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1000 Kilometer offline durch Deutschland – Teil 2

Wie ich die Arschloch-Zone der Radfahrer entdeckte

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Robin Hartmann Autorenkopf
Freier Autor

1. September 2015, 10:50 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten

Der Saale-Radweg ist einer der schönsten in ganz Deutschland. Auf der zweiten Etappe seiner Fahrradtour erlebte unser Autor Robin Hartmann apokalyptische Gewitternächte, entdeckte die Arschloch-Zone – und hatte ein heiliges Erlebnis mit einem Stein.

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Wenn man einmal eine Nacht inmitten eines heftigen Gewitters in einer nach drei Seiten offenen Tram-Haltestelle im Nirgendwo verbracht hat, wird einem eines klar: Es ist ein geradezu überirdischer Luxus, dass wir in der Lage sind, die Natur auf Wunsch einfach per Türklinke oder Knopfdruck auszusperren.

Schon kurz hinter Halle beginnt der Himmel sich zu verfinstern, mein Start auf dem Saale-Radweg, der zweiten Etappe meiner Tour, könnte also kaum besser beginnen – not. Heftiger Wind kommt auf und peitscht die schwarzen Wolken übers Land. Als ich hinter Leuna bei einem einsamen Haus direkt am Fluss klingele, um nach Wasser zu fragen, komme ich mir vor wie der „Killer on the road“ aus dem Song „Riders on the storm“ – zumal mich die Frau, die mir öffnet, auch genauso anstarrt. Wasser kriege ich trotzdem, aber weiter als bis Bad Dürrenberg schaffe ich es nicht, dann bricht die Apokalypse herein und zwingt mich in die oben erwähnte Tram-Haltestelle.

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Nicht grade gemütlich: Übernachtung in der Tram-Haltestelle. Foto: Robin Hartmann

Ich gestehe, dass ich irgendwann richtig Schiss bekommen und gebetet habe, und zwar zu meinem coolen Schutzpatron, dem heiligen Christopherus, der alle beschützt, die auf Reisen sind. Er ist wohl aber gerade irgendwo anders gewesen, denn das Gewitter tobt stundenlang über mir und kommt sogar ein paar Mal zurück. Als dann irgendwann noch Alarmsirenen anfangen gespenstisch zu heulen, reicht es mir, und ich mache mich wieder auf den Weg, 4.30 Uhr morgens, ich will heute sowieso eine lange Strecke fahren.

Die Kraft dafür sammele ich einige Stunden später in der Bäckerei in Weißenfels, wo die Leute das Herz auf der Zunge und die Namen ihrer Lieben auf der Haut tätowiert tragen. Die Bäckerin ist zugleich auch Dorfpsychologin, in diesem Moment würde ich gerne mit ihr tauschen – sie ist ja im Warmen und muss da auch nicht wieder weg. Aber es klart auf, und hinter Naumburg beginnen die wunderschönen Weinberge des Saale-Unstrut-Gebietes.

Herrlich, denke ich gerade, als bei der Einfahrt nach Bad Kösen mein Fahrrad mich mit meinem zweiten Platten beglückt. Ich fluche, steige ab – und laufe Holger in die Arme, Pensionär, ehemaliger Tiefbau-Mechaniker, Garage voller Werkzeug. Innerhalb von fünf Minuten ist mein Reifen wieder geflickt, wobei Holger mehrfach erwähnt, dass es in Bad Kösen keinen „offiziellen“ Fahrradladen mehr gäbe, aber ich bin sowieso schon von Dankbarkeit überwältigt und fahre glücklich weiter.

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Holger mit Robins Fahrrad. Foto: Robin Hartmann

Das!Ist!Sparta!

In Jena ist dann ein paar Stunden später Schluss für heute, und ich teile mir erst das Freibad mit sämtlichen Kindern der Stadt, bevor ich mein Zelt an einem malerischen Fleck direkt an der Saale aufschlage – sogar die Security-Jungs, die mir wenig später nochmal freundlich mit der Taschenlampe ins Gesicht leuchten, können gegen so viel Romantik nichts sagen, und lassen mich netterweise einfach liegen.

So beginnt der nächste Tag ausgeruht und früh, wobei mich meine Strecke heute wirklich wunderbar an der Saale entlang führt – genau deshalb habe ich doch diesen Weg gewählt, von dem alle immer nur gesagt haben: „Na, da jehts aba späta nochn janzet Stück bergauf.“

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Rast in Jena. Foto: Robin Hartmann

Orte wie Maua, Ölknitz, Großpürschütz und Freienorla schießen vorbei, und tatsächlich, die gefürchteten Steigungen beginnen, das ist Sparta, äh Mittelgebirge. What goes up must come down, zum Glück, und so verläuft der Weg bis nach Rudolstadt entspannt – aber hier sollten die Planer des Saale-Radweges unbedingt nochmal nachbessern, denn die Beschilderung ist irritierend bzw. nonexistent, so dass ich mich erstmal eine Stunde lang verfahre.

Absoluter Hass brennt in mir. Und über mir die Nachmittagshitze. Das erlösende Saalfeld  erreiche ich erst mit einer gehörigen Verspätung. Da treffe ich dann am Fluss Oma Martina und die Wasserratte Willi, die zutraulich in Ufernähe schwimmt und sogar für Fotos posiert. Davon hat Oma Martina eine ganze Menge, denn sie zieht jeden Tag bewaffnet mit Spiegelreflexkamera und Tablet durch die Gegend und macht Tierbilder, die sie dann auf Facebook postet – coole Dame.

Saalfeld als Stadt überwältigt mich dann vollends mit ihrem Charme sowie dem guten Essen in der „Alten Post“, dazu gibt es das leckerste Bier auf der ganzen bisherigen Strecke, ein „Saalfelder Kellerbier“. Fast wäre das Ganze noch gekrönt worden von einer Übernachtung im Garten von Alex und seinem niedlichen Sohn Phillip, aber da hat Alex‘ Freundin was dagegen, was sie mich auch deutlich spüren lässt. Schade, aber Phillip und Alex, ihr seid trotzdem die Coolsten.

In der Arschloch-Zone

Wenigstens erwarten mich bei der Weiterfahrt dann noch ein paar traumhafte Steigungen von bis zu neun Prozent sowie ein weiteres Gewitter, und ein Vattenfall-Mitarbeiter lässt mich dann auf „seinem“ Gelände Schutz suchen, „aber pennen ist hier nicht, ham wir uns verstanden!?“ Stattdessen übernachte ich dann auf einem nahen Parkplatz beim Hohenwarte-Stausee, der mir morgens nach überstandenem zweiten Weltuntergang ein herrliches Aufwach-Panorama beschert – ich fühle mich wie ein König auf seiner Burgmauer.

Wenig später beginnt dann die Arschloch-Zone, denn egal, wer mir entgegenradelt, immer heißt es mitfühlend bis schadenfroh: „Na, gleich geht’s wieder heftig in die Berge, ne!?“ Die Natur dafür ist aber wunderschön, das blaue Band der Saale windet sich beeindruckend durch Täler und tiefe Wälder und glitzert in der Sonne wie flüssiges Gold. Besonders hinter Altenbeuthen ist das Panorama einfach überwältigend, fast so wie in Patagonien, und dazu kommt noch eine spektakuläre Schussfahrt mit über 50 km/h Spitze – what goes up must come down, wir erinnern uns.

Im Romantik-Dorf Altenroth dann ein kleines Highlight, eine Flussüberquerung mit der „Mühlfähre“, und schon bin ich in Ziegenrück und relaxe, nachdem ich die Bäckerei leer gekauft habe. Später ein Bierchen auf Schloß Burgk, das früher laut der Kellnerin tatsächlich Burg Burgk hieß, dann weiter Richtung Tagesziel Blankenstein. Die Saale ist auf dieser Strecke genauso schön und prächtig wie die Steigungen knüppelhart: 12 Prozent teilweise, den Tour-de-France-Fahrer möchte ich mal sehen, der sowas (ohne Doping) schafft.

In Blankenstein packt mich dann blankes Entsetzen, weil der Ort außer einer riesigen Papierfabrik einfach nichts zu bieten hat. Also noch einmal eine letzte Steigung, nach Blankenberg, wo mich ein paar wunderbare Menschen im Garten ihres Kinos übernachten lassen, nachdem wir gemeinsam ein paar Zirndorfer gekippt haben – ich kriege teilweise richtige Laber-Flashs wegen der guten Gesellschaft.

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Kino in Blankenberg. Foto: Robin Hartmann
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Ein heiliger Moment

Der tolle Abend endet leider in einer regennassen Nacht, und auch der Gerstensaft steckt mir am nächsten Morgen noch in den Knochen, als ich mich zu meinem endgültigen Ziel, der Saalequelle in Zell im Fichtelgebirge, aufmache. Über diesen Tag möchte ich eigentlich keine weiteren Worte verlieren, aber Dank gebührt auf jeden Fall Carmen und Klaus, die mich nach meinem dritten Platten in ihrem Wohnmobil mit nach Hof nehmen und direkt vor dem Fahrradladen absetzen.

Das „Schnitzelparadies“ mit seinen kulinarischen Köstlichkeiten und dem „Scherdel Schlappenbier“ tut sein Übriges, also weiter, jetzt nochmal kämpfen, durchbeißen, die letzten Kräfte mobilisieren. In Mechlenreuth ist die einstmals so mächtige Saale kaum noch mehr als ein Bach, ich kann die Quelle schon förmlich riechen.

Eine wunderbare Abendstimmung senkt sich über das Land, während ich wenig später tatsächlich in Zell einfahre, ein unglaubliches Triumphgefühl, nachdem fünf Tage zwischen mir und dem Ziel nichts lag als scheinbar endlose Straße. Das letzte Stück des Weges lege ich aus Respekt vor dem Fluss, den ich fast 400 Kilometer begleitet habe, zu Fuß zurück.

Die Sonne steht bereits tief über den Kornfeldern, als ich in einen dichten Kiefernwald eintauche. Und dann liegt er plötzlich vor mir, ein majestätischer Stein, aus dem die Saale entspringt – ein fast schon heiliger Moment, außer mir sind da nur die Vögel und die rauschenden Baumwipfel.

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Saale-Quelle. Foto: Robin Hartmann

Schon auf dem Rückweg steht für mich fest: heute schlafe ich nicht in einem Zelt, diese Nacht werde ich in einem echten Bett verbringen. Unzählige Sterne stehen am Himmel, als ich schließlich in mein Zimmer im „Roten Roß“ eintauche und eine halbe Stunde lang dusche, bevor ich mich hinlege. Was bleibt, ist ein Gefühl von tiefer Zufriedenheit und Vorfreude auf meine Freunde, die ich schon morgen beim Samba-Festival in Coburg treffen werde – aber das ist eine andere Geschichte.

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