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Kommentar eines „Eingeborenen“

Spandau – Berlins meist unterschätzter Bezirk

Berlin-Spandau
Die Zitadelle Spandau mit ihrem eindrucksvollen Juliusturm ist so etwas wie das Wahrzeichen des Bezirks Foto: dpa Picture Alliance
Robin Hartmann Autorenkopf
Freier Autor

20.04.2021, 17:24 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten

Von Einheimischen wie Touristen gleichermaßen gemieden, fristet der Berliner Bezirk Spandau in der Hauptstadt eher ein Schattendasein – völlig zu Unrecht, denn hier gibt es die schönste Natur, und man genießt noch das echte Berlin abseits des Trubels und der Hektik in der Innenstadt. Unser Autor ist „Eingeborener“ und nennt zehn Gründe, warum Spandau viel besser ist als sein Ruf…

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„Spandau? Ist das überhaupt noch Berlin?“ Diesen Satz hört man so oder so ähnlich nicht selten, leicht spöttisch vorgetragen, und oft sogar von Leuten, die gefühlt gerade erst vor fünf Minuten aus ihrem 100-Seelen-Nest im letzten Hintertupfingen in die Hauptstadt gezogen sind. Als gebürtiger Spandauer ärgern mich solche Sätze immer wieder aufs Neue. Dennoch muss ich zugeben: Man hört einfach nichts über „Spandau bei Berlin“ in den Medien. Während die „New York Times“ bereits 2015 selbst Wedding als neuen In-Bezirk hochjubelte und der „Tagesspiegel“ auch Lichtenberg als „familiengerechte Kommune“ schon einmal einen lobenden Artikel widmete, ist Spandau in den Medien vollkommen unterrepräsentiert, beziehungsweise inexistent.

Als jemand, der extrem stolz auf seine Herkunft ist, stehe ich somit nun vor einem gewaltigen Dilemma. Eigentlich möchte ich gar nicht, dass die Touri-Massen aus Mitte und anderen Hipster-Bezirken auch bei uns einfallen. Und das würden sie garantiert, wenn sie wüssten, was Spandau zu bieten hat. Aber leider ist es auch dieser Stolz, der es mir gebietet, eines einmal laut auszusprechen: Spandau ist der meist unterschätzte Bezirk von ganz Berlin – und zwar völlig zu Unrecht!

Aus Spandau kommt das beste Eis in ganz Deutschland

Wie könnte eine Liebeserklärung an Spandau anders anfangen als mit vollmundigen Behauptungen. Aber mal im Ernst, selbst während meiner Studienzeit in Hessen kannten meine Berlin-kundigen Kommilitonen „Florida-Eis“, Spandaus erfolgreichstes Export-Produkt. Seit dem Frühjahr 1927 gibt es „Florida“ in unzähligen leckeren Sorten. Dass das Unternehmen trotzdem zukunftsorientiert ist, zeigt die Initiative, das Eis mittels Solarenergie und CO2-neutral herzustellen. Die Süßspeise hat es in zahllose Berliner Supermärkte geschafft und ist mittlerweile auch problemlos deutschlandweit bestellbar – und wer es einmal gekostet hat, kommt immer wieder. Ein absoluter Pflichtbesuch für alle „Stadtaffen“ bei einer Entdeckungstour durch Spandau. Hier gibt es laut Unternehmenswebseite auch immer noch die einzigen beiden Filialen. Wer braucht da schon die Innenstadt?

Berlin-Spandau
Spandau hat so viel Wasser, dass es auch eine Region namens Klein-Venedig gibt Foto: dpa Picture Alliance

Aus Spandau stammt das echte „Craft Beer“ Berlins

Gutes Bier braucht weder Schnickschnack noch grelle Werbung, die mit dem ach so coolen Image Berlins kokettiert – das beweist das Spandauer Brauhaus mit seinem Havelbräu. Und das schon seit Zeiten, wo der Begriff Craft Beer noch nicht einmal erfunden war, nämlich seit 1994. Ein anschauliches Beispiel dafür, wie gut das Brauhaus-Bier wirklich ist: Früher kamen zu uns jedes Jahr im Sommer englische Gastschüler. Nachdem sie einmal im Brauhaus gewesen waren, wollten sie vom Rest der Stadt abends nichts mehr wissen.

In Spandau steht das älteste Bauwerk Berlins

Gemeint ist der imposante Juliusturm, der zur Zitadelle Spandau gehört – er wurde bereits im 13. Jahrhundert errichtet, während die ihn heute umgebende Festung erst im 16. Jahrhundert erbaut wurde. Von ihm aus sieht man bei gutem Wetter bis zum Fernsehturm am Alexanderplatz. Heute ist die Anlage eine der wichtigsten und besterhaltenen Renaissancefestungen in ganz Europa, und wirkt doch kein bisschen alt. In Vor-Corona-Zeiten verwandelte sich die Zitadelle bei jeder Fußball-Welt- oder Europameisterschaft in einen der beliebtesten und belebtesten Public-Viewing-Orte Berlins.

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In Spandau kann man durch zwei Bundesländer schwimmen

Einer der saubersten Badeseen in ganz Berlin ist der Groß-Glienicker See, von den Locals auch liebevoll „Glieni“ genannt. Von seinen zwei skurril benannten Badestellen „Pferdekoppel“ und „Moorloch“ aus kann man in kristallblaues Wasser eintauchen und eine Sichttiefe von bis zu vier Metern genießen. Berühmt ist der See jedoch wegen etwas anderem. Denn noch heute verläuft in seiner Mitte die Landesgrenze zwischen Berlin und Brandenburg.

Zu Zeiten der ehemaligen DDR war es eine Mutprobe, auf die östliche Seite oder gar ans andere Ufer des Sees hinüber zu schwimmen. Immer im Schatten eines der damals zahlreichen Geschütztürme. Früher gab es hier auch ein beliebtes Strandbad, doch das ist leider bereits vor geraumer Zeit dem Modernisierungswahn zum Opfer gefallen. Auf dem früher frei zugänglichen Gelände steht heute ein privates Yoga- und Spa-Center.

Eine durchaus positive Entwicklung hat der See allerdings mit dem „Bootshaus Kladow“ genommen, das seit ein paar Jahren existiert. Wer will, kann hier auch ein Ruder- oder Tretboot mieten und zu den zwei kleinen Inseln fahren, die mitten im „Glieni“ liegen. Auch Angler kommen hier auf ihre Kosten, denn der See ist einer der fisch- und artenreichsten in ganz Berlin.

In Spandau bedeutet „Bio“ auch wirklich noch Bio

Haben Sie in Berlin schon einmal frische Eier, Obst, Gemüse oder Fleisch direkt auf einem Bauernhof gekauft? Nein? In Spandau können Sie aus gleich mehreren Direktversorgern wählen, die Ihnen das vermutlich Frischeste auf den Tisch bringen, dass Sie in Berlin je gegessen haben. Der „Vierfelderhof“ ist dazu noch ein Schaubauernhof und bietet für die Kleinen einen Streichelzoo mit Kaninchen, Schweinen und Ziegen. Zudem gibt es zum Beispiel beim Bauern Feldbinder (ein Cousin meiner Oma) einen Hofladen, und auch der Regionalladen „Alte Feuerwache“ bietet natürliche Köstlichkeiten.

Im Berliner „Beerengarten“ kann man Erdbeeren und Blaubeeren selbst pflücken und dabei so viele naschen, wie man mag oder eben schafft. In Kladow lockt „Eiskrem selbstgemacht“ mit eigenen Kreationen wie „Mascarpone-Birne“ und „Rosa Pampelmuse“ zu fairen Preisen .

Berlin-Spandau
In Spandau geht es noch ganz natürlich zu – das freut Groß und Klein, zum Beispiel bei einem Besuch auf einem der zahlreichen Bauernhöfe Foto: dpa Picture Alliance

Durch Spandau verläuft einer der schönsten Radwege Deutschlands

Natürlich schon wieder eine subjektive Empfindung und eine vollmundige Behauptung, doch ein gutes Stück des knapp 400 Kilometer langen „Havelradwegs“ verläuft durch Spandau. Hier kann man entlang der malerischen Havel Rad fahren oder natürlich auch spazieren gehen. Ein guter Einstieg ist hierfür die Haveldüne, von der aus sich ein spektakulärer Ausblick über Wasser und Wälder bietet. Weiter geht es vorbei an der eindrucksvollen Villa Lemm, die sich ein Schuhcreme-Magnat einst erbaute und die zeitweise ob ihrer Pracht auch schon als Sitz für den Bundespräsidenten im Gespräch war. Unterwegs ragt der Grunewald-Turm aus dem gleichnamigen Berliner Forst, und locken zahlreichen Badestellen wie die Apfelwiese zu einer erfrischenden Rast.

Richtig romantisch ist die Kleingartenkolonie kurz vor Kladow, in der man auch schon mal Eisenbahnen im Miniaturformat durch die Gärten tuckern sieht. Der Gutspark Neukladow ist eine der schönsten Grünflächen in der ganzen Stadt und bietet wiederum eine unfassbare Aussicht auf Havel und Wannsee. Hier ließen sich schon Künstler wie Max Liebermann inspirieren. An der Marina in Kladow wechselt man dann quasi die Seiten. Mit einem im BVG-Tarif enthaltenen Boot kann man in Richtung Wannsee schippern und anschließend weiter nach Potsdam radeln.

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Die sogenannte Liebes-Insel ist eines der Spandauer Unikate Foto: dpa Picture Alliance

Von Spandau aus kann man direkt nach Dänemark fahren

Schon wieder ein Tipp für Radfahrer, denn auch ein Teil des internationalen Radweges Berlin-Kopenhagen verläuft durch Spandau. Wiederum an den Ufern der Havel geht es über die beliebte Badestelle „Bürgerablage“ durch tiefgrünen Wald über das kleine Henningsdorf. Das gehört heute schon fast zum Berliner Speckgürtel. Weiter geht es durch Orte wie Velten und Oranienburg hinein nach Mecklenburg-Vorpommern bis hoch hinauf nach Warnemünde, von wo aus man dann nach Dänemark hinübersetzt.

Wer nicht ganz so weit fahren möchte, der findet eben entlang der Spandauer Havel ein tolles Ausflugsziel und kann mit einer kleinen Fähre sogar ans Tegeler Ufer hinübersetzen. Ein Teil des Berlin-Kopenhagen-Radwegs führt in Spandau auch über die Insel Eiswerder. Sie ist durch eine Brücke mit dem Festland verbunden. Auf ihr befinden sich noch zahlreiche Ruinen aus der glorreichen Spandauer Industriezeit – aktuell entstehen hier jedoch auch teure Lofts für alle, die von der Innenstadt und ihrer Hektik die Schnauze voll haben.

Zum negativen Bild vieler Menschen von Spandau gehört auch der Trugschluss, dass hier ja „nüscht los“ sei. Dabei bietet Spandau in Nicht-Corona-Zeiten viele kulturelle Orte und Veranstaltungen für jeden Geschmack und jedes Alter. Und in Spandau steht mit dem Ballhaus sogar die älteste Diskothek in ganz Berlin – der Legende nach lernte sich die Band „Die Ärzte“ einst hier kennen. Und auch „janz weit draußen“ in Kladow kann man mittlerweile aus zahlreichen Events wählen – so findet im „Kladower Hof“ jeden ersten Freitag im Monat eine tolle Jazz-Jam-Session statt (probieren Sie die selbst gemachten Buletten), die „Gärtnerei Guyot“ bietet regelmäßig Veranstaltungen wie zum Beispiel Comedy-Abende und ihre unter Kennern schon legendären Partys.

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Der Turm des Rathaus Spandau ist sogar vom Flugzeug aus zu sehen Foto: dpa Picture Alliance
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Spandauer sind einfach ein ganz besonderes Völkchen

Wenn mich jemand zum Beispiel im Urlaub fragt, woher ich komme, dann sage ich „Aus Spandau“. Bei Leuten, die Berlin kennen, ruft das dann zwar oft die eingangs bereits erwähnte Reaktion hervor, aber das ist mir in dem Fall herzlich egal. Fakt ist: Spandau wurde damals gegen seinen Willen in die Großstadt Berlin eingegliedert. Die wollte sich damit vermutlich die schönsten Stücke Grün einverleiben. Wir haben nie darum gebeten, dazuzugehören. Und wenn die anderen sagen, Spandau liegt ja ganz weit draußen, dann sagen wir: zum Glück.

Denn das zum Teil eher merkwürdig orientierte Partyvolk, findet kaum seinen Weg zu uns. Viele Spandauer sind wie ich extrem stolz auf ihre Herkunft und machen daraus auch keinen Hehl. Als zum Beispiel ein Politiker einmal vorschlug, die Zitadelle Spandau in Zitadelle Berlin umzubenennen, gab es massive Proteste – und der Gedanke wurde schnell und verschämt wieder zurückgenommen.

Eigentlich gehört ja ans Ende eines jeden Artikels eine Art Fazit, in dem der Autor so etwas sagt wie: „Ich hoffe, Sie jetzt von den Vorzügen Spandaus überzeugt zu haben“. Aber ganz ehrlich, mir ist es vollkommen egal, ob Sie sich jetzt mehr für Spandau interessieren oder nicht. Um ehrlich zu sein, ich will ja auch wirklich nicht, dass es bei uns irgendwann noch so aussieht wie in der Innenstadt.

Wenn Sie aber einmal einen Ausflug machen wollen an einen Ort, an dem das Grün noch nicht von Menschen begradigt und eingezäunt wurde und an dem Freibad noch Badestelle am See oder Fluss bedeutet, und wenn Sie zudem Lust haben, sich ein eigenes Bild von Spandau zu machen, dann sage ich gerne und mit Stolz als erster: Willkommen in Berlins meist unterschätztem Bezirk!

Themen Berlin
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