Im belgischen Ort Baarle-Hertog verläuft die Staatsgrenze zu den Niederlanden kreuz und quer durch die Straßen und zum Teil sogar mitten durch Häuser. Stand man eben noch auf belgischem Staatsgebiet, gehört die nächste Straßenecke schon wieder zu Holland. Manche Gebäude haben sogar zwei verschiedene Adressen, eine belgische und eine niederländische. TRAVELBOOK erklärt, was da los ist.
Sucht man auf einer Karte nach dem Ort Baarle-Hertog, erscheint etwas Merkwürdiges: Es wird kein klar umgrenztes Gemeindegebiet angezeigt. Stattdessen sieht man ein ziemlich verschachteltes Gebilde, das aus mehreren, teils unzusammenhängenden Flächen und kleinen Kästchen besteht. Und obwohl der Ort belgisch ist, liegt er größtenteils auf niederländischem Staatsgebiet. Als sei dies nicht schon verwirrend genug, kommt noch hinzu, dass diese eigentlich belgische Gemeinde einzelne Schnipsel umschließt, die wiederum niederländisch sind und zur Gemeinde Baarle-Nassau gehören.
Das Verwirrspiel setzt sich im Stadtbild weiter fort: Lief man eben noch durch eine belgische Straße, steht man ein paar Meter weiter schon in den Niederlanden. Kreuz und quer verläuft die Staatsgrenze zwischen dem niederländischen Gemeindeteil Baarle-Nassau und dem belgischen Teil Baarle-Hertog. Besucher merken jedes Mal, wenn sie die Grenze überschreiten – denn sie ist deutlich gekennzeichnet. Weiße Kreuze auf der Straße, manchmal auch Metallplättchen, zeigen an, wo ein Staat aufhört und der andere anfängt. Manchmal stehen auch die Länderkürzel auf dem jeweiligen Staatsgebiet, also „B“ für Belgien und „NL“ für die Niederlande.

Baarle-Hertog ist eine von insgesamt 22 belgischen Exklaven in den Niederlanden. Die kleinen, umschlossenen Teilstücke innerhalb dieser Exklave wiederum sind niederländische Enklaven auf belgischem Gebiet. Dieses Grenz-Wirrwarr hat seinen Ursprung im Mittelalter und blieb bis heute erhalten. Die heutigen Markierungen erhielt die Doppel-Gemeinde im Jahr 1995, nachdem die Grenzen aufgrund von Unklarheiten noch einmal zentimetergenau vermessen worden waren.
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Die Tür entscheidet
Mancherorts verläuft die Grenzlinie mitten durch Wohnhäuser oder andere Gebäude. In diesem Fall gilt: Die Lage der Eingangstür entscheidet, zu welchem Land ein Haus gehört. An der Hausnummer kann man die Staatszugehörigkeit erkennen. Sie ist wahlweise mit den belgischen oder niederländischen Nationalfarben versehen.
Allerdings gilt das nicht immer: „Ein Haus hat eine Eingangstür, bei der die Grenze genau mittendurch verläuft, was die Regel mit der Tür total hinfällig macht“, heißt es auf der Tourismusseite der Gemeinde Baarle-Hertog. Dieses Haus habe deshalb zwei Hausnummern und damit auch zwei Adressen, eine belgische und eine niederländische. Ebenso sind einige öffentliche Gebäude zweigeteilt, etwa die Polizeistation, in der sich die Wachen beider Länder die Räumlichkeiten teilen.

Umgekehrt gibt es in Baarle aber auch viele öffentliche Einrichtungen doppelt. So hat die insgesamt rund 9000 Einwohner zählende geteilte Gemeinde zwei Rathäuser, zwei Feuerwehrstationen und zwei Kirchen. Es gibt zwei Versorgungssysteme für Elektrizität und Telekommunikation. Und auch die Müllabfuhr existiert doppelt.
Pragmatismus und Kreativität in Baarle-Hertog
Die Gemeinden selbst sprechen von einem „geografischen Puzzle“, das eine intensive Zusammenarbeit erfordere, was nicht immer ganz einfach sei und manchmal auch Probleme verursache. „Diese Probleme ergeben sich einerseits durch kulturelle Unterschiede, aber auch durch Unterschiede bei der staatlichen Gesetzgebung und geltenden Vorschriften“, schreibt die Gemeinde Baarle-Hertog auf ihrer Website. Mit Pragmatismus und Kreativität sei es aber gelungen, eine Reihe erfolgreicher Projekte gemeinsam umzusetzen, wie etwa die Bibliothek und das Kulturzentrum.
So verwirrend und kompliziert die Situation in Baarle mitunter ist: Für die Doppel-Gemeinde bedeutet sie in Nicht-Corona-Zeiten auch einen Zustrom von Touristen. Nirgendwo sonst auf der Welt kann man schließlich während eines zehnminütigen Spaziergangs durch den Ort etwa 30-mal die Grenze überqueren. Touristen machen besonders gerne Fotos auf der Grenzlinie stehend – mit einem Bein in Holland, mit dem anderen in Belgien.