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Interview

Experte zu nachhaltigem Reisen: „Wir werden Fehler machen“

Die Gornergrat Bahn in der Schweiz auf ihrer Fahrt von Zermatt zum Gornergrat
Nachhaltiger reisen heißt auch, der Natur nicht zu schaden und diese möglichst nah zu erleben. Die Schweizer Gornergrat Bahn führt seit 1898 von Zermatt auf den Gornergrat und ist energieeffizient: Dank Rekuperation wird neue Energie erzeugt – drei talwärts fahrende Züge produzieren Strom für ein bis zwei bergwärts fahrende Züge. Foto: Getty Images
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Susanne Resch
TRAVELBOOK Redaktion, Susanne Resch

27.08.2021, 16:36 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten

Überfüllte Städte, Umweltzerstörung und hoher CO2-Ausstoß: Reisen belastet die Umwelt und die Folgen werden häufig unterschätzt. Warum nachhaltigeres Reisen wichtig ist, was Urlauber dabei beachten sollten und inwiefern die Corona-Pandemie als Brandbeschleuniger für ein Umdenken gilt, erklärt Dirk Reiser, Professor für Nachhaltiges Tourismusmanagement, im TRAVELBOOK-Interview.

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Die Corona-Pandemie hat weltweit tiefe Bremsspuren im Tourismus hinterlassen. Und doch gelten die Corona-Jahre 2020 und 2021 auch als Chance für einen nachhaltigen Tourismus-Neustart. Doch beim nachhaltigen Reisen geht es nicht allein darum, CO2-Emissionen zu verringern und Plastikmüll zu vermeiden. Was nachhaltiger Tourismus genau meint, wer dafür verantwortlich ist und inwiefern wir uns selbst betrügen, darüber hat TRAVELBOOK mit Dirk Reiser, Professor für Nachhaltiges Tourismusmanagement an der Hochschule Rhein-Waal in Kleve (Nordrhein-Westfalen), gesprochen.

Tourismus-Experte Prof. Dr. Dirk Reiser
Prof. Dr. Dirk Reiser lehrt an der Hochschule Rhein-Waal in Kleve „Nachhaltiges Tourismusmanagement“ Foto: Prof. Dr. Dirk Reiser

„Wir werden Fehler machen!“ – TRAVELBOOK im Gespräch über nachhaltiges Reisen mit Prof. Dirk Reiser

Ist die Corona-Pandemie eine Chance für nachhaltigeres Reisen?

Prof. Dirk Reiser: „Sicherlich haben die starken Einschränkungen der Reise-Möglichkeiten und die Veränderungen im Alltag zum Umdenken angeregt. Die Nachfrage an Wohnmobilen etwa ist immens gestiegen und virtuelle Meetings sind vervielfacht worden. Dennoch sollten die Folgen des Klimawandels weitaus größere Auswirkungen auf das individuelle Reiseverhalten haben: Die Corona-Krise geht vorbei, der Klimawandel hingegen nicht. Ich fürchte, dass wir zu langsam sind.“

Was bedeutet nachhaltiger Tourismus?

„Nachhaltigkeit im Tourismus ist ein Ziel, auf das es hinzuarbeiten gilt, das jedoch nicht zu erreichen ist. Das bedeutet aber nicht, dass die Alternative ist, nichts zu tun. Es geht darum, nachhaltiger anstatt nachhaltig zu verreisen. Dabei umfasst nachhaltigerer Tourismus die Aspekte Ökonomie, Ökologie, Soziales und Politik. Ökonomisch bedeutet, dass sich der Tourismus wirtschaftlich positiv für die lokale Bevölkerung auswirken sollte. Geld, das Touristen in einem Land oder einer Region ausgeben, bleibt bestenfalls auch dort. Erreichen lässt sich das etwa durch den Kauf lokaler Produkte. Unter ökologischen Gesichtspunkten bedeutet nachhaltigerer Tourismus, dass man vor Ort unter anderem den Wasser- und Elektrizitätsverbrauch minimiert, das Müllaufkommen so niedrig wie möglich hält und auf einen angemessenen Umgang mit Tieren achtet. In sozialer Hinsicht gilt es, sein Verhalten an die lokale Kultur anzupassen und die im Land geltenden sozialen Regeln zu respektieren. So sollte man etwa keine Moschee oder Kirche in kurzen Hosen betreten.“

Wie sieht eine nachhaltigere Reise aus? Was gilt es, zu beachten?

„Urlauber sollten darauf achten, zertifizierte Unterkünfte zu buchen. Da Zertifizierungen jedoch selbst zu einem Geschäft und nachhaltiger Tourismus zu einem Marketing-Instrument geworden sind, stehen die Türen für Missbrauch offen. Wichtig ist, dass die Zertifizierungen auf einer externen Evaluation, festgelegten Nachhaltigkeitskriterien und Transparenz basieren. Vertrauen können Urlauber in jedem Fall den Standards des Rates für globalen nachhaltigen Tourismus, GSTC (Global Sustainable Tourism Council).

Flugreisen sind zu vermeiden. Wer nicht auf das Fliegen verzichten kann, bevorzugt möglichst direkte Verbindungen gegenüber Flügen mit Zwischenstopps. Die Aufenthaltsdauer sollte in einer angemessenen Relation zur Entfernung des Urlaubsortes stehen: Für zwei Tage von Deutschland nach Mallorca zu fliegen, steht in keinem Verhältnis.

Vor Ort sollte man sich, sofern möglich, mit öffentlichen Verkehrsmitteln statt beispielsweise mit einem Mietwagen fortbewegen. Bei organisierten Touren ist unter anderem darauf zu achten, welche Ziele angesteuert werden und dass sie von lokalen Guides geleitet werden. Touren, bei denen Tiershows besucht werden, sollten ausgeklammert werden. Souvenirs kaufen Urlauber besser nicht im Hotel-Shop, sondern bei lokalen Händlern. Zum nachhaltigeren Reisen gehört auch, sich vorab über das Reiseland zu informieren und wenigstens ein paar Wörter in der jeweiligen Landessprache wie beispielsweise ‘Guten Tag‘, ‘Bitte‘ oder ‘Danke‘ sagen zu können.

Wir werden Fehler machen und es gilt, sich und sein eigenes Reiseverhalten immer wieder zu hinterfragen.“

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Inwieweit können Reisende ihre CO2-Emissionen wirklich kompensieren?

„Auch Urlauber, die ihren Flug kompensieren, schaden dem Klima. Dennoch gilt: Eine adäquate Kompensation ist in jedem Fall besser, als nicht zu kompensieren. Sinnvoll ist, die Kompensation in die Reisekosten einzupreisen, um damit klimafreundliche und innovative Technologien zu fördern. Hier sehe ich sowohl Urlauber als auch Anbieter und Politik in der Verantwortung.“

Reisen schon viele Deutsche nachhaltig?

„Nein, denn noch besteht eine sogenannte Attitude-Behavior-Gap (auf Deutsch: Einstellungs-Verhaltens-Lücke). Obwohl etwa 50 Prozent der Deutschen an nachhaltigeren Reisen interessiert sind, reisen weniger als 10 Prozent wirklich nachhaltiger. Der deutliche Unterschied zwischen ‘Sagen‘ und ‘Tun‘ hat viele Gründe: etwa Bequemlichkeit, mangelnde Verfügbarkeit, fehlendes Wissen oder zu geringe Transparenz bei Veranstaltern und Zertifizierungen. Gerade im Urlaub sind Menschen geneigt, sich mehr zu gönnen und wollen sich nicht zurückhalten – nachhaltiger und bewusster Reisen wird somit schnell mit Verzicht oder Mehraufwand verbunden.“

Wie lässt sich erreichen, dass mehr Menschen nachhaltig reisen?

„Nur durch das Zusammenspiel mehrerer Faktoren. Kunden müssen nachhaltigeren Tourismus stärker nachfragen. Aufgabe der Unternehmen hingegen ist, vermehrt entsprechende Angebote zu machen, Nachhaltigkeit in ihrer Ausrichtung fest zu verankern und umzusetzen. Politik sollte nachhaltigeres Reisen durch Gesetzgebung und eigenes vorbildliches Verhalten unterstützen. Urlauber müssen ihre Verhaltensweisen überdenken und Gewohnheiten ändern. Dabei hilft es, die Welt als einen Organismus zu betrachten, in dem alles miteinander verbunden ist: Egal, wo wir sind, wir tragen eine Verantwortung und nachhaltigeres Reisen sollte auf Solidarität beruhen.“

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Nachhaltiger reisen: 10 Dinge, die Sie NICHT tun sollten

1. Fliegen, wenn es nicht unbedingt nötig ist
2. Hotels buchen, die keine oder nur wenige lokale Arbeitskräfte beschäftigen
3. Kurzreisen zu weiter entfernten Reisezielen unternehmen
4. Einen Mietwagen buchen, wenn Sie auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Ziel kommen
5. Unnötig Wasser verbrauchen
6. Unnötig Müll produzieren
7. Strom verschwenden – etwa das Licht brennen oder die Klimaanlage laufen lassen
8. Tiershows besuchen, sich mit Tieren fotografieren lassen bzw. Tiere anfassen
9. Nachhaltigkeitszertifikate ignorieren
10. Souvenirs, Kleidungsstücke oder andere Produkte im Hotel statt bei lokalen Händlern kaufen

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Quellen

Gornergrat Bahn
WWF
Global Sustainable Tourism Council: GSTC

Themen Nachhaltig reisen
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