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Ein Rad, keine Karte, kein Smartphone

1000 Kilometer offline quer durch Deutschland

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Robin Hartmann Autorenkopf
Freier Autor

26. August 2015, 16:02 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten

Eine Fahrradtour, das kann eigentlich jeder. Aber 1000 km komplett offline und ohne Karte, das ist schon eine Herausforderung. Unser Autor Robin Hartmann hat es ausprobiert und berichtet bei TRAVELBOOK in einer dreiteiligen Serie von seinem Abenteuer.

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Achtung: Sollten Sie jemals auf die Idee kommen, bei sengender Juli-Hitze eine gut 1000 Kilometer lange Fahrradtour durch Deutschland zu machen, könnte es sein, dass Sie dabei leicht merkwürdige Ticks entwickeln. Sagen wir, Sie nennen Ihr Fahrrad „Blacky“ und fangen an, mit ihm zu reden. Vielleicht schreien Sie auch Berge, Hügel und jede noch so kleine Steigung an, die Ihnen während ihrer Fahrt begegnen. Oder Sie belegen aufkommenden Gegenwind mit wüsten Schimpfwörtern.

Warum ich diese Warnung ausspreche? All das habe ich erlebt, als ich kürzlich mit meinem Trekking-Rad drei Wochen lang durch Deutschland gefahren bin. Aber ich habe auch ein wunderschönes, vielfältiges, natürliches und freundliches Land entdeckt, das ich bis dato als Berliner Stadtstubenhocker so nicht kannte.

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Robin mit Fahrrad – bis dato ein eher ungewohnter Anblick. Foto: Robin Hartmann

Einfach mal raus aus der Enge der Hauptstadt, auf ungeteerten Straßen fahren, ab in die Natur, über mir nur der blaue Himmel, um mich herum die endlose Weite der Straße – das war die Idee. Und mir war auch klar: Ich mache das Ganze komplett offline, ohne Smartphone, Tablet, Computer, GPS oder ähnliche Hilfsmittel – nicht einmal eine Karte hatte ich dabei.

‚Tschuldigung, wo geht es hier bitte durch Deutschland?

Mir meinen Weg durch Deutschland erfragen und auf die Hilfe freundlicher Mitbürger vertrauen, das war mein Ziel. Mich einfach mal fallen lassen in das Abenteuer und darauf vertrauen, dass ich mich schon nicht verirren, sondern im Zweifelsfall eben einfach woanders lang fahren würde.

Geplant wurde die Strecke aber natürlich doch am PC: Von Berlin-Grünau durch den Spreewald nach Dresden, ab Halle den Saale-Radweg runter bis an die Quelle des Flusses, und schließlich über den Altmühl-Radweg von Rothenburg ob der Tauber bis nach Regensburg.

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Robins Route: Von Berlin über Dresden, Halle und Rothenburg ob der Tauber bis nach Regensburg. Foto: Getty Images/Collage: Travelbook

Eines vorab zur Motivation: Natürlich war mir vorher mulmig dabei, eine so lange Strecke ohne technische Hilfsmittel zu fahren – aber all diese Radwege, das weiß ich jetzt, sind so narrensicher ausgeschildert, dass man sie auch mit verbundenen Augen fahren könnte. Die Webseite des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) ist zudem ein sehr guter Ausgangspunkt für jegliche Planung. Als Startdatum hatte ich mir den 1. Juli ausgesucht, psychologische Motivation, die Kraft und Erwartungen eines ganzen Monats hinter mir, seelischer Rückenwind sozusagen.

Also los, und wie erhofft strahlt der Himmel in seinem schönsten Blau, und warm ist es endlich auch, nachdem wir so lange auf den Sommer warten mussten. Jetzt das erste Mal so richtig in die Pedalen treten, die ersten Kilometer machen, geistiges Kraftfutter für eine Strecke, die gerade erst begonnen hat.

In Zeuthen dann bereits das erste Mal Halt, weil ich auf der Suche nach dem richtigen Weg (das fängt ja gut an) Tina treffe, die vor ihrem Bücherladen in der Sonne sitzt und häkelt. Ihr Mann Norbert betreibt gleich nebenan das PC-Geschäft. „Wir sind ein Laden für die ganze Familie“, so fasst die toughe Tina das zusammen, was auf mich schon jetzt wie romantische Landidylle wirkt, und das so kurz hinter der Stadtgrenze. Als sie hört, wo ich noch hin will, sagt sie nur trocken: „Na denn darfste aba nich mehr überall so lange anhalten, wenn de dit noch schaffen willst.“

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Tina vor ihrem Laden. Foto: Robin Hartmann

Schlaglöcher, Tankstellen-Restaurants und blühende Landschaften

Das ist wohl mein Zeichen, und weiter geht es über Königs Wusterhausen und Zeesen, wo keinerlei Menschen in der Mittagshitze zu sehen sind, nur ein Rasenmähroboter dreht einsam seine Runden. Gräbendorf, Prieros, Märkisch Buchholz, das sind endlose Kornfelder, Schlaglöcher und holperige Waldwege über ehemalige DDR-Straßen. Zwischendurch habe ich bei freundlichen Menschen schon mehrmals erfolgreich nach dem Weg gefragt und meine Wasserflaschen wieder aufgefüllt.

Bei meinem Zwischenziel am Köthener See treffe ich dann den Franzosen Gaetan, der schon ein Jahr mit dem Rad unterwegs ist und gerade von Deutschland nach Dänemark fährt – ziemlich inspirierend, denke ich mit einem leichten Anflug von Neid.

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Gaetan der Franzose. Foto: Robin Hartmann

Das kühle Nass, der Schatten und ein gutes Spreewälder Dunkelbier bringen mich schnell wieder auf Touren, und so geht es weiter über Groß Wasserburg, Leibsch und Neu Lübbenau nach Schlepzig, wo an den wunderbaren Teichen dann leider unfreiwillig Schluss für heute ist – der erste platte Reifen der Tour, und das gleich am ersten Abend.

Nach einem 10-Kilometer-Spaziergang am nächsten Morgen wird in Lübben dann mein Fahrrad geflickt, und so geht es über eine wunderschöne Deichlandschaft weiter nach Lübbenau, wo die berühmten Kähne durch die scheinbar endlose Flusslandschaft fahren. Eine Spreewaldgurke zur Stärkung, dann schnurgerade über Doblitz, Bischorf, Mlode und Calau, wo mich ein offenbar leicht verwirrter Mitbürger mit seiner widersprüchlichen Wegbeschreibung fast in den Wahnsinn treibt – vielleicht hätte ich doch zumindest eine Karte mitnehmen sollen.

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Teich bei Schlepzig. Foto: Robin Hartmann

Muckwar und Altdöbern, wo die Tankstelle gleichzeitig Restaurant und Skat-Treff ist, dann Großräschen, ein wahres Einkaufsparadies, nachdem ich gefühlt seit gestern Mittag keinen einzigen Supermarkt mehr gesehen habe. Nach einem erfrischenden Badestopp in Senftenberg geht es weiter über Niemtsch, Biehlen, Brieske, Schwarzheide, Ruhland und Arnsdorf. Geschlossene Fensterläden und vernagelte Gasthöfe überall – die nach der Wende prognostizierten „blühenden Landschaften“ gibt es hier jedenfalls nicht.

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Bier-Orgien in Elbflorenz

Jetzt nur noch Jannowitz und Kroppen durchstrampeln, dann bin ich am Tagesziel, in Ortrand bei Böhla, und der Besuch der Pizzeria (der einzige Laden, der hier um 21.30 Uhr überhaupt noch offen hat) erweist sich als Glücksgriff: Kaum habe ich den beiden Männern an meinem Nachbartisch zugeprostet, bin ich auch schon in einem netten Gespräch und werde eingeladen, die Nacht unter Sternhimmel im Garten von Thomas zu verbringen, direkt neben seinem Ziegenstall. Der Vollmond und ein Holunderschnaps tun ihr Übriges, und am nächsten Morgen erwartet mich dann in der örtlichen Bäckerei eine wahre Kuchenoffenbarung zum Frühstück, und das alles zu Preisen wie vor 20 Jahren. Nuss-Schnecke für 35 Cent, anyone?

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Bäckerei in Ortrand. Foto: Robin Hartmann

Linz, Liega, Thiendorf und Lötzschen fliegen danach nur so vorbei, und zum ersten Mal genieße ich richtig bewusst meine Tour, während ich durch ein wunderbares Natur- und Vogelschutzgebiet rolle. Zschorna, Radeburg und Berbisdorf, dann in Moritzburg der erste richtige „Wow-Moment“ auf der Reise, als das imposante Wasserschloss in Sicht kommt. Nach einer eigentlich viel zu kurzen Besichtigung geht es in der glühenden Hitze weiter über Auer, Coswig und Radebeul, und plötzlich bin ich an der Elbe, nur noch 15 Kilometer von Dresden entfernt.

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Wasserschloß Moritzburg. Foto: Robin Hartmann

Als das immer wieder beeindruckende Panorama der Stadt am Horizont auftaucht, jubele ich innerlich, freue mich schon auf eine kalte Dusche – und baue fast noch einen Unfall, weil ich zu lange und gierig einem Schild hinterher starre, das hausgemachte Rippchen in Schwarzbiersauce bewirbt. Schnell am „Goldenen Reiter“ vorbei, und ab in die Dresdner Neustadt, die den hippen Berliner Vierteln in nichts nachsteht. Dann versinken die nächsten zwei Tage bei einem Freund in einer wahren Orgie aus Bier und fettigem Essen.

Fazit: Besser hätte meine Tour nicht losgehen können!

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Panoramablick auf Dresden. Foto: Robin Hartmann

Lesen Sie im nächsten Teil, wie unser Autor Robin Hartmann apokalyptische Gewitternächte erlebte, wie er die Arschloch-Zone entdeckte – und ein heiliges Erlebnis mit einem Stein hatte.

Weitere Artikel von Robin Hartmann finden Sie auch auf seinem Blog „Gipsytrips“.

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