

12. Juni 2025, 11:08 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten
Das Projekt scheint größenwahnsinnig: eine gigantische, futuristische Zone mit einer linearen Wolkenkratzerstadt, von Menschenhand geschaffenen Inseln, Skigebiet und Badeorten. Neom, so der Name des Vorhabens der saudi-arabischen Herrscherfamilie, soll die Zukunft der Golfmonarchie absichern. Immer wieder werden Zweifel an dem Megaprojekt laut und Verzögerungen und Kostenexplosionen öffentlich. Aktuell macht Neom jedoch mit einem neuen alten Megaprojekt Schlagzeilen: Der Bau einer Brücke über das Rote Meer, die Saudi-Arabien und Ägypten verbinden würde, steht womöglich unmittelbar bevor.
Moses teilte einst das Rote Meer, Saudi-Arabien und Ägypten wollen nun wahlweise drüber- oder drunterherfahren. Die inoffiziell so bezeichnete „Moses-Brücke“ ist ein neues riesiges Prestige-Bauprojekt der sich im Bau befindenden Zukunfts-Region Neom im Nordwesten Saudi-Arabiens. Das Milliarden-Projekt des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman soll eine Fläche von 26.500 Quadratkilometern haben. Damit soll Neom 32-mal so groß werden wie New York und sogar größer als Mecklenburg-Vorpommern und Slowenien.
Die Planregion erstreckt sich im Nordwesten Saudi-Arabiens bis nach Jordanien und Ägypten. Und genau dort tat sich offenbar auch ein Problem auf: Saudi-Arabien und Ägypten sind durch das Rote Meer getrennt, an dieser Stelle vom Golf von Akaba. Das heißt für zukünftige Neom-Besucher aus Afrika: fliegen, Boot fahren oder einen langen Landweg mit dem Auto über Israel und Jordanien auf sich nehmen. Angesichts der aktuellen Lage vielleicht nicht die beste Idee. Mit den vorhandenen Möglichkeiten nicht zufrieden, haben die Länder nun Pläne aus der Schublade geholt, die vor rund 35 Jahren erstmals auftauchten: eine Brücke.
„Moses-Brücke“ soll Ägypten und Saudi-Arabien verbinden
Bereits 1988 gab es Überlegungen, das Rote Meer mittels einer Brücke zu überqueren. Wegen politischer Spannungen wurden diese dann jedoch verworfen. Erneut tauchte die Idee im Jahr 2016 auf. Nun berichten etliche Medien übereinstimmend, unter anderem „Reuters“, dass der ägyptische Verkehrsminister Kamel al-Wazir verkündet habe, die Pläne lägen fertig in der Schublade und könnten jederzeit umgesetzt werden. Noch offen sei jedoch, ob das riesige Infrastrukturprojekt am Ende eine Brücke oder doch ein Tunnel werden soll. Wurden die 2016er Pläne nicht wesentlich verändert, steht laut dem österreichischen Newsportals „Futurezone“ zumindest bereits die Stelle fest: Über die Straße von Tiran, eine der engsten Stellen des Roten Meeres, soll der ägyptische Urlaubsort Sharm El-Sheikh direkt mit Ras Hamid verbunden werden. Letzteres das westliche Tor zu Neoms linearer Wolkenkratzerstadt „The Line“.
Laut dem Schweizer Reiseportal „Travelnews“ soll das neue Meer-überspannende Bauwerk zwischen 14 und 24 Kilometer lang werden. Der Preis: Rund vier Milliarden US-Dollar. Bezahlen soll die komplett Saudi-Arabien. Das Reiseportal erklärt das damit, dass das saudische Königreich das größte Interesse am Bau der Brücke oder des Tunnels habe, würde so der Zugang zu seinem futuristischen Megaprojekt sowohl für Besucher aus Afrika als auch für Pilger auf dem Weg nach Mekka ungemein erleichtert.
Laut „Business Insider Africa“ könnte diese „alternative Pilgerroute nach Mekka“ potenziell mehr als einer Million Reisenden zugute kommen. Mittels Mautgebühren könnten die Baukosten innerhalb von zehn Jahren wieder drin sein, so die Prognosen. Ob es eine Zugverbindung über die Brücke/ den Tunnel geben soll, steht noch nicht fest.
Neom in finanzieller Krise
Zuletzt hörte man weniger Spektakuläres über den aktuellen Stand Neoms, war vielerorts zu lesen, dass das futuristische Wahnsinnsprojekt in einer dicken Krise steckt. So berichtete etwa „Yahoo News“ im März 2025, unter Berufung auf das „Wall Street Journal“, statt der ursprünglich geschätzten 500 Milliarden US-Dollar, die der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman für Neom angedacht hatte, seien die geschätzten Investitionsausgaben auf 8,8 Billionen Dollar gestiegen. Den Berichten zufolge entspricht das dem 25-fachen Jahresbudget des Königreichs.
Der astronomische Anstieg der Kosten wurde offenbar vor dem Kronprinzen versteckt. Laut „Yahoo“ hatte das „Wall Street Journal“ Einsicht in einen Prüfbericht, der klar offenlegte, dass Mitglieder des Managements versucht hatten, „Zahlen zu fälschen, um (…) die explodierenden Kosten des Projekts zu vertuschen.“ Unter anderem sollte eine Nacht in einem Boutique-Wanderhotel plötzlich 1866 Dollar statt der zuvor angesetzten 489 Dollar kosten; eine Nacht auf einem „innovativen Glamping“-Platz verteuerte sich von 216 Dollar auf 794 Dollar.
The Line statt 170 vorerst knapp drei Kilometer lang

Ein besonderer Kostenpunkt ist das lineare Wolkenkratzer-Stadtprojekt „The Line“. 170 Kilometer lang, 200 Meter breit und fast 500 Meter hoch soll sich das gigantische Gebäude auto- und emissionsfrei quer durch Wüste und Gebirge ziehen. Durch die verspiegelte Glasfassade soll der Mega-Wolkenkratzer dabei mit der Umgebung verschmelzen und wird daher auch häufig „Mirror Line“ genannt. Eine Reise von einem Ende zum anderen soll gerade einmal 20 Minuten dauern; bis zu neun Millionen Menschen soll die Megacity nach Fertigstellung beherbergen können. Allein bis 2030 sollten hier laut der ursprünglichen Pläne bereits 1,5 Millionen Menschen leben.
Wie ein Insider gegenüber dem US-Wirtschaftsmagazin „Bloomberg“ bereits im vergangenen Jahr berichtete, kann dieser Meilenstein offenbar nicht erreicht werden: Laut der anonymen Quelle soll „The Line“ bis 2030 nur 300.000 Menschen beherbergen können; zudem sollen bis dahin lediglich 2,4 der insgesamt geplanten 170 Kilometer Gesamtlänge verwirklicht werden.

Als Gründe gab die anonyme Quelle gegenüber „Bloomberg“ an, dass das staatliche Budget für Neom für das Jahr 2024 noch nicht freigegeben worden sei, da die Kosten des Projekts große Besorgnis in den höchsten Instanzen der saudischen Regierung hervorriefen. Wie „Bloomberg“ weiter berichtet, hatte der saudische Finanzminister bereits im September 2023 ein Statement abgegeben, in dem er die Verzögerung einiger Projekte zugunsten der Wirtschaft des Landes ankündigte.
Das „Wall Street Journal“ berichtete im März 2025, dass die Kosten für „The Line“ deutlich gestiegen seien. Der Plan, der 170 Kilometer langen Wolkenkratzer-Stadt werde demnach immer unwahrscheinlicher, heißt es dort. Das aktuelle Ziel für „The Line“ bestehe nun darin, „die erste Hälfte des ersten Teils des Projekts bis 2034 zu eröffnen.“
Wie das gigantische Bauvorhaben aktuell aussieht, kann man sich offenbar beim COO von „The Line“, Giles Pendleton, anschauen. Der veröffentlicht regelmäßig Bilder dazu auf Linkedin, zuletzt im Mai 2025.
Künstliche Luxusinsel „Sindalah“
Neben dem möglicherweise schon bald bevorstehenden Brückenprojekt zwischen Saudi-Arabien und Ägypten und dem gigantischen Gebäude „The Line“ gibt es auf der Fläche der Planregion Neom etliche weitere prestigeträchtige Großbaustellen. Eine davon ist die künstliche Insel „Sindalah“ vor der Küste Neoms. Mit dem Projekt buhlt Saudi-Arabien um die Gunst derer, die sich wahren Luxus leisten können. Dazu gehören: ein Jachthafen mit 86 Liegeplätzen für Luxusjachten, eine Anlegestelle für Luxuskreuzfahrtschiffe, ein Golfplatz, mehr als 400 „Ultra-Premium-Hotelzimmer“ und fast 40 Restaurants. Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman bezeichnet „Sindalah“ als „Zukunft des Luxusreisens“. Geplant war, dass die Insel ab 2024 die ersten Gäste empfangen soll. Und tatsächlich: Im Januar 2024 eröffnete mit dem St. Regis Red Sea Resort das erste Hotel. Im Oktober veranstalteten die saudischen Behörden auf der Insel eine riesige Launch-Party mit prominenten Gästen. Dennoch bleibt Sindalah bislang größtenteils unvollendet.

Mit 840.000 Quadratmeter ist die künstlich aufgeschüttete Insel so groß wie 117 Fußballfelder. Sie ist die erste von mehreren von Menschenhand geschaffenen Inseln im Rahmen des Neom-Megaprojekts im Nordwesten Saudi-Arabiens. Dabei ist für jede Insel eine eigene Vision und ein eigenes Design angedacht. Angeblich werden die Inseln so gebaut, dass der vielfältigen Unterwasserwelt im Roten Meer nicht geschadet wird.
Auch interessant: Ist das Projekt „Dubai World Islands“ gescheitert?
Was ist das Ziel von Neom?
Mit dem Megaprojekt verfolgt Saudi-Arabien mehrere Ziele. Zum einen sollen Solartechnologie und Windkraftanlagen Neom mit Energie versorgen. So will sich Saudi-Arabien unabhängiger von Erdöleinnahmen machen und den Grundstein für die Entwicklung neuer Technologien legen. Des Weiteren soll Neom künftig von einer unabhängigen Wirtschaftszone mit eigenen Gesetzen und Steuern profitieren.

Die unterschiedlichen Gesetze würden sich etwa darin äußern, dass in Neom, anders als im Rest Saudi-Arabiens, Frauen sich nicht verschleiern müssen. Außerdem soll der Verkauf und Konsum von Alkohol erlaubt sein. Beides würde dann auch auf das zweite Ziel von Neom einzahlen: Es sollen nämlich mehr Touristen in die Region kommen. So plant man, an der langen Sandstrandküste 50 Luxus-Resorts zu eröffnen.
Ein großer Teil der Vision von Neom ist es, eine möglichst umweltfreundliche Mega-Stadt zu errichten. So heißt es etwa auf der Website des Unternehmens, man wolle wieder eine „Verbindung zur Natur schaffen“. Außerdem plane man mit „erneuerbaren Energien im Überfluss“.
Auch interessant: Die neue Mega-Jacht, die die Welt retten soll

Saudi-Arabien plant umstrittenes größtes Gebäude der Welt

Saudi-Arabien investiert eine Billion Euro, um neuer Touristen-Hotspot zu werden

Hier soll der größte Flughafen der Welt entstehen
Prestige-Projekt ist umstritten
Trotz dieser lobenswerten Ziele gibt es viel Kritik und Kontroversen um Neom. So bekam Neom etwa Kritik, als 2018 bekannt wurde, dass auch die Inseln Tiran und Sanafir, die einige Kilometer südlich vom Eingang zum Golf von Akaba liegen, zu dem Projekt gehören sollen. Die Inseln gehören eigentlich zu Ägypten. Das Land unterzeichnete allerdings 2016, dass die Inseln unter Kontrolle der Saudis gestellt werden. In der Folge sei es laut der „Wirtschaftswoche“ in der ägyptischen Bevölkerung zu Protesten gekommen.
Doch das ist längst nicht der einzige Kritikpunkt. So werden Anwohner in der Region gewaltsam umgesiedelt. 20.000 Mitglieder des indigenen Stammes der Howeitat werden für den Bau aus ihrer Heimat vertrieben. „Neom wird auf unserem Blut, auf unseren Knochen gebaut“, sagte etwa Alia Hayel Aboutiyah al-Huwaiti, Aktivistin und Angehörige des Stammes, dem britischen „Guardian“. Aktivisten warnen bereits seit Jahren eindringlich davor, dass mit Neom auch ein autoritäres Regime unterstützt wird. Saudi-Arabien schränkt in vielen Bereichen die Rechte seiner Bürger ein. Auch gibt es kaum Pressefreiheit, immer wieder werden Aktivisten verhaftet und regimekritische Journalisten verfolgt. Bethany Alhaidari, Mitgründerin der Menschenrechtsorganisation SAJP, riet auf Twitter Investoren dazu, sich von dem Projekt fernzuhalten. „Keine Wirtschaft unter einem archaischen und autoritären Regime ist stabil, ethisch vertretbar oder eine Investition wert“, so Alhaidari.
Nicht zuletzt ist es auch der Bau der Megastadt selbst, die Leben kostet: Eine britische Dokumentation gab im vergangenen Jahr Einsicht in die katastrophale Arbeitssituation vor Ort. Beim Bau Neoms sollen bis zum Erscheinen der Dokumentation bereits 21.000 ausländische Arbeiter gestorben sein.