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Meinung

Warum ich weiterhin fliegen werde – und das trotz Klimawandel richtig finde

Frau schaut auf Flugzeug
Fliegen ist schädlich fürs Klima – trotzdem gibt es gute Gründe dafür Foto: Getty Images
Anna Wengel
Freie Autorin

16.10.2022, 05:54 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten

TRAVELBOOK-Autorin Anna Wengel verreist oft mit dem Flugzeug und hat deshalb ein schlechtes Gewissen. Wieso sie trotzdem weiterfliegt und findet, dass Fliegen unverzichtbar ist.

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Fliegen ist ein bisschen wie Fleischessen: nach aktuellem Zeitgeist böse. Wer sich outet, findet sich schnell in einer Rechtfertigungs-Diskussion voller schlechtes-Gewissen-machen-wollen-Sprüche wieder oder schaut angesichts des Fliegens im Klimawandel mindestens in ein Paar missgünstig verzogene Augenbrauen. Das passiert dann, wenn der fleischfressende Vielflieger auf einen vegetarisch lebenden Inlands-Urlauber trifft. Die scheinen mehr zu werden. Genauso wie die Flugscham.

Ich bin eine dieser fleischfressenden Vielfliegerinnen. Und für beides habe ich, wie ich finde, gute Gründe. Die fürs Fliegen schreibe ich hier auf. Warum? Wahrscheinlich, weil ich Flugscham fühle und mich ein bisschen rechtfertigen möchte. Vor allem aber, weil ich finde, dass es wahnsinnig überzeugende Gründe für das Fliegen gibt – obwohl ich den Klimawandel ernst nehme.

Binge-Fliegen in Zeiten des Klimawandels ist bescheuert

Ich verstehe die Gründe für den Unmut. Ich liebe unsere Welt und möchte weder, dass sie im Plastikmüll verschwindet, noch von Naturkatastrophen zerstört wird oder an irgendeinem anderen Quatsch zugrunde geht. Trotzdem fliege ich. Und ja, ich habe ein schlechtes Gewissen deswegen. Ich weiß auch, dass Fliegen schlecht ist fürs Klima. Ich messe aber mit mehreren Maßstäben, weil ich glaube, dass es darauf ankommt, wie und warum jemand fliegt. Stichwort: Achtsamkeit. Wenn ich jedes Wochenende zum Shoppen nach Paris, London, Mailand und Co. jetten würde, weil’s ja so günstig ist, wäre das schlichtweg bescheuert. Nur weil Flugtickets günstig sind, muss ich nicht Binge-Fliegen nach dem Motto „Ist ja grad im Angebot“. Auch im Inland finde ich Fliegen wegen des Klimawandels schwierig, weil es aufgrund der kurzen Strecke in der Regel ziemlich unnötig ist. Hier steht natürlich das Argument: Bahn fahren ist teurer als fliegen. Ein Unding, wie sich die meisten wohl einig sind. Da muss etwas passieren, völlig klar. Trotzdem fahre ich im Inland Bahn.

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Reisen bildet und verbindet

Das Fliegen jedoch in Gänze zu verteufeln, halte ich nicht nur für falsch, sondern auch für gefährlich. Mein Hauptargument für das Fliegen trotz Klimawandel und übrigens der Grund, wieso das schlechte Gewissen mich nicht davon abhält: Ohne Flugzeug lerne ich die Welt nicht kennen. Ja klar, theoretisch geht das. Und so reizvoll ich eine Weltreise ohne Flugzeug finde, ganz praktikabel ist sie nicht. Zumindest nicht, wenn der Alltag zu Hause und die oft auftretende Weltsehnsucht regelmäßig verbunden werden wollen. Um weit entfernte Orte zu sehen, muss ich fliegen. Immer wieder stoße ich hier auf das Argument: Deutschland ist auch schön. Von mir aus. Aber die Welt lerne ich in Deutschland nicht kennen, sondern nur Deutschland. Die Welt möchte ich aber kennenlernen. Lernen, wie es woanders ist. Wie andere Menschen leben. Wie unfassbar schön dieser Planet an so vielen Ecken ist. Mein Hauptgrund auf zwei Worte komprimiert: Reisen bildet.

Ein anderer: Reisen verbindet. Ich glaube, dass viele Konflikte auf der Welt auch daher rühren, dass wir uns aus Angst abgrenzen. Wenn dann noch Panikmache vor „Fremden” hinzukommt, ist das gefährlich. Wer reist – also weiter als zur Ostsee – der lernt die „anderen” im besten Fall kennen und erkennt, dass sie auch einfach Menschen mit Gefühlen, Wünschen und auch Ängsten sind. Vor allem in für ihn fremden Kulturkreisen muss sich der Reisende über kurz oder lang irgendwie öffnen. Und wenn es auch nur ein bisschen ist. So entsteht Veränderung. Was will ich hier sagen? Andere Kulturen sind meistens eine Flugreise entfernt.

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Bewusstsein schaffen statt einseitig verteufeln

Gleichzeitig muss es beim Reisen vielleicht auch nicht nur um den eigenen Genuss, das eigene Abschalten, den eigenen Spaß gehen. Ich hatte auf vielen Reisen irgendwann das Bedürfnis, irgendwie irgendetwas zurückzugeben. Einfach, weil Land und Menschen mir unfassbar tolle Momente beschert haben. Gerade in Sachen Klimawandel und Umweltschutz ist das einfach. Ein Beispiel: Der Süden Kambodschas ist zugemüllt mit Plastik. Gemeinsam mit einer Freundin habe ich irgendwann angefangen, Tüten mitzunehmen, um Plastikmüll einzusammeln. Das hat uns zahlreiche irritierte Blicke eingebracht. Und die Hilfe kleiner Kambodschaner, die unser Müllsammeln so spannend fanden, dass sie mitgemacht haben. Ich bilde mir ein, dass da in mindestens einem Kinder-Kopf eine Idee entstanden ist. Auch so beginnt Veränderung.

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Und am Ende geht es eben um die Veränderung, das veränderte Bewusstsein, um etwas für Klima, Umwelt und Miteinander zu tun. Das kann damit anfangen, auf unnötige Billigflüge zu verzichten und Bahn zu fahren statt zu fliegen, wo es geht. Genauso wie das Fahrrad statt des Autos zu nehmen und das vielleicht sogar gegen eine Car-Sharing-Mitgliedschaft einzutauschen. Hilfreich können auch unbequeme Einsichten sein, wie etwa: Kreuzfahrten sind fürchterlich fürs Klima und das allabendliche Netflixen soll laut einer Studie gemeinsam mit allen anderen Datentransfers sogar für vier Prozent der CO2-Emissionen sorgen – und sollte entsprechend vielleicht mal eingeschränkt werden. Es gibt so viel klimaschädlichen Quatsch, den ich mit Leichtigkeit sein lassen kann, wenn ich mich nur ein bisschen damit auseinandersetze. Dann ist auch Fliegen trotz Klimawandel okay, in Maßen und nach gesunden Maßstäben.

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