
2. Juni 2025, 10:58 Uhr | Lesezeit: 23 Minuten
Wie geht Reisen mit einer Behinderung? Wie barrierefrei sind die Reiseziele? Und auf welche Herausforderungen stößt man, wenn man mit einem Rollstuhl auf Reisen geht? Diese und andere Fragen hat TRAVELBOOK-Autorin Anna Wengel (Chiodo) dem Begründer von „Wheel Around the World“, Shane Hryhorec, bei einem Interview in Melbourne gestellt.
Barrierefreiheit spielt in der Reiseindustrie nur am Rand eine Rolle. Viel hat sich in den letzten Jahren vielerorts getan, sehr viel muss sich noch ändern. Einer, der sein Leben dieser Veränderung gewidmet hat, ist Shane Hryhorec.
Wer ist Shane Hryhorec?
Der gebürtige Australier sitzt seit einem Schwimmunfall im Jahr 2007 wegen einer Rückenmarksverletzung im Rollstuhl. Davon unterkriegen lässt er sich nicht. Er reist mitsamt Rollstuhl durch die Welt und dokumentiert seine guten wie schlechten Erfahrungen. Shanes YouTube-Kanal „Wheel Around the World“ und die damit vernetzten Kanäle erreichen Millionen Zuschauer. Mit der Initiative „Accessible Beaches“ sorgte der Sohn eines ukrainischen Vaters dafür, dass (bisher) 160 australische Strände barrierefrei zugänglich wurden. Erst kürzlich hat er mit „Co-able“ einen barrierefreien Wellness- und Gesundheitsort in Port Adelaide geschaffen. Und nicht zuletzt wurde Shane in diesem Jahr für den Award Australian of the Year als „Local Hero“ nominiert.

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Shane Hryhorec im Interview mit TRAVELBOOK
Ich durfte Shane in Melbourne, Australien, zum Interview treffen, wo er etwa die Hälfte der Zeit wohnt. Die andere Hälfte lebt er in seiner Heimatstadt Adelaide oder reist mit Rollstuhl und Kamera um die Welt. Und wenn ich eine persönliche Note vorab machen darf: Ich bin ehrlich begeistert und berührt von der Energie, dem Witz und der Leichtigkeit, mit der Shane über seine Arbeit und seine nicht unbedingt immer positiven Erfahrungen von seinem Reiseleben im Rollstuhl spricht. Das hat er mir erzählt:
TRAVELBOOK: Wie viel Zeit verbringst du auf Reisen?
Shane Hryhorec: Ich fahre mindestens einmal im Jahr ins Ausland, davon jedes zweite Jahr nach Europa, meist auch nach Deutschland. Allerdings habe ich erst vor zwölf Monaten mit „Wheel Around the World“ angefangen. Davor war ich meist zwischen einem und drei Monaten unterwegs. Im letzten Jahr war ich fünf der zwölf Monate auf Reisen.
Wo in Deutschland fährst du gern hin?
Jedes zweite Jahr veranstaltet ein Behindertenunternehmen, von dem ich Teil bin, eine große Messe in Düsseldorf, an der ich teilnehme. In München komme ich normalerweise zum Oktoberfest, obwohl ich vor drei Jahren aufgehört habe, Alkohol zu trinken – ich versuche auf hohem Niveau zu arbeiten, also meine Unternehmen und Wohltätigkeitsorganisationen zu leiten und da passt Alkohol und vor allem der Kater danach nicht zu. Das einzige Mal, dass ich in den drei Jahren überhaupt Alkohol getrunken habe, war auf dem Oktoberfest in München. Und auch nur, weil ich das Zelt mit dem Nicht-alkoholischen Bier nicht finden konnte und deshalb eine Ausnahme gemacht habe. Die Erfahrung hat mich am Ende nochmal bestärkt, dass die Entscheidung, den Alkohol gänzlich aus meinem Leben zu verbannen, eine der besten meines Lebens war.
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Was ist die beste Reiseentscheidung, die du in deinem Leben getroffen hast?
Die Entscheidung, zu reisen und dies zu dokumentieren. Das war auf Bali im März letzten Jahres. Es war das erste Mal, dass ich eine Reise unternommen habe, um sie festzuhalten und meine Erfahrungen zu teilen. Es war großartig, weil ich viel über die Macht des Geschichtenerzählens gelernt habe. Ich habe gelernt, dass ich durch das Erstellen von Inhalten und das Teilen meiner Geschichte vielen Menschen helfen und den Tourismus verbessern kann.
Wie war die Erfahrung auf Bali?
Bali ist eine Herausforderung für Menschen mit Behinderungen. Die Fußwege sind nicht besonders gut zugänglich, Restaurants sind nicht zugänglich, Touristenattraktionen sind nicht zugänglich. Ich mag Herausforderungen und auch, meine Umgebung herauszufordern, aber nach einer Weile wird es anstrengend. Nach einer Woche auf Bali freut man sich darauf, nach Australien zurückzukehren, wo die Dinge etwas zugänglicher sind.

Wie sieht es in Australien für Menschen mit Behinderungen aus?
Australien ist ziemlich gut, aber es ist noch nicht da, wo es sein sollte. Ich bewerte Australien mit 7 von 10 Punkten für die allgemeine Barrierefreiheit. Viele Unternehmen in Australien sind immer noch nicht barrierefrei, das Gleiche gilt für viele Häuser. Wir haben noch einen langen Weg vor uns.
Wie bewertest du Deutschland?
Wahrscheinlich eine 8 von 10. Deutschland ist ziemlich gut was die Barrierefreiheit betrifft. Eines der Probleme sind aber die Häuser. Es gibt viele ältere Häuser, so dass auch die vieler meiner Freunde nicht leicht zugänglich sind. Es gibt auch einige andere Herausforderungen, wie zum Beispiel Geschäfte, in die man nur über eine Stufe gelangt, aber im Allgemeinen finde ich, dass Deutschland ziemlich gut ist. In Berlin zum Beispiel gibt es viele Geschäfte, die noch eine Stufe haben, was aber in Europa insgesamt sehr üblich ist. In Galerien zu gehen ist mittlerweile meist einfach, da scheint es eine Einheitlichkeit zu geben. Aber vor allem in ländlichen Gegenden wird es schwieriger. Je größer und entwickelter die Stadt ist, desto besser ist die Zugänglichkeit.
Du hast gesagt, dass du jedes zweite Jahr nach Europa reist – wohin reist du in den anderen Jahren?
Ich war in Taiwan, Japan, Südkorea, in der Türkei, auf Bali, in Thailand, Fidschi, Neuseeland und Amerika. Amerika habe ich drei oder vier Mal bereist. In Europa und in Amerika fahre ich normalerweise an dieselben Orte. In Amerika fliege ich normalerweise nach Los Angeles und fahre dann nach Las Vegas und San Francisco und wieder zurück nach L.A.
Welcher der Orte, die du besucht hast, war in Bezug auf die Zugänglichkeit besonders gut?
Grenoble in Frankreich. Ich kam da gerade von einer achttägigen Katastrophen-Kreuzfahrt auf meiner Europareise. Die Barrierefreiheit auf dem MSC-Schiff war ein Albtraum. Als die Kreuzfahrt zu Ende war, dachte ich mir, ich muss weg vom Strand und von den Leuten, also setzte ich mich ins Auto und fuhr Richtung Norden. Eigentlich wollte ich nur eine Nacht in Grenoble bleiben. Aber als ich dort ankam, war es leer, alle hatten Grenoble verlassen, um an den Strand zu gehen. Und ich hatte den Strand verlassen, um nach Grenoble zu fahren – und ich liebte es.
Ich blieb sechs Tage. Die öffentlichen Verkehrsmittel, die Fußwege, so ziemlich alles, was ich gemacht habe, war so einfach zu erreichen, und es war einfach so schön. Das ist wahrscheinlich eine der schönsten inklusiven Städte, in denen ich in meinem Leben gewesen bin. Grenoble war von allen Orten, an denen ich bisher war, definitiv der beste. Es ist zwar nicht perfekt, aber es ist definitiv der beste.
Welche Orte haben dich am meisten enttäuscht?
Südkorea war eine der größten Herausforderungen für mich. Als ich von Japan nach Südkorea flog, hatte ich die schlimmste Flugerfahrung meines Lebens. Beim Check-in hatten sie Probleme mit meinen Batterien. Ich wartete drei Stunden und dachte, ich würde gar nicht mehr fliegen. Ich habe sogar nachgeschaut, ob ich eine Fähre nehmen kann. 15 Minuten vor Abflug durfte ich dann endlich durch die Sicherheitskontrolle gehen. Das war so stressig. Ich habe das gefilmt und das Video wurde oft angeklickt, aber die Erfahrung selbst war einfach anstrengend für mich.
Als ich in Südkorea ankam, war ich erschöpft – und kam da in ein Hotel, das nicht barrierefrei war. Ich wollte ins Schwimmbad, doch die Auffahrt war so steil, dass ich Hilfe brauchte, um hinunter und wieder hinauf zu kommen. Als ich dann endlich am Schwimmbad war, sagten sie mir, dass ich mit meinem Rollstuhl nicht hinein dürfe. Ich habe sie praktisch angefleht und am Ende haben sie mich reingelassen.
Es war wirklich schön, dort zu schwimmen. Aber an einigen Orten wie Bali, Japan und Südkorea, um nur ein paar Beispiele zu nennen, sieht man kaum Menschen mit Behinderungen. Sie werden von der Gesellschaft sozusagen versteckt. Viele Menschen mit Behinderungen bleiben zu Hause, so dass es Erwachsene in ihren 20ern gibt, die noch nie das Haus verlassen haben. Die Menschen in der Gemeinschaft wissen daher gar nicht, wie man mit Behinderungen umgeht. Die Menschen kämpfen dort nicht für Gleichberechtigung und bessere Qualität, entsprechend sehen sie keine Verbesserungen.
Und dann komme ich daher und frage, warum zum Teufel ich da nicht rein darf und fordere es heraus. Und schon bin ich dabei. Das ist nur ein Beispiel für Südkorea, das zeigt, dass jede Interaktion die Wahrnehmung verändert. Als ich das zweite Mal am Schwimmbad war, waren sie viel entspannter. Sie haben gemerkt, dass ich okay bin und es allen gut geht, sie mussten nur darüber hinwegkommen. Und das taten sie auch, es war eine großartige Lernerfahrung für alle.

Erinnerst du dich an deine erste Reise mit dem Rollstuhl? Wie war die Erfahrung?
Ja, meine erste Reise nach dem Unfall ging nach Cairns in Australien. Das ist jetzt fast 20 Jahre her. Ich fuhr mit einem guten Freund aus Adelaide dorthin und es war ein ziemlicher Schock. Viele Dinge, die ich gerne tue, konnte ich nicht mehr auf dieselbe Art und Weise tun, zum Beispiel in einen Nachtclub gehen, der in oberen Stockwerken oder im Keller lag. Außerdem war es einigen Leuten unangenehm, jemanden mit einer Behinderung in einer Bar zu treffen. Ich lernte dort meine Behinderung kennen, aber auch, wie Menschen von einer Behinderung betroffen sind. Ich lernte auch, wie man mit einer Behinderung reist und es war eine ziemlich gute erste Erfahrung, auch weil ich ein wenig über meine Einschränkungen lernte.
Eine der größten Herausforderungen damals war die Müdigkeit. Einen Rollstuhl über weite Strecken zu bewegen, ist sehr, sehr anstrengend und ermüdend. Im Moment habe ich einen mit Motor, aber die sind erst seit etwa 13 Jahren auf den Markt. Davor musste man selbst schieben, das war sehr anstrengend. Außerdem war man oft auf die Hilfe anderer angewiesen. Ich glaube, das war der größte Wendepunkt für das Reisen. Jetzt haben wir Hilfsmotoren, die Menschen wie mir helfen, viel mehr zu erkunden, ohne Energie zu verbrauchen. Geht es bergauf, kann ich den Berg hinauffahren. Das hat die Art und Weise, wie ich reise, völlig verändert.
Trotzdem war meine erste Reise eine wirklich tolle Erfahrung. Es war einfach anders. Ich habe dort auch zum ersten Mal einige der Dinge erlebt, die Menschen behindert fühlen lassen – und das ist die Umwelt. Hügel oder touristische Aktivitäten, die nicht vollständig barrierefrei sind. So viele Dinge, die man nicht tun kann. Es gibt immer Dinge, die man tun kann, aber auch eine Menge, die man nicht tun kann. Viele Orte behaupten, sie seien barrierefrei, aber wenn man dort ist, stellt man fest, dass sie es nicht sind.
Auf welche Hindernisse triffst du unterwegs am meisten?
Hotels. Am bequemsten bucht man über Plattformen wie Booking.com. Dort kennzeichnen sich die Hotels selbst als barrierefrei, man bucht man es – und dann kommt man dort an und oft ist es nicht das, was versprochen wurde. Oder das Hotel hat sein barrierefreies Zimmer an eine Person ohne Behinderung vergeben. Das ist eine der größten Herausforderungen. Bei der Hälfte all meiner Buchungen bekomme ich ein Zimmer, das nicht barrierefrei ist. Da ich an so vielen Orten übernachte, habe ich keine Zeit, immer anzurufen und nachzufragen. Also fahre ich hin und kläre Probleme vor Ort. Damit, dass ich diese Erfahrungen filme und veröffentliche, möchte ich zeigen, wie die Realität wirklich ist.
Wenn Hotels ein barrierefreies Zimmer versprochen, dann aber schon an jemanden ohne Behinderung vergeben haben, sind sie in der Regel bereit, die andere Person zu bitten, das Zimmer zu wechseln?
In der Regel sagen sie einem nicht, dass es ein Problem gibt. Sie versuchen meist einfach, die Probleme zu lösen, ohne dass man weiß, was los ist. Sie sagen nie: „Es tut mir wirklich leid, dass wir das Zimmer an Leute vergeben haben, die es nicht brauchen“ – aber ich bin gut darin, die Gründe aus ihnen herauszubekommen. Und dann frage ich immer wieder nach, warum. Irgendwann geben sie zu, dass in den Zimmern Leute wohnen, die keine barrierefreien Zimmer brauchen. Das ist eins der größten Probleme. Jemand ohne Behinderung kann ein barrierefreies Zimmer nutzen, aber jemand mit Behinderung, der ein barrierefreies Bad braucht, kann kein nicht-behindertengerechtes Zimmer nutzen. Würden einfach mehr barrierefreie Zimmer gebaut werden, wäre das Problem gelöst.
Wie oft musst du das Hotel wechseln – oder finden die Hotels meist eine Lösung?
Nicht so oft. Als ich vor Kurzem in Wien war, hatte ich ein Zimmer für vier Nächte gebucht. Die erste Nacht war eine Katastrophe, also bin ich nur eine Nacht geblieben und dann in ein anderes Hotel umgezogen. Manchmal ist es einfacher, für den Moment dort zu bleiben. Bekommt man ein Zimmer, das DDA- (Anm. d. Red.: australischer Disability Discrimination Act) oder ADA- (Anm. d. Red.: Americans with Disabilities Act) konform ist, ist eine gute Erfahrung so gut wie garantiert. Aber manchmal kriegt man es auch ohne hin. Es ist schwieriger und nicht so angenehm, aber man schafft es einfach. Ich liebe es zum Beispiel, morgens zu schwimmen und so übernachte ich manchmal in einem Hotel, wo ich nicht einmal das Bad benutze. Ich wache morgens früh auf, schwimme zwei Kilometer und dusche dann dort.
Wie gehst du mit solchen Situationen um, in denen du umziehen musst?
Das ist ein Teil des Reisens. Man muss damit umgehen können, sonst kann man nicht reisen.
Wirst du auch manchmal wütend? Oder hast du dich daran gewöhnt?
Ich werde auf jeden Fall wütend, aber ich erwarte es mittlerweile einfach; ich glaube, es ist eine Frage der Einstellung. Ich lasse mich einfach darauf ein und erwarte jedes Mal, dass irgendwas problematisch sein wird – und ist das nicht der Fall, feiere ich es. Meine Sichtweise hat sich geändert, aber es zermürbt einen auch.
Ein gutes Beispiel ist meine Erfahrung mit einem Hotel in Nizza:
Die Geschichte begann jedoch schon früher: Ich kam vom Comer See zu einem Landhaus in Italien, in dem ich drei Tage bleiben sollte, in das ich aber nicht einmal reinkam. Ich zog also weiter zu einem Hotel, das ich online gebucht hatte, das sein letztes barrierefreies Zimmer an jemanden ohne Behinderung gegeben hatte. Und dann kam ich in Nizza an, wo das letzte barrierefreie Zimmer ebenfalls an jemanden vergeben wurde, der keine Behinderung hatte. Das war anstrengend. Von dort ging es weiter nach Marseille, zu der schon erwähnten Katastrophen-Kreuzfahrt. Dann kam ich nach Grenoble. Ich plane, jeden August dorthin zu fahren und eine Woche dort zu verbringen, wenn die meisten Menschen nicht dort und stattdessen am Strand sind.
Welche Rolle spielt Planung für dich und wie viel Spontanität ist möglich?
Ich plane wenig. Ich bin ein spontaner Reisender und so mag ich es auch. Auf diese Weise reisen Menschen ohne Behinderungen oft. Warum sollten Menschen mit Behinderungen das nicht auch tun? Ich reise einfach gerne wohin ich will, wann ich will. Ich buche am liebsten meine Termine für die Hin- und Rückreise, und der Rest ergibt sich unterwegs. Normalerweise buche ich ein paar Tage im Voraus. Als ich kürzlich in Taiwan war, kam ich gerade von einem zweiwöchigen Aufenthalt zurück, und habe das buchstäblich ein oder zwei Tage im Voraus gebucht. Das ist typischerweise meine Art zu reisen. Denn wenn mir ein Ort gefällt, kann ich länger bleiben, und wenn nicht, kann ich einfach wieder fahren.
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Aber du schaust schon immer, ob ein Hotel, Sehenswürdigkeiten, Cafés und Co. barrierefrei sind? Oder fährst du auch einfach spontan hin?
Ich recherchiere vorher immer. Ich buche immer Hotels, die angeben, dass sie barrierefrei sind. Bei jedem Geschäft, in das ich gehe, schaue ich vorher nach. Geht man in eine moderne Galerie oder ein modernes Museum, ist man so gut wie sicher, dass sie barrierefrei sind. Aber jede andere Aktivität recherchiere ich vorher.
Ist die Barrierefreiheit von Geschäften, Restaurants und Co. die zweitgrößte Herausforderung unterwegs?
Ja, die Barrierefreiheit von Geschäften, wie Cafés und Restaurants, aber auch generell die Suche nach barrierefreien Orten. Kürzlich hat Google ein blaues Symbol für Geschäfte eingeführt, das meiner Erfahrung nach zu etwa 40 Prozent korrekt ist. Es passiert oft, dass man zu einem Ort fährt, der ein blaues Symbol hat – und dann gibt es doch eine große Stufe, die man überwinden muss. Korrekte Informationen sind wahrscheinlich der schwierigste Teil. Aber ich glaube, dass sich trotzdem schon viel getan hat; jetzt gibt es entsprechende Technik. Plattformen wie Google könnten so einfach und schnell so viel möglich machen. Jedoch nur, wenn sie wollen – und das tun sie offensichtlich nicht. Ich habe schon bei Google angefragt, ob sie interessiert wären, mehr Kategorien für Barrierefreiheit aufzunehmen, sodass die Unternehmen mehr Informationen für die breite Öffentlichkeit bereitstellen können. Google erklärte daraufhin, dass dies derzeit keine Priorität habe.
Gibt es bestimmte Websites oder Apps, die du empfehlen kannst?
Keine. Ehrlich gesagt sollte keine einzige App erforderlich sein. Google könnte einfach mehr Informationen bereitstellen. Der Grund, warum es so viele Apps gibt, ist, dass die Menschen wissen wollen, was in der Gemeinschaft barrierefrei ist und was nicht. Wenn es ein Unternehmensverzeichnis bei Google gäbe und Google sich für die Inklusion einsetzen und diese Informationen einfügen würde, wäre das Problem gelöst.
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Du engagierst dich in deiner Arbeit für barrierefreies Reisen. Wie genau sieht dein Engagement aus? Was tust du selbst, um die Welt besser zugänglich zu machen?
Ich erzähle Geschichten und teile meine Erfahrungen. Es geht um Bewusstsein. Mir ist aufgefallen, dass das Video nach meiner Erfahrung in Nizza 15 Millionen Aufrufe auf verschiedenen Plattformen hatte. Kurz darauf habe ich Booking.com genutzt und festgestellt, dass die Suchfunktionen verbessert wurde. Die rufen natürlich nicht an und sagen: „Hey Shane, wir haben das Video gesehen, in dem du uns als Unternehmen beschämst und deshalb haben wir uns verbessert.“ Das werden sie nie tun. Aber es ist interessant, weil man den Weg der Veränderung ebnet. Geschichten zu erzählen ist ein Instrument der Veränderung und es ist großartig, wenn man sieht, dass es eine Wirkung hat.
In einem anderen Video war ich in Disneyland in Tokio und konnte mit keinem einzigen Fahrgeschäft fahren, mit keinem. Auch dieses Video schlug ein wie eine Bombe und jemand schrieb in den Kommentaren: „Ich wünschte, die Disney-Führungskräfte würden das sehen“. Und dann schrieb jemand zurück: „Ich arbeite bei Disney und ich garantiere, dass alle wichtigen Disney-Führungskräfte das gesehen haben.“ Der springende Punkt ist, dass es ein sehr mächtiges Werkzeug ist. Nach meiner MSC-Kreuzfahrt habe ich mich mit den Chefs von MSC Cruises getroffen und sie haben mir erzählt, was sie alles geändert haben. Lange Rede kurzer Sinn: Die Plattform für den Austausch von Erfahrungen, guten, schlechten und hässlichen, stellt Organisationen und den Tourismus als Ganzes in Frage. Und es liegt an ihnen, ob sie weiterhin solche Geschichten bekommen wollen oder ob sie ihr Angebot verbessern, indem sie es zugänglicher machen.
Was muss sich in der Reisebranche am meisten ändern?
Die Unterbringung, denn wenn man keine Unterkunft hat, kann man nicht reisen. Es gibt so vieles, was sich ändern muss, aber an erster Stelle stehen mehr barrierefreie Unterkünfte und mehr Informationen über zugängliche Unterkünfte. Es gibt so viele Aktivitäten, die man unternehmen kann, aber man kann sie nicht ausüben, wenn man keine Unterkunft in der Nähe der Aktivität hat.
Wie verhält es sich mit Verkehrsmitteln wie Flügen, Zügen usw.?
Das Fliegen mit einer Behinderung bereitet vielen Menschen aus verschiedenen Gründen große Sorgen. Wird die Ausrüstung beschädigt? Wird es Probleme mit meinen Batterien geben? Werden sie vom Kundenservice traumatisiert sein, von Menschen, die nicht wissen, wie sie mit behinderten Menschen umgehen sollen? Es gibt viele Ängste, die die Menschen mit dem Reisen verbinden und ein großer Teil davon hängt mit Training zusammen.

Es gibt definitiv viel Raum für Verbesserungen. Ich bin zum Beispiel mit dem Zug von Wien nach Deutschland gefahren und es sah so aus, als ob ich keinen Aufzug bekommen würde, um in den Zug zu kommen. In der letzten Minute ist dann jemand aufgetaucht, der das Problem gelöst hat und das war gut, aber es ist immer ein gewisser Stressfaktor. Ein nicht behinderter Mensch geht einfach die Treppe hoch. Es gibt viele Verkehrsmittel, die zugänglich sind, aber sie sind nur so zugänglich wie der Service, der sie umhüllt. Es gibt noch viel zu tun, was Abläufe und Einstellungen betrifft.
Das ist übrigens das Tolle am Verkehrswesen in Japan. Dort braucht man zum Beispiel nicht viel Hilfe, während man hier in Melbourne gar nicht in die Tram reinkommt. Die Stufen sind so hoch, dass andere denken müssen, dass wir uns in den 1920er Jahren befinden. An Orten wie Taiwan oder Tokio ist der Zugang einfach flach. Wenn Sie in neue öffentliche Verkehrsmittel investieren, machen Sie sie doch einfach inklusiv.
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Was hast du deiner Meinung nach bereits erreicht, zum Beispiel durch die Zusammenarbeit mit Anbietern oder politisches Engagement?
Ich denke, ich hatte Erfolg mit Booking.com. Indem ich meine Erfahrungen mitteile, bringt es diese Organisationen zum Nachdenken und dazu, sich zu fragen, wie sie es besser machen können. Organisationen sind sich in der Regel nicht bewusst, welche Auswirkungen sie auf Menschen mit Behinderungen haben. Es geht also darum, sich dessen bewusst zu werden. Und dann können sie sagen: Okay, wir wollen es besser machen – wie können wir es besser machen? Um ehrlich zu sein sind meine Videos Anleitungen, wie man das Problem lösen kann.
Meistens spreche ich einfach über das Problem, wie zum Beispiel bei der Disney-Kreuzfahrt. Da gab es eine Stufe zum Runtergehen, die musste da aber nicht sein. Ich habe ein Video darüber gemacht, das 1 Million Mal angeschaut wurde. Und plötzlich, ich weiß nicht, vielleicht hat Disney es gesehen, haben sie einfach eine Rampe eingebaut. Meistens kostet das kaum etwas. Große Organisationen können also kleine Veränderungen vornehmen, die einen großen Unterschied machen.
Ich habe gesehen, dass durch deinen Einsatz bereits 160 Strände in Australien barrierefrei sind – wie sieht ein barrierefreier Strand aus?
Ich habe 2016 eine Wohltätigkeitsorganisation mit dem Namen „Barrierefreie Strände“ gegründet, die Strände im ganzen Land zugänglicher machen soll. Es gibt etwa 12.000 Strände in Australien, 160 sind zugänglich. Um einen Strand barrierefrei zu machen, braucht man zugängliche Parkplätze, Fußwege, Strandmatten für Rollstühle, Schatten und Zugang zum Wasser. Das sind die wichtigsten Voraussetzungen dafür, dass Menschen mit Behinderungen den Strand besuchen und genießen können.
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Was denkst du über die Nominierung zum Australier des Jahres und hat sich dadurch etwas für dich oder in deiner Arbeit geändert?
Nicht wirklich. Ich glaube nicht, dass es viel verändert hat, aber es ist schwer zu sagen. Ich war sehr überrascht, dass ich nominiert wurde und in die Endrunde der Wahl gekommen bin. Aber es war schön, weil ich viel arbeite und versuche, die Dinge in Australien und auf der ganzen Welt zugänglicher und inklusiver zu machen. Wenn man anerkannt wird, ist das ein gutes Gefühl.
Was ist dein nächstes Reiseziel? Und worauf freust du dich am meisten?
Wir sind gerade in Gesprächen mit Produzenten, die „Wheel Around the World“ ins Fernsehen bringen wollen. Das ist sehr aufregend. Und es sieht so aus, als ob die erste Staffel eine Reise durch Australien sein wird, also wird das wahrscheinlich meine nächste große Reise werden, was ich wirklich toll finde. Aber ich werde ansonsten in der nächsten Zeit eine kleine Reisepause einlegen und warten, wie die erste Staffel so anläuft.
Was möchtest du den TRAVELBOOK-Lesern noch über dich, deine Arbeit, die Barrierefreiheit in der Reisewelt oder generell das Reisen mit Behinderung sagen?
Ich denke, es ist gut, darauf einzugehen, wie Reiseinhalte die Menschen beeinflussen können. Ein gutes Beispiel dafür ist: Eine Frau hat sich an mich gewandt und gesagt: „Ich wohne eine Stunde von London entfernt, aber mit meiner Behinderung bin ich in den letzten zehn Jahren nie nach London reingefahren. Deine Inhalte haben mich dazu inspiriert, mit meinen Kindern einen Ausflug nach London zu machen.“
Was mir an „Wheel Around the World“ am meisten gefällt, ist, wie es Menschen inspirieren kann, nicht nur Menschen mit Behinderungen, sondern Menschen im Allgemeinen, auf Entdeckungsreise zu gehen und ihnen das Selbstvertrauen zu geben, sich die Welt anzusehen. Ich bin so brutal ehrlich, was die Reiseerfahrung angeht und berichte über alles in seiner rohsten Form. Die Leute haben dann eine Erwartungshaltung, sie wissen, dass es nicht perfekt sein wird, aber sie denken: Okay, ich habe vielleicht die gleichen Erfahrungen wie Shane, aber weißt du was, er kann damit umgehen, ich kann das auch.
Ein weiterer Punkt, den ich ansprechen möchte, ist, dass es weltweit keine Reisesendung gibt, in der Menschen mit Behinderungen vertreten sind. Das hat mich auch dazu inspiriert, damit anzufangen. Egal, welche Reiseserie man sich ansieht, es gibt keine Informationen über Barrierefreiheit. Und wenn man bedenkt, dass 20 Prozent der Weltbevölkerung behindert sind und wie viele Menschen davon betroffen sind, zum Beispiel durch die Behinderung eines Familienmitglieds oder Freundes, verstehe ich das nicht. Wenn du eine fünfköpfige Familie hast und mit der erweiterten Familie von 20 Personen in den Urlaub fahren willst und eine Person im Rollstuhl sitzt, muss die gesamte Familie ihre Reise danach planen, was diese eine Person tun kann und was nicht.
Würdest du also nicht denken, dass die Reiseveranstalter sagen: „Wissen Sie was, warum nehmen wir nicht einfach ein paar Informationen über Barrierefreiheit auf?“ Das passiert einfach nicht, und das ist der wahre Grund, warum „Wheel Around the World“ funktioniert: Es gibt den Menschen endlich einen Einblick, wie es ist, mit einer Behinderung zu reisen.
Vielen Dank für dieses inspirierende Gespräch, Shane.