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Inseln waren Schauplatz für Atombombentests

Was wurde eigentlich aus dem Bikini-Atoll?

Bikini-Atoll
Eine Insel des Bikini-Atolls heute – es ist immer noch verstrahlt Foto: dpa Picture Alliance
Robin Hartmann Autorenkopf
Freier Autor

19.08.2019, 07:15 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten

Vor mehr als 70 Jahren begannen die USA mit dem Abwurf mehrerer Atombomben über dem Bikini-Atoll – für die Bewohner begann damit ein unerträgliches Leiden. TRAVELBOOK sprach mit einem Wissenschaftler, der in den 80er Jahren diese Einheimischen untersuchte. Die Geschichte eines unfassbaren Verbrechens.

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„Sobald der Krieg zu Ende war, entdeckten wir den einzigen Punkt auf dieser Erde, der vom Krieg unberührt geblieben war, und schickten ihn zur Hölle.“ – US-Comedian Bob Hope über das Bikini-Atoll.

Laut „Spiegel“ leben zu diesem Zeitpunkt etwa 167 Menschen auf den Inseln des Atolls, sie alle werden zwangsevakuiert, dies geschehe „zum Wohle der gesamten Menschheit“, so sagt man ihnen. Das Ganze sei zudem nur vorübergehend – bis heute jedoch sind sämtliche Eilande des Bikini-Atolls strahlenbelastet, quasi unbewohnbar. Insgesamt fielen innerhalb von 12 Jahren 23 Sprengkörper über bzw. auf Bikini, wurden mehrere Inseln komplett pulverisiert, als 1954 mit „Bravo“ die stärkste jemals gezündete Wasserstoffbombe explodierte. Sie hatte eine tausendeinhundert Mal höhere Sprengkraft als die Hiroshima-Bombe.

Bikini-Atoll
Verheerende Tests: Insgesamt wurden 23 Bomben über bzw. auf dem Bikini-Atoll gesprengt Foto: Getty Images

„Die Menschen wurden zu Forschungszwecken missbraucht“

Die Menschen von Bikini leben heute auf anderen Atollen, Hunderte Kilometer entfernt von der Heimat, die man ihnen genommen hat. Viele von ihnen hat es nach Kili verschlagen, eine nur 93 Hektar große Insel, die nicht einmal einen richtigen Hafen hat – eine Katastrophe für Menschen, die für die Versorgung mit täglichen Bedarfsgütern auf Bootslieferungen angewiesen sind. Laut „Spiegel“ lag die Insel zumindest in der Vergangenheit immer wieder in Dunkelheit, wenn dank schlechtem Wetter der für die Stromgeneratoren benötigte Dieselkraftstoff nicht geliefert werden konnte.

Das Schlimmste jedoch waren die menschenverachtenden Tests, die von den USA an den Ureinwohnern von Bikini ganz bewusst durchgeführt wurden: Man benutzte sie als menschliche Anschauungsobjekte, an denen man die Auswirkung der Verstrahlung durch die Atombomben-Explosionen testete. Bernd Franke, wissenschaftlicher Direktor und Gründungsmitglied des Institutes für Energie- und Umweltforschung in Heidelberg, sagt dazu auf TRAVELBOOK-Anfrage: „Die Menschen wurden wie Meerschweinchen für Forschungszwecke missbraucht, man wollte mit ihnen relevante Daten über die Verstrahlung sammeln.“

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Falsche Berechnungen

Franke hat selbst ab 1988 im Auftrag des US-Innenministeriums bei mehreren Besuchen über Monate das Ausmaß des Schadens auf dem „benachbarten“ Eniwetok-Atoll untersucht, das ebenfalls Schauplatz von Atombombentests wurde. Franke und seine Kollegen exhumierten damals unter anderem Knochen von Menschen, untersuchten Kokosnüsse, Fisch und andere Lebensmittel, um eine fundierte Strahlenexpositionsanalyse zu erstellen.

Wie pervers und menschenverachtend die US-Wissenschaftler damals allem Anschein nach dachten, zeigt das Dokument der Versammlung eines medizinisch-biologischen Komitees im Auftrag der US-Atomenergie-Kommission von 1956, das TRAVELBOOK vorliegt – darin heißt es unter anderem über die Bewohner der Atolle: „Die Gegend (…) ist bei Weitem die am meisten verstrahlte auf der ganzen Welt, es wäre daher gut zurückzukehren, und relevante Umweltdaten zu sammeln (…) zum Beispiel eine Probe der menschlichen Aufnahme (radioaktiven Materials, die Redaktion), wenn Menschen in einer verseuchten Umgebung leben. Während es stimmt, dass diese Leute nicht leben wie (…) zivilisierte Menschen, stimmt es auch, dass sie mehr wie wir sind als wie Mäuse.“

„Die Menschen wurden bewusst belogen“

Um diese Tests durchführen zu können, siedelte man die Menschen bereits kurz nach den Bombentests wieder auf Bikini und auch den anderen betroffenen Atollen an – ihre Heimat wurde ganz einfach offiziell wieder als sicher erklärt. Wie fahrlässig man dabei vorging, erklärt Franke: „Die Strahlenbelastung wurde völlig falsch berechnet. Man hatte ganz offensichtlich nicht einkalkuliert, dass die Bewohner nach ihrer Rückkehr wie vorher auch die Früchte auf der Insel essen würden, die sehr viel stärker verstrahlt waren als die Inseloberfläche an sich.“

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Zumindest für Eniwetok kommt Franke zu der Schlussfolgerung: „Die Bewohner der Inseln wurden über das wahre Ausmaß der Strahlenbelastung belogen. Die Berechnungen der zuständigen US-Behörde, des Department of Energy, waren bewusst manipuliert, ja gefälscht.“ Genauso wie im Fall von Eniwetok habe man übrigens den Bewohnern von Bikini niemals die volle, ihnen im Jahr 2000 vom sogenannten „Nuclear Claims Tribunal“ zugesprochene Schadenersatzsumme ausgezahlt.

Die Natur erholt sich

„Die Kompensationen waren marginal im Vergleich zu dem Schaden, den die Bewohner von Bikini erlitten haben: Sie verloren ihre Heimat, viele kämpfen seitdem mit Krankheiten, zudem ist ihre Heimat für sie auch wirtschaftlich nicht mehr nutzbar. Selbst wenn sie könnten, die meisten von ihnen wollen gar nicht mehr zurück.“ Besonders paradox: Viele ehemalige Einwohner der Inseln hat es in die USA verschlagen – das Land also, das verantwortlich ist für ihr jahrzehntelanges Leid. 1978 mussten die zurück gekehrten Bikinianer ihre Heimat wegen der immer noch hohen Strahlung endgültig verlassen, heute sind die Inseln nahezu unbewohnt.

Laut „Guardian“ hat sich zumindest die Tierwelt von Bikini dem äußeren Anschein nach erholt – 2017 führten Wissenschaftler um den Meeresforscher Steve Palumbi hier Untersuchungen durch, und fanden einen für sie erstaunlichen Artenreichtum vor. „Der Fakt, dass es dort Leben gibt, und dass es sich nach der brutalsten Sache, die wir der Natur jemals angetan haben, wieder zurück kämpft, macht Mut.“ Bernd Franke glaubt aber nicht, dass sich in absehbarer Zeit wieder Menschen auf Bikini ansiedeln können: „Das würde ja bedeuten, man müsste die Menschen permanent auf ihren Gesundheitszustand untersuchen – und auch die Lebensmittel vor Ort müsste man entweder ständig überwachen, oder aber importieren.“

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Land ohne Zukunft

Und so kommen die Bikinianer auch fast 70 Jahre, nachdem man ihnen ihre Heimat genommen hat, nicht zur Ruhe – inzwischen bedroht ein anderes Phänomen nicht nur ihr neues Zuhause, sondern ihre gesamte Existenz: Laut „Süddeutsche Zeitung“ gab es auf Kili seit 2011 jedes Jahr schlimme Überschwemmungen, im Jahr 2015 derer sogar gleich zwei. Die Marshall-Inseln, zu denen auch Kili gehört, liegen im Schnitt nur etwa zwei Meter über dem Meeresspiegel, und dieser steigt im Zuge der Erderwärmung immer stärker an.

Noch heute ist auf dem Bikini-Atoll die Belastung mit dem radioaktiven Material Caesium so hoch, dass man es wohl erst in 60 bis 80 Jahren wieder bewohnen könnte – bis dahin wird es aber wohl längst unter Wasser liegen. Mittlerweile verlässt vier Mal die Woche ein Flugzeug die Marshall-Inseln Richtung USA.

Themen Südpazifik USA
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