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Thwaites-Gletscher in der Antarktis

Forscher in großer Sorge um neue Entdeckungen am „Weltuntergangs-Gletscher“

Alleine die Zunge, also das vordere, in die See ragende Stück des Thwaites-Gletschers, ist 30 Kilometer breit und 160 Kilometer lang
Alleine die Zunge, also das vordere, in die See ragende Stück des Thwaites-Gletschers, ist 30 Kilometer breit und 160 Kilometer lang Foto: dpa picture alliance
Larissa Königs
Larissa Königs

16.02.2023, 11:26 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten

Der Thwaites-Gletscher in der Westantarktis wird oft auch „Doomsday-Glacier“ genannt, also „Weltuntergangs-Gletscher“. Der Grund: Er gilt als einer der für den Klimawandel gefährlichsten Gletscher. Sein weiteres Schicksal könnte unsere Welt dramatisch verändern. Umso erschreckender, dass der Gletscher rasant schmilzt. Nun haben Forscher erstmals den Boden des Eisschilds untersucht – und haben dabei besorgniserregende Entdeckungen gemacht.

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Wenn man das Weltklima und vor allem den Klimawandel betrachtet, sprechen Wissenschaftler oft von sogenannten „Kipp-Punkten“. Damit werden Elemente bezeichnet, die das Klima unwiderruflich verändern würden. Einer von ihnen ist der Thwaites-Gletscher in der Westantarktis. Der gigantische Gletscher ist etwa doppelt so groß wie Österreich und wirkt wie eine Barrikade für noch größere Eismassen. Zumindest noch. Denn Forscher befürchten, dass der wichtigste Schutzschild des Gletschers schon in den nächsten fünf Jahren abbrechen könnte.

Um das genaue Ausmaß des Gletscherschmelzens erstmals genauer zu untersuchen, reiste Ende 2019 ein Team aus US-amerikanischen und britischen Wissenschaftlern der International Thwaites Glacier Collaboration in die Antarktis. Mit einem Heißwasserbohrer bohrten sie laut einem Bericht von „CNN“ ein fast 600 Meter tiefes Loch in das Eis und schickten über einen Zeitraum von fünf Tagen verschiedene Instrumente hinunter, um Messungen am Gletscher vorzunehmen. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Forscher am Mittwoch in der Fachzeitschrift „Nature“ – und die sind alles andere als beruhigend.

„Der Gletscher ist immer noch in Schwierigkeiten“

Zwar fanden die Wissenschaftler heraus, dass die Schmelzrate unter einem Großteil des flachen Teils des Schelfeises geringer ist als erwartet. So beträgt die Schmelzrate laut der Studie im Durchschnitt 2 bis 5,4 Meter pro Jahr und liegt damit unter den Prognosen früherer Modelle. Allerdings ist dies den Forschern zufolge noch lange kein Grund zum Aufatmen. „Der Gletscher ist immer noch in Schwierigkeiten“, zitiert „CNN“ Peter Davis, Ozeanograf am British Antarctic Survey und Hauptautor einer der Studien. Und weiter: „Wir haben herausgefunden, dass es trotz geringer Schmelzmengen immer noch einen raschen Gletscherrückgang gibt, es scheint also nicht viel zu brauchen, um den Gletscher aus dem Gleichgewicht zu bringen.“

Noch viel mehr Kopfzerbrechen bereitet den Wissenschaftlern aber eine weitere Entdeckung. Dank eines speziellen Tauchroboters entdeckten sie eine viel komplexere Unterwasser-Gletscherlandschaft als erwartet, die von seltsamen treppenartigen Terrassen und Gletscherspalten dominiert wird – große Risse, die sich durch das gesamte Schelfeis ziehen. Das Forschungsteam stellte fest, dass das Schmelzen in diesen Bereichen besonders schnell vor sich geht. Warmes, salzhaltiges Wasser kann durch die Risse und Spalten eindringen und diese vergrößern, was zu Instabilitäten im Gletscher beiträgt. Der Gletscher schmelze nicht nur nach oben, sondern auch nach außen, erklärte einer der Wissenschaftler laut „CNN“. Das Schmelzen entlang des schrägen Eises der Risse und Terrassen „könnte der Hauptauslöser für den Zusammenbruch des Schelfeises sein“, so die Autoren der Studie. Die Folgen würden „jeden betreffen“.

Mit welchen Methoden der „Doomsday-Glacier“ gerettet werden soll

Umso wichtiger ist es, den Gletscher zu retten. Doch wie? Der einzige Weg ist, „die Eisdecke physisch zu stabilisieren“, sagte John Moore, Glaziologe und Professor am Arktischen Zentrum der Universität von Lappland, dem Magazin „Heise“. Ziel sei, den Gletscher zu stützen. Dafür könne man beispielsweise künstliche Stützsysteme, Böschungen oder Inseln bauen. Diese würden dann den Gletscher schützen und warmes Wasser von ihm fernhalten. Eine weitere Option könnte der Bau von am Meeresboden verankerten, gigantischen „Vorhängen“ sein, die das warme Wasser abschirmen würden.

Das Problem ist allerdings, dass diese Projekte nicht nur teuer und schwer umsetzbar, sondern auch zeitintensiv sind. Und Zeit ist eines der Dinge, die der Thwaites-Gletscher eigentlich nicht mehr hat. Zudem ist noch nicht bewiesen, wie wirksam die Maßnahmen tatsächlich sind. Zwar sprechen die Forscher von möglicherweise 100 Jahren, die der Gletscher länger stabilisiert werden könnte, aber es handelt sich hier noch nicht um belastbare Daten. Doch warum ist es überhaupt so relevant, dass ausgerechnet dieser Gletscher nicht zusammenbricht?

Welchen Einfluss hat der Thwaites-Gletscher auf das Klima?

Das Problem: Das Zurückziehen des „Doomsday-Glaciers“, also „Weltuntergangs-Gletschers“, hätte dramatische Folgen für das gesamte Weltklima. Denn sollte das Schelfeis des Thwaites-Gletschers immer dünner werden, desto eher brechen auch größere Teile ab. Und je schneller diese abbrechen, desto schneller wird auch der Eisabfluss auf dem Festland. „Man kann sich das wie einen Korken auf einer Sektflasche vorstellen, der, wenn einmal geöffnet, den Weg für alles Nachkommende ebnet“, erklärt Dr. Johann Philipp Klages vom Alfred Wegener Institut im Gespräch mit TRAVELBOOK. Er ist Sedimentologe und befasst sich seit Jahren besonders mit den Gletschern in der Antarktis. Er betont, dass es sich bei dem Gletscher tatsächlich um einen Kipp-Punkt handelt.

Hinzu kommt, dass der Thwaites-Gletscher und der danebenliegende Pine-Island-Gletscher zusammen einen Großteil des antarktischen Eisschildes ausmachen. Gemeinsam sind sie mehrere Hundert Kilometer lang. Genau hier liegt die Gefahr: Denn beide Gletscher speichern gigantische Mengen Wasser. „Wir wissen aus der Vergangenheit, dass sich diese Gletscher schon mehrere Male dramatisch zurückgezogen haben. Sollte das wieder passieren, würden alleine diese beiden Gletscher für einen Anstieg des Meeresspiegels von etwa 1,5 Metern sorgen“, erklärt Klages. Das wäre aus heutiger Sicht global betrachtet nicht weniger als eine Katastrophe und würde zum Untergang von Metropolen auf der ganzen Welt führen.

Erst im Frühjahr 2021 kam die Wissenschaftlerin Anna Wåhlin von der Uni Göteborg in einem Bericht im wissenschaftlichen Magazin „Science Advances“ zu dem Ergebnis, dass die Unterseite des Thwaites-Gletschers deutlich stärker schmilzt als bisher angenommen. Das hatte eine Expedition von Wåhlin und ihrem Team zum Gletscher ergeben. Dort wurde ein Tauchroboter eingesetzt, der sowohl die Zunge als auch den Meeresboden untersuchen sollte.

Wie genau ist der Thwaites-Gletscher aufgebaut?

Wichtig zu wissen ist, dass die Zunge zwar über dem Wasser schwebt und somit bereits durch warme Zuflüsse angetaut wird. Der größte Teil des Gletschers liegt jedoch auf Festland. Das Problem ist allerdings, dass das Festland wiederum unterhalb des Meeresspiegels liegt. Dadurch sind die Eismassen sehr angreifbar. Bislang ging man zwar davon aus, dass die warmen Zuflüsse vom Ozean das aufliegende Gletschereis nur in kleinen Korridoren erreichen – doch das hat sich nun geändert.

Die Untersuchungen von Wåhlin und ihrem Team haben gezeigt, dass es sehr viel mehr unterirdische Tunnel und Täler gibt. Durch sie gelangt warmes Wasser auch zum Rest des Thwaites-Gletschers und lässt das darüberliegende Schelfeis ausdünnen. Wobei warm in diesem Fall relativ ist. „Die Wasser-Temperatur liegt bei circa 1 bis maximal 1,5 Grad Celsius. Für uns Menschen ist das kalt, doch es ist eben oberhalb des Gefrierpunkts von Salzwasser“, erklärt Klages. „Das warme Wasser war und ist aktuell in der Westantarktis der wichtigste Antrieb, warum die Gletscher sich zurückziehen.“

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Die Zukunft des Gletschers ist ungewiss

Valide Aussagen, wann der Thwaites-Gletscher wirklich wegschmelzen wird, sind allerdings schwierig. „Wir können aktuell noch nicht sicher sagen, welche Dynamik überhaupt bei dem Gletscher zutrifft. Die Modelle, die wir haben, sind auch immer nur so gut, wie die verfügbaren Daten“, erklärt Klages, der vor allem Daten aus der erdgeschichtlichen Vergangenheit analysiert. Deswegen forsche man aktuell auch von deutscher Seite so intensiv an den Gletschern der Westantarktis. Er rechne allerdings fest damit, dass man in der Zukunft verlässliche geologische Beweise für ein komplettes Zusammenbrechen des westantarktischen Eisschildes finden werde.

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Dennoch: Klages hält nicht viel davon, den Gletscher mit Adjektiven wie „gefährlich“ oder mit furchterregenden Spitznamen zu belegen. „Es handelt sich um einen ganz normalen Gletscher. Alleine die Bedingungen, die ihn umgeben, machen ihn besonders. Allerdings ja auch nur, weil sie dafür sorgen könnten, unsere angestammten Lebensräume zu verändern“, meint Klages. Das sollte jedoch Grund genug sein, diesen Prozess noch aufzuhalten. Es ist zu hoffen, dass dies noch gelingt – ob mit künstlichen Inseln, Vorhängen oder auf andere Weise.

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