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Dramatische Lage in den Alpen

Dieses Bergdorf könnte bald verschwunden sein!

Schweiz
Das Dorf Brienz im Kanton Graubünden wird aktuell evakuiert – ab Freitag sollen alle Bewohner und Tiere ausquartiert sein Foto: Adrian MichaelCC BY-SA 3.0
Larissa Königs
Larissa Königs Autorin

10.05.2023, 13:22 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten

Ein Ort am Abgrund: In der Schweiz muss ein ganzes Bergdorf evakuiert werden. Die Bewohner von Brienz müssen bis Freitag ihre Heimat verlassen – sie könnte zerstört werden durch die Natur, mit der sie jahrhundertelang gelebt haben. Behörden und Geologen warnen vor zeitnahen Felsstürzen. Eine Gefahr, die schon lange bekannt ist.

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Im kleinen Schweizer Dorf Brienz im Kanton Graubünden leben aktuell 85 Menschen. Viele Touristen verirren sich nicht hierher, pro Saison sind es nach Angaben des Orts etwa 200. Zahlreiche Bewohner des Ortes besitzen und vermieten aber dennoch Ferienwohnungen – der Kanton Graubünden ist aufgrund seiner hohen Berge wie dem über 4000 Meter hohen Piz Bernina eine spektakuläre Region für Wanderer und Bergsteiger. Doch Brienz hat einige Probleme.

Zum einen rutscht das Dorf immer weiter ab. Der Grund: In 150 Metern Tiefe unter dem Dorf liegt eine weiche Schicht aus Schiefergestein mit einem hohen Tonanteil, die besonders viel Wasser aufnehmen kann. Durch den Druck des darüber liegenden Gesteins bestünde diese Schicht heute quasi nur noch aus losem Geröll. „Durch das Wasser entsteht dann eine Art Schmierfläche, auf der die darüber liegenden Schichten ins Rutschen geraten“, so Geologe Stefan Schneider, der für das Büro CSD Ingenieure die Beschaffenheit des Bodens unter Brienz untersucht. Er vermutet, dass sich der Hang schon seit Ende der letzten Eiszeit bewegt – zuletzt immer schneller.

Doch die größere Gefahr geht nicht vom Abrutschen des Dorfes, sondern von den Bergen aus, die Brienz umgeben und Anwohner wie Urlauber normalerweise begeistern. Sie bedrohen derzeit akut Brienz. Seit Dienstag, dem 9. Mai, herrscht „Warnstufe Orange“: Alle Anwohner in Brienz sind aufgefordert, das Dorf innerhalb von drei Tagen zu verlassen. Ab Samstag dürfen die Einwohner nur noch tagsüber in ihre Heimat – es sei denn, die Lage hat sich bis dahin noch weiter verschlimmert. Was ist passiert?

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Die aktuelle Gefahr in Brienz

Konkret geht die Gefahr von einem Gebiet an einem Hang in einer Höhe von 1400 bis 1700 Metern aus. Diese von Fachleuten „Insel“ genannte Fläche umfasst laut der „Neuen Zürcher Zeitung“ (NZZ) ein Gesteinsvolumen von 1,9 Millionen Kubikmetern und bedroht in mehrerlei Formen Brienz. Die Insel kann laut der Gemeinde teilweise oder ganz abbrechen, am wahrscheinlichsten sind zahlreiche Felsstürze (von einigen tausend bis mehreren hunderttausend Kubikmetern). In diesem Fall könnte Brienz zu einem Großteil verschont bleiben. Halb so wahrscheinlich sei ein langsamer, aber lange andauernder Schuttstrom, der das Dorf erreichen und beschädigen könnte. Im schlimmsten Fall kommt es zu einem Bergsturz mit mehr als 500.000 Kubikmetern Gesteinsvolumen, der dramatische Auswirkungen auf das Dorf hätte. Ein möglicher Bergsturz könnte auch die im Tal verlaufende Bahnstrecke zerstören, sowie den Albula-Fluss drastisch aufstauen.

Zurzeit wird der Abbruch der Insel etwa ab Frühsommer bis Ende 2023 erwartet – die „Warnstufe Orange“ deutet auf ein eher zeitnahes Abbrechen hin. Anzeichen gibt es schon lange. Immer wieder sind in den vergangenen Jahren Steine aus dem Berg gebrochen, teils waren sie laut Christian Gartmann, dem Pressesprecher der Gemeinde Albula, „groß wie ein VW-Bus“. Es sei aktuell sehr wichtig, die Sicherheitszone nördlich und westlich des Dorfes nicht zu betreten.

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Evakuierung schon lange ein reales Szenario

Eine komplette Evakuierung steht schon seit Jahren im Raum, auch werden bereits seit fast 100 Jahren, genauer seit 1924, Messdaten über die Situation in Brienz erhoben. Aufgrund der absehbaren Gefahr hatten in der Vergangenheit schon einige Bewohner die Gemeinde verlassen. Nun sollen die Verbliebenen folgen. Broschüren informieren, was zu tun ist. Darin heißt es unter anderem: „Packen Sie Ihr Notgepäck … Bereiten Sie Ihre Wohnung für Ihre Abwesenheit vor: Elektrogeräte ausschalten, Gas- und Wasserhahn schließen, offene Flammen löschen, Fenster schließen und Haustüre abschließen … Verlassen Sie das gefährdete Gebiet mit Ihren privaten Transportmitteln über die Evakuierungsroute.“

Dabei ist die Evakuierung nichtmals der schlimmste Fall, der eintreten könnte. Auch eine Räumung ist möglich. „Eine Evakuierung bleibt so lange bestehen, bis die Gefahr für das Dorf oder des Hauses nicht mehr besteht. Eine Räumung müsste erfolgen, wenn Brienz/Brinzauls für unbewohnbar erklärt würde“, heißt es vonseiten der Gemeinde. Dann wäre eine Rückkehr ausgeschlossen ist. Wenn man das Dorf aufgeben und die Bewohner umsiedeln müssten, wäre das allerdings „menschlich und finanziell gesehen natürlich eine Katastrophe“, sagt auch Geologe Schneider. Schon vor Jahren hatten die Bewohner von Brienz Fragebögen erhalten, wo sie im Falle einer Umsiedlung gerne leben würden. Ein Szenario, das man um jeden Preis verhindern will.

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»Wir kriegen schon wieder Angst

Aktuell brauchen laut Christian Gartmann bereits 50 bis 60 Bewohnerinnen und Bewohner zunächst provisorisch eine zweite Wohnung. Die Gemeinde helfe bei der Wohnungssuche. Zudem werde das Dorf in der Zeit der Evakuierung laut „SRF“ überwacht, damit es zu keinen Plünderungen komme. Auch wenn viele Bewohner mit der drohenden Gefahr aufgewachsen sind, macht sich angesichts der nun eiligen Evakuierung auch große Sorge breit: „Wir wohnen gerade unterhalb des Rutschgebiets. Jetzt, wo man die Bilder sieht und die Geologen hört, kriegen wir schon wieder Angst“, so eine Anwohnerin gegenüber dem „SRF“. Doch neben der Angst bleibt auch Hoffnung – dass der Berg Brienz verschont und alle Evakuierten zurückkehren können.

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