Bis 1974 Jahren war Varosha das größte Urlaubsparadies von Zypern. Sogar Elizabeth Taylor lag hier schon am Strand. Doch dann marschierten türkische Truppen in den Norden der Insel ein – und aus dem einst blühenden Ferienort wurde eine verlassene Geisterstadt, abgesperrt von einem Stacheldrahtzaun.
Zypern ist die Insel der Aphrodite. Die Schöne entstieg hier dem schäumenden Meer, weshalb sie die „Schaumgeborene“ genannt wird. Auch Zeus verbindet man mit Zypern, sowie so manchen anderen großen Namen der griechischen Götterwelt.
Wer schon einmal auf der Insel war, kennt all die Mythen und Märchen, denn diese werden hier sehr gut gepflegt. Weil es nun mal wunderschöne Geschichten sind. Und vielleicht auch, weil die jüngere, sehr bewegte Geschichte der Insel so wenig Erfreuliches zu bieten hat – und man lieber die Bilder einer Schaumgeborenen heraufbeschwört als die von Stacheldraht.
Um den kommt man auf der Insel indes kaum herum. Zumindest nicht, wenn man sich in den Norden begibt. In Nicosia, der letzten geteilten Hauptstadt der Welt, fühlt man sich ein bisschen wie im Berlin zur Zeit der Mauer, sobald man die Seiten wechselt: vom griechischen in den türkischen Teil – vorbei an Polizisten und Maschinengewehren, an Sandsäcken und Stacheldraht, an Graffitis und kaputten Fassaden.
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Sophia Loren hatte hier eine Villa
Doch während man in Nicosia den Grenzstreifen seit einigen Jahren passieren kann, geht es an dem in Varosha (auch Varosia oder Maraş) am Stadtrand von Famagusta (Gazimagusa), wenige Kilometer östlich der Hauptstadt an der Küste gelegen, keinen Schritt weiter. Was wird hier so gut geschützt? Eine gespenstische Ferienanlage gigantischen Ausmaßes, die seit der türkischen Invasion des nördlichen Teils der Insel den Dornröschenschlaf schläft.

Gebaut wurde die Anlage in den 1960er-Jahren. Damals entwickelte sich gerade der Massentourismus auf der Insel – und am konsequentesten tat er das in Varosha, wo der Sand besonders fein war und das Wasser besonders warm und azurblau. Mehr als 100 Hotels und Apartmenthäuser, 21 Banken, 24 Theater und Kinos sowie rund 3000 kleinere und größere Läden zählte der Ort in seinen besten Tagen. Es war die Côte d’Azur Zyperns: Elizabeth Taylor saß hier unterm Sonnenschirm, Sophia Loren hatte eine Villa am Strand.
45.000 Menschen flüchteten aus Varosha
Im Jahr 1973 erwirtschaftete Varosha mehr als die Hälfte der Gesamteinnahmen des Tourismusgewerbes auf der Insel. Tendenz steigend: 380 neue Gebäude – Hotels, Restaurants, Geschäfte – waren bereits in Bau. Indes: Sie sollten keine Urlauber mehr begrüßen und beherbergen dürfen.
Denn wenige Monate später marschierten türkische Truppen im Norden der Insel ein, der Zypernkonflikt eskalierte – und aus Varosha flüchteten 45.000 Menschen. Noch heute sieht man an den Fassaden die Einschusslöcher aus den Kämpfen von damals. Doch im Gegensatz zu anderen Gebieten des Nordens, wo sich vertriebene türkische Zyprer und Einwanderer aus der Türkei ansiedelten, blieb Varosha unbewohnt.
Bedrohte Schildkröten brüten am Strand
Stattdessen zog man einen Zaun hoch und erklärte das frühere Urlaubsparadies zum militärischen Sperrgebiet. In den letzten Jahrzehnten wurde die Hotelstadt zwar immer mal wieder als Pfand und potentielles Tauschobjekt gehandelt. Doch andere touristische Zentren hatten sich auf der Insel bereits entwickelt und waren mindestens so erfolgreich wie einst Varosha.
Wer die Stadt heute mit Sondergenehmigung besuchen darf, könnte glauben, eine Atombombe hätte hier einst alles Leben ausradiert. In vielen Häusern sieht man noch, dass sie die Einwohner Hals über Kopf verließen: Kochtöpfe auf verrosteten Herdplatten, Matratzen auf Bettgestellen – in einem Autohaus stehen „Neuwagen“ zum Verkauf, Baujahr 1974.

Zwischen den verfallenden Häusern machen sich derweil Sträucher breit. Schlangen kriechen durchs Gebüsch, die stark gefährdete Grüne Meeresschildkröte hat hier mittlerweile ihre Brutplätze – kein Wunder, schließlich kommen hier keine Menschen mehr zum Baden hin.
Dieses Amateurvideo zeigt Varosha, wie man es durch den Stacheldrahtzaun sehen kann:
Erschließung Varoshas würde der Insel Milliarden bringen
Immer wieder fordern Initiativen, Varosha wiederzubeleben – bislang ohne Erfolg. Dabei würde eine Wiederbelebung natürlich auch der Wirtschaft der Insel einen Auftrieb geben. Costas Apostolides, früherer Mitarbeiter im Planungsbüro Zyperns, sagte mal der New York Times über Varosha: „Eine Wiedereröffnung könnte die gesamte Ökonomie der Insel regenerieren.“ Allein das Bauland wäre 5 Milliarden Euro wert.
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Pläne, wie das neue Varosha aussehen könnte, gibt es übrigens schon. Etwa von Architekturprofessor Jan Wampler vom Massachusetts Institute of Technology (MIT), der mit einem Team von Architekten, Städteplanern, Unternehmern und Friedensaktivisten den Ort in eine modellhafte Ökostadt verwandeln möchte.

Junge Leute sollen hier Jobs finden, und die Region: eine Perspektive. Ganz Europa solle nach Varosha schauen und sich ein Beispiel nehmen an dem nachhaltigen Konzept und den alternativen Technologien. Da, wo die Zeit so lange stehen geblieben war, wolle man der Zeit dann weit voraus sein – sofern es je dazu kommt.