Lärmpegel im öffentlichen Raum: Ampeln zwitschern bei „Grün“, Einkaufspassagen werden mit Musik geflutet, Rolltreppen bimmeln kurze Sound-Jingles beim Ankunft in der U-Bahn-Station, die Bustüren spielen eine Melodie, solange sie offen stehen und an den Bahnhöfen ertönen aus den Lautsprechern permanent Durchsagen. In den Bergregionen und Skigebieten gibt es sogar Sessellifte mit Musik. Auch in Privaträumen kann man von der japanischen Mitteilsamkeit überrascht werden: In einem meiner Apartments wies mich meine Badewanne per „Für Elise“-Summ-Melodie darauf hin, dass sie jetzt voll sei.

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Leise oder laut?

Insgesamt habe ich das Leben in Japan als deutlich leiser empfunden als in Deutschland. Besonders die Stille in den öffentlichen Verkehrsmitteln war eine wahre Wohltat, gerade, wenn mein Reisetag vollgepackt mit Eindrücken war. Allerdings muss ich zugeben, dass mir die kleinen, herzlichen Gespräche des Alltags und das spontane, entfernte Lachen hier und da auch an manchen Tagen gefehlt haben. Dennoch empfand ich die Stille in Japan vor allem als Ausdruck von Respekt und die Rücksichtnahme. Und beim nächsten Schrei-Telefonierer in der U-Bahn werde ich garantiert leise seufzend und mit etwas Sehnsucht an meine stillen Zugfahrten in Japan denken.

Themen Japan
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