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Immer wieder Angriffe auf Menschen

Die Hirsche von Nara – Japans nicht ungefährliche Touristenattraktion

Hirsche von Nara
Einer der etwa 1000 Hirsche von Nara in der gleichnamigen japanischen Stadt. Die Tiere leben in einem großen Park, gelten hier als heilig. Doch immer wieder verletzen sie allzu forsche Besucher. Foto: Getty Images
Robin Hartmann Autorenkopf
Freier Autor

10.08.2023, 06:56 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten

In der japanischen Stadt Nara leben etwa 1000 Sika-Hirsche frei in einem Park. Die Tiere sind im Laufe der Jahre zu einer der größten Touristenattraktionen des Landes geworden. Und einer der gefährlichsten: Jedes Jahr werden Hunderte Menschen durch sie verletzt. Doch schuld daran ist meist eher das Verhalten der Betroffenen.

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Die Stadt Nara südlich der japanischen Millionen-Metropole Kyoto ist Heimat einer der wohl ungewöhnlichsten Touristenattraktionen des Landes. Gemeint sind nicht ihre buddhistischen Tempel und die Shinto-Schreine, für die Nara ebenfalls berühmt ist. Die Rede ist vielmehr von den etwa 1000 Sika-Hirschen, die hier frei im lokalen Nara-Park leben. Doch mittlerweile kommen wegen der Tiere derart viele Besucher, dass es immer wieder Ärger um die Hirsche von Nara gibt. Denn die sehen zwar vielleicht süß aus, sind aber alles andere als ungefährlich.

Und so gibt es immer wieder Zwischenfälle, bei denen die Tiere Menschen angreifen und zum Teil schwer verletzen. Doch wie kommt es überhaupt, dass sich die Hirsche von Nara in dem Park frei bewegen dürfen? Laut der offiziellen Seite der Stadt gelten sie den Japanern als heilig, werden als Helfer der Götter verehrt. Seit 1957 sind sie sogar als „nationaler Schatz“ besonders geschützt. Das kommt daher, dass einer Legende nach eine Göttin auf einem Sika-Hirsch nach Nara geritten sein soll. Ihr gewidmet ist der beeindruckende Kasuga Taisha-Schrein im Nara-Park, der auch als Unesco-Welterbe anerkannt ist.

Hirsche von Nara
Die Hirsche von Nara sind an Fütterung gewohnt, und zeigen mitunter ein forderndes bis aggressives Verhalten gegenüber Menschen Foto: Getty Images

Mehr als 200 Verletzte pro Jahr

Daher sind die Hirsche von Nara im Park nicht eingesperrt, gelten offiziell immer noch als wildlebend. Davon kann aber de facto zumindest in den letzten Jahren kaum noch eine Rede sein. Denn die zahlreichen Touristen, die die Tiere sehen wollen, kommen vor allem, um diese zu füttern. Die Parkverwaltung verkauft zu diesem Zweck sogar ganz offiziell „Hirsch-Cracker“ aus Weizenmehl und Kleie, die Touristen den Hirschen geben dürfen. Und genau in dieser Prozedur liegt auch die Gefahr für die Menschen.

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Wie die Seite „Nippon“ berichtet, wurden allein im Jahr 2018 mehr als 200 Menschen durch die Hirsche von Nara teils schwer verletzt. Im Vergleich zum Jahr 2013, als erstmals offizielle Statistiken herausgegeben wurden, stieg die Zahl der Verletzten damit um das Vierfache. Jedes Jahr seit 2013 nahm sie zudem kontinuierlich zu. Die Stadt Nara jedoch möchte verständlicherweise weder den Tieren noch den Menschen die Schuld daran geben. In einigen Fällen lässt sich allerdings ein vorheriges Fehlverhalten seitens verletzter Touristen kaum abstreiten.

Hirsche von Nara
Nur füttern, nicht anfassen oder belästigen. Die Hirsche von Nara können sonst sehr unbequem werden. Foto: Getty Images

Verhaltensregeln für Selfie-Jäger

Doch zunächst einmal erklärt die Stadt die steigende Zahl der Verletzten damit, dass seit Jahren immer mehr Besucher kämen. Die meisten von ihnen wollten dabei natürlich auch die Hirsche von Nara sehen. Doch in deren natürlichem Verhalten liegt auch die Gefahr für den Menschen. Denn die Böcke gelten in der Brunftzeit von September bis November als besonders aggressiv. Die Ricken wiederum sind von Mitte Mai bis Juli angriffslustiger als sonst, vor allem, wenn sie ihren Nachwuchs gefährdet sehen.

Doch nicht selten liegt die Schuld an den eigenen Verletzungen auch bei den Menschen. Besonders Selfie-Jäger sind hier offenbar gefährdet. Immer wieder gibt es Fälle, in denen Menschen versuchen, für besonders spektakuläre Schnappschüsse auf den Tieren zu reiten, oder sie gar von Mund zu Maul zu füttern. Die Stadt hat deshalb schon 2019 Verhaltensregeln erlassen, die den Umgang mit den Hirschen von Nara erleichtern sollen. So solle man die Tiere rasch füttern und sie nicht reizen. Vor Ort stehen diverse Schilder, die die Besucher an die Regeln erinnern sollen und aufzeigen, wie die Tiere reagieren können. Die Rehe können einen nicht nur mit ihrem Geweih stoßen, sondern auch mit ihrem Maul an Kleidung und Tasche ziehen, sowie diese wegreißen. Um Verletzungen zu vermeiden, sollte man sich nicht hinknien und die Jungtiere nicht berühren. Verhielten sich die Tiere aggressiv, solle man das Futter auf den Boden werfen und den Tieren die leeren Hände zeigen.

Hirsche von Nara
Sika-Hirsche stehen im Nara-Park vor einem Geschäft, das spezielle Cracker verkauft Foto: picture alliance/dpa/kyodo
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Müll wird zur Gefahr für die Tiere

Über den gesamten Park sind mittlerweile 40 Warnschilder verteilt, die die oft ausländischen Touristen auf die Gefahr durch die Hirsche von Nara aufmerksam machen sollen. Auch gibt es eine ehrenamtliche Patrouille, die bei Zwischenfällen schnell eingreifen kann. Doch die Leidtragenden bei den zahlreichen „Zusammenstößen“ sind keinesfalls immer die Menschen, wie die „BBC“ berichtet. So verendeten 2019 neun Sika-Hirsche qualvoll, nachdem sie Plastiktüten gegessen hatten – ganz offensichtlich menschlicher Abfall. Im Bauch eines der Tiere wurden mehr als vier Kilo Müll gefunden.

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Das liegt daran, dass Touristen die Hirsche von Nara immer wieder mit nicht geeignetem Futter locken, welches nicht selten in Plastik eingepackt ist. Eine Aufräum-Aktion im Juli 2019 brachte mehr als 31 Kilogramm Plastikmüll zusammen. Auf Tripadvisor kann man dagegen von den verschiedenen Angriffen der Tiere auf die Menschen lesen. „Mein zehnjähriger Sohn wurde zweimal gebissen“, so ein User. „Wenn sie sehen, dass man ihr Lieblingsessen hat, werden sie schnell aufdringlich“, schreibt ein zweiter. Die Mehrheit schwärmt aber von positiven Begegnungen mit den Tieren.

Besonders süß wird es in dem 1862 gegründeten Nara-Park bei einem offiziellen Fest namens Kojika Koukai. Übersetzt bedeutet das „Die Vorstellung der Hirschkälber“. Jedes Jahr Mitte Juli werden die Neugeborenen an der Seite ihrer Mütter in einem eigens dafür angelegten Gehege erstmals der Öffentlichkeit gezeigt. Dass dann die Kameras heiß laufen, ist garantiert. Und das alles ganz ohne Gefahr für Tier und Mensch.

Themen Asien Japan
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