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„Sterile Cockpit Rule“

Warum Piloten bei Start und Landung keinen Smalltalk halten dürfen

„Sterile Cockpit Rule“
Small Talk im Cockpit ist während Start und Landung nicht erlaubt Foto: Getty Images / Maravic
Annette Schimanski

15.11.2023, 14:22 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten

Wenn Piloten eine Maschine fliegen, reden sie natürlich auch miteinander, und dabei geht es nicht ausschließlich um Dinge, die unmittelbar mit dem Flug zu tun haben. Doch bei Start und Landung oder ab einer gewissen Flughöhe wird es ruhig im Cockpit. Das war nicht immer so. Doch nach einem tragischen Vorfall wurde den Piloten das Reden über nicht flugrelevante Themen untersagt.

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Am 11. September 1974 startete ein Flugzeug der Eastern Air Lines im US-amerikanischen Charleston in South Carolina nach Chicago – mit Zwischenstopp in Charlotte, North Carolina. Die Maschine sollte ihren Zielort jedoch nie erreichen. Sie stürzte ab und 72 der 78 Passagiere des Flugs 212 von Eastern Air Lines kamen ums Leben. Die US-amerikanische Verkehrsbehörde „National Transportation Safety Board“ stellte als Grund des Absturzes ein Fehlverhalten der Piloten fest. Diese hatten dem Landeanflug zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Weil sie in ein Gespräch über Politik und andere Themen vertieft waren, haben sie nicht die notwendigen Schritte eingeleitet. Das ergab die Auswertung des Stimmenrecorders. Die Konsequenz des Unglücks: eine Regel für das ruhige Cockpit – die „Sterile Cockpit Rule“.

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Die Katastrophe führte zur neuen Regelung

Die sogenannte „Sterile Cockpit Rule“ oder „Sterile Flight Deck Rule“ der US-Luftfahrtbehörde FAA (Federal Aviation Administration) besagt, dass sich kein Crew-Mitglied während der kritischen Phase eines Fluges Aktivitäten hingeben darf, die „andere Crew-Mitglieder von ihren Aufgaben ablenken oder die in irgendeiner Form die ordnungsgemäße Wahrnehmung der Aufgaben behindern könnten“.

Aktivitäten wie das „Einnehmen von Mahlzeiten, nicht-relevante Gespräche innerhalb des Cockpit und zwischen Cockpit- und Kabinenbesatzung oder das Lesen von Publikationen, die nicht mit der ordnungsgemäßen Durchführung des Flugs zu tun haben“, werden als von der FAA explizit aufgeführt und sollen unterlassen werden. Als kritische Phasen während eines Flugs werden eingestuft: das sogenannte Taxiing (auf dem Rollfeld), Start, Landung und Flugoperationen unterhalb von 10.000 Fuß (rund 3000 Meter). Nur für die Sicherheit des Flugzeugs wichtige Kommunikation ist erlaubt.

Ähnliche Vorschrift in Europa

Obgleich die Vorschrift der FAA nur für die USA gilt, gibt es auch in Europa eine ähnliche Regelung, die EU-OPS 1.085. Darin heißt es: „Der Kommandant darf den Besatzungsmitgliedern die Ausübung von Tätigkeiten während des Starts, des Anfangssteigfluges, des Endanfluges und der Landung nicht gestatten, wenn diese nicht für den sicheren Betrieb des Flugzeuges erforderlich sind.“

„Es ist selbstverständlich, dass man bei allen Flugbewegungen unter 10.000 Fuß keinen Small Talk betreibt und Aktivitäten durchführt, die vom Steuern des Flugzeuges ablenken könnten“, bestätigt Berufspilot Patrick Biedenkapp auf TRAVELBOOK-Nachfrage. Er arbeitet seit elf Jahren als Pilot und berichtet bei Instagram über seinen Job, seine Reisen und Ernährung. Biedenkapp hat nach eigenen Angaben noch nie miterlebt, dass die Regel jemals missachtet wurde. Er hält sie für sehr sinnvoll, da sich die Flugzeugbesatzung so auf die essenziellen Aufgaben konzentrieren kann.

Das Unglück von 1974 sei in der Piloten-Ausbildung nicht direkt thematisiert worden, so Biedenkapp. Aber andere Katastrophen gehörten zum Schulungsprogramm. „Die Luftfahrtbranche lernt von ihren Fehlern, und durch neue Verfahren und Systeme wird das Fliegen immer sicherer.“ Damit Fehler, wie sie sich 1974 ereigneten, nicht nochmals geschehen, würden halbjährige Simulatorflüge durchgeführt, bei denen unter anderem Anflüge bei schlechter Sicht trainiert werden, berichtet Biedenkapp.

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In welchen Fällen darf die Crew die „Sterile Cockpit Rule“ brechen?

Manchmal muss die Crew die Piloten von einer potenziellen Gefahr in der Kabine in Kenntnis setzen. Japan Airlines konkretisierte mögliche Gefahren und nannte unter anderem Feuer, Rauch, ungewöhnlichen Lärm, Vibrationen oder Fluglage als besondere Situationen, bei denen die Crew-Mitglieder den Piloten kontaktieren können, auch wenn sich die Maschine im Start- oder Landemodus befindet.

„Natürlich geht es bei der ‚Sterile Cockpit Rule‘ auch darum, dass die Cockpit-Crew in kritischen Flugphasen nicht von außen durch die Kabinenbesatzung gestört wird“, stimmt Biedenkapp zu, „aber sobald es sicherheitsrelevante Probleme gibt, soll bzw. müssen die Piloten informiert werden, egal zu welchem Zeitpunkt.“ Das Cockpit kann umgekehrt jederzeit Kontakt mit den Kollegen in der Kabine aufnehmen, um gewisse Durchsagen, zum Beispiel zur Evakuierung, durchzugeben.

Biedenkapp findet es dennoch ungewöhnlich, dass man in der Katastrophe von 1974 die Schuld so klar den Piloten zugesprochen hatte. Heutzutage seien die Abschlussberichte von Unfällen sehr objektiv, es werde niemandem direkt die Schuld zugewiesen und eher eine Art Empfehlung des Grundes für den Unfall notiert. Denn meistens, so hat der Berufspilot das wiederholt in seiner Ausbildung gelernt, seien Flugzeugabstürze eine Verkettung verschiedener Vorfälle und selten auf einen einzigen Grund zurückzuführen.

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