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Die Schattenseiten von „Working Holiday“

Wie Globetrotter in Australien ausgebeutet werden

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Angelika Pickardt
Redaktionsleiterin

20. Mai 2015, 11:27 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten

Für viele ist es der Traum schlechthin: mehrere Monate durch Australien reisen, das Great Barrier Reef, die Great Ocean Road und den Ayers Rock besuchen. Um sich eine solche Reise finanzieren zu können, setzen viele auf das sogenannte Working-Holiday-Visum. Allerdings läuft hier offenbar längst nicht alles so rosig, wie es den Anschein hat – Berichte von Ausbeutung und miesen Arbeitsbedingungen machen die Runde. TRAVELBOOK hakte nach.

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Es waren keine schöne Bilder, die der australische TV-Sender ABC Anfang dieses Monats in der Investigativ-Sendung „Four Corners“ zeigte. Sklavenähnliche Zustände auf Farmen waren dort zu sehen, Beschimpfungen und Belästigungen der Arbeiter, junge Frauen, die von sexueller Belästigung sprachen. Opfer der laut ABC zum Teil „menschenunwürdigen Zustände“: junge Rucksackreisende, hauptsächlich aus Europa und Asien, die sich mit einem Working-Holiday-Visum (WHV) ihren Traum vom großen Australien-Abenteuer erfüllen wollten.

Glaubt man der ABC-Reportage, in der auch Aufnahmen mit versteckter Kamera zu sehen sind, wird der Traum für einige Backpacker vor Ort zu einem regelrechten Albtraum. „Ich habe mich gefühlt wie eine Sklavin“, sagt eine junge Britin namens Molly, die in Queensland auf einer Gemüsefarm Arbeit gefunden hatte. „Es war, als hätte man uns in der Zeit zurückversetzt. Es war verrückt, man hat uns einfach unmenschlich behandelt.“ Von hohen Gebühren für die Vermittlung eines Arbeitsplatzes ist die Rede, von horrenden Kosten für die Unterkunft und von nicht gezahlten Löhnen. Eine andere Backpackerin sagt nach ihren schlimmen Erfahrungen: „Ich habe dadurch Australien als Land infrage gestellt.“

Durch die Ausnutzung junger Rucksackreisender als billige Arbeitskräfte werde Australiens internationaler Ruf aufs Spiel gesetzt, warnt auch die australische Arbeitsrechtlerin und Migrationsexpertin Joanna Howe von der University of Adelaide Law School. „Wir würden das niemals akzeptieren, wenn es australische Arbeiter wären, die man so behandelte“, sagt Howe in der TV-Sendung.

Wichtige Zielgruppe

Für die australische Regierung sind Berichte wie der von ABC eine Katastrophe. Nicht nur, dass Rucksacktouristen mit rund zehn Prozent einen signifikanten Anteil aller Urlauber in Australien ausmachen – sie bringen dem Land durch ihre überdurchschnittlich lange Aufenthaltsdauer auch besonders hohe Einnahmen. So geben Backpacker ohne WHV im Schnitt 5432 Australische Dollar (ca. 3858 Euro) während ihrer Reise aus – 60 Prozent mehr als alle anderen Australien-Touristen. Bei Backpackern mit WHV, die im Schnitt etwa acht Monate im Land bleiben, liegen die Ausgaben sogar bei mehr als 13.000 Australische Dollar (ca. 9234 Euro) pro Person. Das geht aus einer 2012 veröffentlichten Studie der australischen Tourismusbehörde hervor, die sich mit der Bedeutung von Working-Holiday-Visa für die australische Wirtschaft beschäftigte.

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Australien erkunden und die Reise durch Jobben finanzieren: Viele Backpacker setzen auf Working-Holiday-Visa. Foto: Getty Images

Insgesamt 229.378 solcher Visa wurden laut einem Bericht der australischen Regierung allein zwischen 2013 und 2014 ausgestellt, davon 25.207 an Reisende aus Deutschland. Wie wichtig das WHV für Australien-Touristen ist, zeigt eine Umfrage, die das National Centre for Australian Studies der Monash University vergangenes Jahr unter internationalen Backpackern durchgeführt hat. 62 Prozent der Befragten gaben an, dass sie durch die Möglichkeit des WHV überhaupt erst zu einer Reise nach Australien motiviert wurden. 32 Prozent der Umfrageteilnehmer gab sogar an, dass ein Besuch des Landes ohne Working-Holiday-Visum für sie überhaupt nicht möglich gewesen wäre.

„Mein Chef warf mit Gegenständen um sich“

Der ABC-Bericht kratzt nun am Image des Vorzeigeprojekts. Und es ist nicht der einzige Hinweis darauf, dass beim WHV-System nicht alles so glatt läuft, wie man es sich wohl wünschen würde. Im Internet kursieren einige Negativberichte von Rucksackreisenden, die vor Ausbeutung auf Farmen oder in anderen Betrieben warnen, und auch viele deutsche Reiseblogger berichten von zum Teil negativen Erfahrungen, die sie mit Working Holiday in Australien gemacht haben.

„Die schlimmste Arbeit meines Lebens hatte ich in Katherine bei Darwin“, berichtet etwa Adriane Lochner, die den Blog Globestories.com betreibt, auf Nachfrage von TRAVELBOOK. „Ich musste in sengender Hitze Zitronenbäume ausschneiden, bewaffnet nur mit einem Fuchsschwanz, weil die Motorsäge einige Tage zuvor explodiert war. Die Zitronenbaumäste haben lange Stacheln und häufig Wespennester – ich wurde mehr als einmal gestochen.“ Mit giftigen Spinnen und Schlangen hatte Felicia Hargaten von Travelicia.de während ihrer Arbeit auf einer Grapefruitfarm zu kämpfen. „Schlimm war dort auch die knallende Sonne, der man nonstop ausgesetzt war“, erklärt sie.

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Zitronenernte: mit den falschen Gerätschaften ein Knochenjob. Foto: Getty Images

Anja Knorr von Happybackpacker.de hat unter anderem bei einer Firma gearbeitet, die auf Teppichreinigung und Schädlingskontrollen spezialisiert war. In einer ausgebauten Garage war ihr „Büro“, wo sie telefonische Anfragen entgegennehmen musste. „Das war furchtbar“, erinnert sich Knorr, „und bei stressigen Situationen ist der Eigentümer ausfallend geworden und warf mit Gegenständen um sich und drohte, mich zu feuern. Was er letzten Endes auch irgendwann getan hat. Einfach so, von heute auf morgen.“

Reiseblogger Matthias Sleibnink hat vier Wochen in einer Fabrik in Queensland gearbeitet, die Tafelweintrauben produziert. Gearbeitet wurde an sechs Tagen die Woche, geschlafen hat er im Auto, da das günstiger war als in einer der Baracken, die an die Arbeiter vermietet wurden. „Auf einen guten Stundenlohn kamen wir nie. Auch nicht die Leute, die schon viel länger da waren und mehr Routine hatten“, erzählt er TRAVELBOOK. „Die Vorabeiter waren freundlich, wurden aber auch richtig laut, wenn die Arbeit nicht so gemacht wurde wie gewünscht. Nach der Arbeit war man richtig fertig. Außer Essen und Schlafen gab es keine Abwechslung.“

Mehr Überwachung gewünscht

Auf die in der ABC-Reportage dargestellten Missstände hat die australische Regierung bereits reagiert und eine Reform der Working-Holiday-Visa angekündigt, wie ABC auf seiner Website berichtet. So soll eine offizielle Gehaltsbescheinigung eingeführt werden – allerdings erst, wenn das Visum für ein zweites Jahr erneuert werde. Um dieses zweite Working-Holiday-Visum zu bekommen, müssen Backpacker allerdings mindestens drei Monate lang auf einer Farm gearbeitet haben.

Gerade diese Auflage nutzten einige Farmer oft aus, sagt Nadja Rieger, die den Reiseblog Ohthehappysinner.de betreibt und selbst schon – neben vielen guten – auch eine schlechte Erfahrung bei einem australischen Arbeitgeber gemacht hat. „Ich finde, Farmer sollten wenn möglich mehr durch außenstehende Instanzen überprüft werden“, schlägt sie auf Nachfrage von TRAVEBOOK vor. „Praktisch wäre auch eine Bewertungsplattform, auf der Backpacker ihre Erfahrungen auf den verschiedenen Farmen teilen können, was einem dann vielleicht eine schlechte Erfahrung auf einer Farm erspart.“

Dieser Ansicht ist auch Carolin Pilligrath von Breathingtravel.com, die ebenfalls schon Working Travel in Australien gemacht hat. „Eine Überwachung würde Backpackern allgemein mehr Sicherheit in dieser Hinsicht geben, denke ich. Somit kennen Arbeitgeber auch ihre Grenzen. Ich denke, es bringt den Farmen ebenso mehr, wenn sie wissen, dass es den Backpackern gut geht und diese gewillt sind, gut zu arbeiten – und nicht nach ein paar Tagen schon wieder gehen, weil die Arbeitsbedingungen zu schlecht sind.“

Viele positive Beispiele

Doch natürlich ist nicht alles schlecht am beliebten Working-Holiday-Visum. Der Großteil der von TRAVELBOOK befragten Reiseblogger hat gute Erfahrung mit dem Programm gemacht und würde sich jederzeit erneut für diesen Weg entscheiden, um Australien bereisen zu können. Anja Knorr hat sich, trotz der oben beschriebenen Negativerfahrung, unsterblich in Land und Leute verliebt und ist anschließend noch drei Jahre in Down Under geblieben. „Das Working Holiday hat mich sozusagen angefüttert und Lust auf noch mehr Australien gemacht“, sagt sie rückblickend.

Auch Carina Herrmann von Pink Compass kann nur Positives berichten. In ihren elf Monaten Australien hatte sie drei verschiedene Jobs – alle gut bezahlt. Unter anderem hat sie bei einem Kinder-Fotografen gejobbt, der von einer Shoppingmall zur nächsten gezogen ist und dort Kinder fotografiert hat, um die Fotopakete anschließend an die Eltern zu verkaufen. „Dabei habe ich Unterkunft, Reisekosten und teilweise ein eigenes Auto gestellt bekommen und hatte zusätzlich einen Wochenlohn (bei 5 Tagen Arbeit) von etwa 650 australischen Dollar – das war ein toller Verdienst, der mir anschließend drei weitere Monate aktiven Reisens finanziert hat!“

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Wie man an gute Jobs kommt

Schwarze Schafe gibt es unter den Betrieben, die Rucksackreisende aus Übersee anheuern, immer. Deshalb sollte man sich die Angebote genau anschauen und im Netz nach Erfahrungsberichten zu bestimmten Anbietern schauen. Gute Englischkenntnisse sind auf jeden Fall von Vorteil, sagt Reisebloggerin Anja Knorr. „Wenn du die Sprache nicht sprichst, mach einen Sprachkurs! Die Sprache ist der Schlüssel zum Erfolg bei der Jobsuche.“ Besonders gute Jobchancen soll es zurzeit an der weniger besuchten Westküste Australiens geben.

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In fast jedem Hostel in Australien gibt es Schwarze Bretter. Neben Touren-Angeboten hängen hier auch fast immer Jobs. Foto: Getty Images

Gute Anlaufstellen sind Hostels, in denen immer Schwarze Bretter mit Jobangeboten hängen. „Dann sollte man sich bei verschiedenen Zeitarbeitsfirmen anmelden. Die suchen Jobs für einen aus“, sagt Anja Knorr. „Und jeden Tag die örtliche Tageszeitung lesen und die Annoncen scannen. Sagt einem die Stelle zu, einfach persönlich vorbeimarschieren und vorstellen. Initiative scheint gut in Down Under anzukommen!“

Adriane Lochner gibt Reisenden, die sich für Arbeit auf dem Feld begeistern, folgende Tipps: „Weg von Zitrusfrüchten oder Bananen, die haben Stacheln und sind voller Ungeziefer. Melonensamenstecken ist schlecht für den Rücken. Am angenehmsten ist Äpfelpflücken. Aber auch da nie nach Gewicht bezahlen lassen, sondern immer nach Arbeitszeit!“ Nadja Rieger rät: „Fragt andere Backpacker oder Leute, die ihr kennt, ob sie jemanden kennen, der einen Job für euch hat. So habe ich zwei Jobs bekommen!“

Reisebloggerin Evelin Chudak von Modernhippie.de sagt: „Ich würde mich eher auf Jobs konzentrieren, die man mit einem Gewerbeschein ausüben kann, zum Beispiel als Promoter, Event-Hostess oder andere Jobs, die man selbstständig ausführen kann. Das bringt mehr Geld ein und man ist flexibel. Viele Backpacker wissen gar nicht, dass man während der Zeit das Recht auf einen Gewerbeschein hat.“

Und Carina Herrmann hat ebenfalls einen wichtigen Tipp für alle Backpacker: „Ich würde auf keinen Fall ohne finanziellen Puffer einreisen. Die Jobsuche kann sich ordentlich hinziehen, und auch ich habe drei Wochen gebraucht, um meinen ersten Job zu finden.“

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