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TV-Journalist und Entwicklungshelfer im Interview

Reisen in Schwellenländer? »Das können Sie tun, damit das schlechte Gewissen nicht mitreist

Reisen in Schwellenländer
Der bayerische Fernsehjournalist, Regisseur und Entwicklungshelfer Michael Kreitmeir (li.) lebt seit 1999 überwiegend in Sri Lanka, wo er die Hilfsorganisation Little Smile gründete Foto: Michael Kreitmeir
Nina Ponath FITBOOK
Freie Autorin

29. Mai 2025, 14:06 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten

Tourismus in Schwellenländer? Wieso Sie Massentourismus meiden und nicht verhandeln sollten, verrät Fernsehmoderator und Entwicklungshelfer Michael Kreitmeir im Interview mit TRAVELBOOK.

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Darf man in Schwellenländer wie Indonesien, Indien, Sri Lanka oder Mexiko reisen, in denen die Bevölkerung oft nicht mal genug verdient, um die Grundbedürfnisse zu sichern? Oder betreibt man damit automatisch immer auch eine Art von Sozialtourismus? Können Entwicklungsländer jemals auf eigenen Füßen stehen, wenn wir sie durch den Tourismus von uns abhängig machen? Das fragte ich mich auf meiner Reise durch Sri Lanka, denn so schön ich es auch fand, die fremde Kultur kennenzulernen – eine Sache reiste permanent mit: das schlechte Gewissen.

Plastikmüll an den schönsten Sehenswürdigkeiten wie dem „Little Adam’s Peak“, leidende Straßenhunde und rote Spuren auf der Straße – Reste der Betelnuss, Sri Lankas Bevölkerungsdroge Nummer Eins, die ähnlich berauschend wie Alkohol wirkt – all das trübte meine Freude über die atemberaubende Landschaft, wilde Tiere und buddhistische Tempel.

Zum Glück habe ich in Koslanda den ehemaligen Fernsehjournalisten und Regisseur Michael Kreitmeir kennengelernt, der vor über 20 Jahren nach Sri Lanka kam, um eine Reportage zu drehen. Heute lebt er hier und betreibt Entwicklungshilfe im großen Stil: Zu seinem Kinderdorf „Little Smile“ gehören insgesamt sechs Waisenhäuser, die er durch mehrere Gewürzfelder, Teeplantagen, ein eigenes Hotel und ein Ferienhaus finanziert. Mit ihm sprach ich darüber, wie wir Tourismus in Entwicklungsländer nachhaltiger gestalten können.

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Lieber Michael, du lebst inzwischen seit mehr als 20 Jahren in Sri Lanka. Magst du dich einmal kurz vorstellen?

Michael Kreitmeir: „Na klar. Also, ich bin zunächst einmal ‚der große Papa‘ für über hunderte von Mädchen und Jungs in unserem Kinderdorf von Little Smile in Koslanda. Das ist heute meine erste Funktion. Und die zweite ist – was man als Papa eben auch machen muss – Geld zu verdienen. Um unsere Sozialprojekte zu finanzieren, haben wir Farmen – Gewürzfarmen. Hier wächst der beste Pfeffer der Welt! Das ist nicht übertrieben, das ist wirklich wahr. Und wir haben auch diese Anlage hier für Gäste, die Sri Lanka authentisch erleben wollen. Ein Teil der Entwicklungsprojekte wird so auch durch Tourismus finanziert.“

Wie war deine erste Begegnung mit Sri Lanka? Wie bist du zu diesem Punkt hingekommen, an dem du jetzt bist?

„Ich hatte verschiedene Begegnungen mit Sri Lanka, eigentlich komme ich ja aus dem Journalismus. Ich hatte nie die Absicht auszuwandern, aber dann kam ein Erlebnis, das wohl der Auslöser war. Damals habe ich eine Dokumentation gemacht über Kindersoldaten in Jaffna. Zu der Zeit war ja Bürgerkrieg in Sri Lanka. Wir haben zehn Kinder gefunden – acht Mädchen, zwei Jungs – und während dieser Dokumentation, also während dieser drei Wochen, die wir gedreht haben, sind alle Kinder gestorben, alle umgebracht worden. Da habe ich mir gesagt: ‚Das kann doch nicht sein, dass in dieses Land Touristen reisen und gleichzeitig so etwas passiert!‘ Deswegen habe ich ein Integrationsprojekt schaffen wollen für Kinder, Waisenkinder durch den Bürgerkrieg, aber auch Kindersoldaten. Ich wollte alle zusammenbringen, alle Religionen, Juden, Hindus, Christen, die hier vertreten sind, an einem Ort, als eine Familie zusammen leben lassen. Das war die Idee. So bin ich hier gelandet.“

Reisen in Schwellenländer
Michael Kreitmeir gründete das Kinderdorf „Little Smile” in Sri Lanka Foto: Michael Kreitmeir

Wie hat sich der Tourismus verändert, seitdem du das erste Mal in Sri Lanka warst?

„Sri Lanka ist schon seit Ewigkeiten ein touristisches Land. Sri Lanka heißt ja ‚Die edel-Leuchtende‘ – das verspricht ja schon das Beste. Im Vergleich zu den Anfängen des Tourismus hat sich heute wahnsinnig viel verändert durch das Internet. Die Leute reisen heute ganz anders. Das Reisen wird viel von Google Maps und Seiten wie Booking.com bestimmt.
Dabei geht das Unbekannte, das ein bisschen Abenteuerliche, das früher zum Reisen mit dazugehört hat, verloren. Heute weiß man schon ganz genau, wo man hinkommt, man plant mehr und schränkt sich so ein – die Leute berauben sich so selbst ihrer Abenteuer.


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Das Zweite sind natürlich die Massen an Touristen, die heute unterwegs sind. Im Vergleich zu früher hat sich die Zahl verzehnfacht und die Tendenz ist steigend. Als ich das erste Mal in Sri Lanka unterwegs war, waren in Asien hauptsächlich Deutsche unterwegs, ein paar Österreicher und vereinzelt Schweizer. Sonst war da niemand. Heute kommen Indien und China ganz stark. Und man hat halt unglaublich viele Menschen, die da hingehen, denen die Werbung vorgegaukelt hat. ‚Du bist ganz allein‘.“

Hast du das Gefühl, dass die Touristen, wenn sie ankommen, dann auch teilweise enttäuscht sind, wenn Sie vor einer überfüllten „Nine Arches Bridge“ stehen oder der Weg hoch zum „Little Adams Peak“ von Plastikmüll gesäumt ist?

„Es ist ja eigentlich ganz einfach. Wenn du authentisch reisen willst, darfst du nicht dahin gehen, wo dich das Internet hinführen will. Den Tipp gibt es ja nicht nur dir. Wenn du authentisch reisen willst, musst du dir selber Orte suchen, die du entdecken willst.“

Und was hilft gegen Plastikmüll und die Massen an Tourismus?

„Der Massentourismus tut diesem Land grundsätzlich nicht gut. Eigentlich ist Sri Lanka so ein schönes Land. Warum dieses Land nicht vor den negativen Folgen des Massentourismus bewahren? Dafür müssen wir das Land zugegebenermaßen weniger Menschen zugänglich machen. Wir haben hier in Koslanda mit unserer Ferienanlage ‘Spirit of Ceylon‘ einen solchen Ort gegründet. ‚Ceylon‘ ist ja der alte Name von Sri Lanka – der Geist des alten Sri Lankas soll hier wieder aufleben, deshalb sind die Gäste bei uns zahlenmäßig sehr begrenzt – mehr als 20 können hier nicht wohnen.“

Bei euch finanzieren Ferienhaus und Hotel die Waisenhäuser von „Little Smile“. Welche Rolle spielt der Tourismus für die Einwohner hier grundsätzlich?

„Eigentlich ist Tourismus erst mal positiv, denn das ist für die Einwohner Geld, das kommt. Allerdings fließt das Geld hauptsächlich bei denjenigen, die im Tourismus arbeiten. Eine weitere negative Seite ist, dass es die Menschen verändert. Es gibt eine Freundlichkeit – eine Grundfreundlichkeit der Sri-Lanker und der Tamim – und es gibt eine Freundlichkeit des Geldes. Für Touristen ist es sehr schwer zu unterscheiden, welche Freundlichkeit welche ist. Ich glaube aber, das größte Problem ist, dass Tourismus die Gesellschaft entzweit zwischen denen, die am Tourismus verdienen und denen, die nicht daran verdienen.“

Kannst du das näher erklären?

„Im Tourismus verdient selbst der Uber-Fahrer selbst noch richtig gut, während die anderen, zum Beispiel die Bauern, nicht mehr mitkommen. Bei uns in Sri Lanka haben sich die Preise verdreifacht in zwei Jahren, auch für Lebensmittel. In meinen sozialen Einrichtungen sehe ich ständig die Not der Menschen, die nichts mehr zu essen haben.“

Wie kann ich als Reisende zu Hause mit diesem Zwiespalt umgehen?

„Grundsätzlich ist es so, dass man, wenn man in den Urlaub fährt, kein schlechtes Gewissen haben sollte. Da bin ich absolut dagegen – aber wir sollten sensibler sein. Das fängt bei der Frage an, wie man sich anzieht. Ich finde es einfach schrecklich, wenn Leute in Dörfern halbnackt und mit dem Hintern frei herumlaufen – die Leute sind hier eigentlich sehr prüde. Als Touristen sollten wir uns benehmen und die fremde Kultur respektieren.

Eine andere Sache ist unsere Verhältnismäßigkeit beim Konsum. Ich sehe häufig, dass Leute ein Bier trinken, das das Tagesgehalt von einem Arbeiter kostet. Das ist ganz selbstverständlich, aber wenn es dann um eine Schnitzerei geht oder um einen Sari, den sie kaufen wollen, wird gehandelt und gehandelt. Dann sind fünf Euro für einen Sari zu viel. Für mich stimmt da einfach die Balance nicht.“

Wie sieht für dich „nachhaltiger Tourismus“ aus?

„Nachhaltigkeit ist ja erst mal so ein Wort, dass heute jeder rauf- und runterbetet. Bei uns heißt nachhaltig, dass für diese Anlage nicht ein einziger Baum gefällt wurde. Wir holen unsere Lebensmittel von Bauern und geben unseren Gästen Trinkwasser aus Glasflaschen, das direkt aus dem Brunnen kommt. So vermeiden wir Plastikmüll. Mit dem Aufenthalt finanzieren wir unsere Sozialprojekte weiter und sind nicht auf Spenden angewiesen. Das heißt also, dass durch das Reisen benachteiligten Kindern – vor allem Frauen, vor allem Mädchen, die missbraucht worden sind – ein besseres Leben ermöglicht wird, sodass sich dieses Land weiter positiv entwickeln kann.„Nachhaltiger Tourismus“ heißt für mich auch, dass man positive Spuren hinterlässt, indem man sich auf Reisen auch mit einbringt als Mensch. Menschen sind neugierig auf andere Menschen.“

Themen BILDreisen Sri Lanka

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