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Der Fall Micki Kanesaki

Tod auf dem Kreuzfahrtschiff – ein fast perfekter Mord

Micki Kanesaki starb auf dem Kreuzfahrtschiff „MS Island Escape“. Die Aufnahme des Schiffs stammt von 2006 – also genau aus jenem Jahr, in dem der Mord passierte. Fotos: Wikimedia Commons/Simon Hark / CC-BY-SA-4.0 / picture alliance / ZUMAPRESS.com | Paul Bersebach / Collage TRAVELBOOK
Micki Kanesaki starb auf dem Kreuzfahrtschiff „MS Island Escape“. Die Aufnahme des Schiffs stammt von 2006 – also genau aus jenem Jahr, in dem der Mord passierte. Fotos: Wikimedia Commons/Simon Hark / CC-BY-SA-4.0 / picture alliance / ZUMAPRESS.com | Paul Bersebach / Collage TRAVELBOOK
Angelika Pickardt
Redaktionsleiterin

16. Oktober 2024, 15:09 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten

Nach offiziellen Daten sind im Jahr 2019 25 Personen von einem Kreuzfahrtschiff ins Meer gestürzt. 17 dieser Vorfälle endeten tödlich. Das Problem: In vielen Fällen kann im Nachhinein nicht mehr festgestellt werden, ob es sich um einen Unfall gehandelt hat, oder ob ein Verbrechen dahintersteckt. Denn oftmals werden die Leichen nicht gefunden, oder das Meer zerstört alle wichtigen rechtsmedizinischen Spuren. Dass genau das passiert, hat auch der Täter im Mordfall Micki Kanesaki gehofft. TRAVELBOOK berichtet, was damals geschah und warum der Fall letztlich doch noch aufgeklärt werden konnte.

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Am 27. Mai 2006 entdeckt die Besatzung eines Schiffs vor der Südküste Italiens eine Frauenleiche. Es handelt sich um die 52-jährige US-Amerikanerin Micki Kanesaki, die zu diesem Zeitpunkt seit einem Tag von Bord eines Kreuzfahrtschiffs vermisst wird. Gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Lonnie Kocontes hatte sie eine Kreuzfahrt durchs Mittelmeer gemacht und war plötzlich verschwunden. Zunächst sieht alles nach einem tragischen Unfall aus. Man glaubt, Micki Kanesaki sei von Bord gestürzt, womöglich unter Alkoholeinfluss oder in suizidaler Absicht. Doch dann nehmen die Ereignisse eine ungeahnte Wendung – und enden erst 2020, also 14 Jahre nach dem Tod von Micki Kanesaki, mit einem Urteil wegen Mordes.

Mehr zu diesem Fall erfahren Sie auch im TRAVELBOOK-Podcast „Tatort Reise“:

Micki Kanesaki und Lonnie Kocontes lernen sich in den 1990er Jahren in einer Anwaltskanzlei in Los Angeles kennen, er arbeitet dort als Anwalt, sie als Rechtsanwaltsgehilfin. Sie verlieben sich ineinander, ziehen in ein gemeinsames Haus im Ort Ladera Ranch südlich von Los Angeles und heiraten im Jahr 1995. Die Beziehung der beiden ist nicht einfach, mal trennen sie sich, dann kommen sie wieder zusammen, auch Alkohol und häusliche Gewalt sind im Spiel. 2002 folgt schließlich die Scheidung.

Sie wohnen allerdings weiter in ihrem gemeinsamen Haus in Ladera Ranch. Noch im selben Jahr der Scheidung lernt Lonnie Kocontes auf einer Dating-Website eine andere Frau kennen. Ihr Name: Amy Nguyen. Drei Jahre später heiraten die beiden in Las Vegas. An der Wohnsituation ändert das nichts. Allerdings ist auch die Ehe von Lonnie Kocontes und Amy Nguyen nicht von langer Dauer, schon 2006 lassen sie sich wieder scheiden, und Kocontes kehrt zu seiner Ex-Frau Micki Kanesaki zurück.

Der rätselhafte Tod von Micki Kanesaki

Lonnie Kocontes und Micki Kanesaki sind wieder ein Paar und er bucht für beide eine Mittelmeer-Kreuzfahrt auf der „MS Island Escape“, angeblich, um ihre Beziehung wieder ins Reine zu bringen. Das Schiff hat Platz für rund 1600 Passagiere und legt am 21. Mai 2006 in Spanien ab, die Fahrt soll nach Italien führen. Die beiden US-Amerikaner wohnen in einer Balkonkabine – darauf soll Kocontes explizit bestanden haben.

Fünf Tage später, am Morgen des 26. Mai, meldet Lonnie Kocontes seine Freundin als vermisst. Er gibt an, dass sie um 1 Uhr nachts die Kabine verlassen habe, um sich eine Tasse Tee zu holen. Er selbst habe dann eine Schlaftablette genommen und erst am nächsten Morgen bemerkt, dass Micki nicht in die Kabine zurückgekehrt sei. Daraufhin habe er sie noch überall an Bord gesucht. Zudem gibt er an, sie habe öfter davon gesprochen, sich das Leben nehmen zu wollen.

Zunächst glaubt man ihm seine Version der Geschichte und geht davon aus, dass Micki Kanesaki über Bord gegangen sein muss. Auch, weil es anfangs keinerlei Hinweise auf einen gewaltsamen Tod gab, denn schließlich hatte man keine Leiche und auch sonst keine Spuren, die man untersuchen konnte. Seltsam mutet allerdings die Tatsache an, dass Kocontes bereits einen Tag nach dem Verschwinden seiner Lebensgefährtin wieder nach Kalifornien fliegt – und sich direkt zu seiner zweiten Ex-Frau begibt, Amy Nguyen.

Micki Kanesaki
Dieses Foto zeigt Lonnie Kokontes und Micki Kanesaki im Jahr 2006 auf dem Kreuzfahrtschiff „MS Island Escape“. Wenige Tage nach der Aufnahme war sie tot. Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com | Paul Bersebach

Die Leiche von Micki Kanesaki wird gefunden

Am selben Tag seiner Abreise wird vor der Küste der süditalienischen Region Kalabrien die Leiche von Micki Kanesaki gefunden. Und nun stellt sich heraus, dass es kein Unfall gewesen sein kann. Denn die Obduktion ergibt, dass die 52-Jährige kein Wasser in der Lunge hatte – also nicht ertrunken sein kann, da sie schon nicht mehr gelebt hat, als sie über Bord gegangen ist. Stattdessen war sie bereits vorher erwürgt worden, was die Obduktion ebenfalls zeigt.

Auch wenn vieles darauf hindeutet, dass ihr Lebensgefährte der Täter sein könnte, ermitteln die italienischen Behörden nicht weiter gegen ihn. Zum einen, weil er sich bereits in den USA befindet. Zudem befinden sich aufgrund der längeren Zeit im Meer keine DNA-Spuren mehr an der Leiche. Es gibt also für die Italiener keine Ansatzpunkte für einen Haftbefehl.

Das FBI nimmt Ermittlungen gegen Kocontes auf

Unbestritten ist jedoch, dass Micki Kanesaki gewaltsam zu Tode gekommen ist. Da sie die US-amerikanische Staatsbürgerschaft hat, nimmt sich das FBI des Falles an – und die Ermittler stellen fest, dass es verdächtige Bewegungen auf den Bankkonten von Micki Kanesaki gegeben hat. So hatte Kocontes versucht, mehr als 1 Million Dollar von den Bankkonten seiner toten Ex-Frau auf seine eigenen Konten zu transferieren.

Auf dieser Grundlage wird Kocontes dann tatsächlich festgenommen und 2008 in Kalifornien wegen Mordes vor Gericht gestellt, er plädiert auf nicht schuldig. Damals sagt Amy Nguyen, mit der er inzwischen wieder zusammen ist, für Lonnie Kocontes aus und entlastet ihn, ebenso wie ein befreundeter Jurist. Letztlich weist der zuständige Richter die Klage des FBI wegen Mordes ab. Seine Begründung: Die Anschuldigungen gegen Lonnie Kocontes würden nur auf Spekulationen beruhen und es gebe keinerlei Beweise, die Kocontes mit dem Mord in Verbindung brächten. Er sei nur einer von mehr als 2000 Menschen an Bord des Schiffs gewesen. Jeder könne der Täter sein.

Vier Jahre später dann die Wende

Lonnie Kocontes ist nun wieder ein freier Mann und zieht ohne Amy Nguyen nach Florida. Dort heiratet er eine andere Frau. Doch vier Jahre später – sechs Jahre nach dem Mord an Micki Kanesaki – kommt der Fall wieder ins Rollen. Denn plötzlich taucht Amy Nguyen wieder bei den Ermittlern auf. Und sie revidiert ihre Aussage von 2008. Dieses Mal gibt sie an, dass Lonnie Kocontes bereits im Vorfeld der Kreuzfahrt damit gedroht habe, Micki Kanesaki zu töten oder töten zu lassen. Und er habe Nguyen unter Druck gesetzt, damit sie eine Falschaussage macht.

Kocontes wird daraufhin verhaftet und in Handschellen aus Florida nach Kalifornien gebracht. Er wird wegen Mordes aus Habgier angeklagt sowie wegen Anstiftung zum Mord. Letzteres, weil er versucht haben soll, Amy Nguyen töten zu lassen, damit sie nicht mehr gegen ihn aussagen kann. Darum soll er zwei Mitinsassen im Gefängnis gebeten haben – sie sollten die unliebsame Zeugin durch einen Auftragskiller aus dem Weg räumen lassen.

Micki Kanesaki
Lonnie Kocontes im Jahr 2020 in Kaliformien vor Gericht Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com | Paul Bersebach
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Ein Urteil, 14 Jahre nach dem fast perfekten Verbrechen

Der Prozess wegen Mordes verzögert sich jedoch jahrelang, zunächst, weil nicht klar ist, ob die Staatsanwaltschaft im Bezirk Orange County überhaupt für die Ermittlungen und den Prozess zuständig ist. Denn Micki Kanesak ist in internationalen Gewässern gestorben und nicht in den USA. Schließlich entscheidet man, dass man Lonnie Kocontes in Kalifornien anklagen kann, weil man davon ausging, dass er den Mord in Kalifornien geplant hatte. Zusätzlich gibt es Verzögerungen wegen der Coronapandemie.

Im Juni 2020 schließlich wird Lonnie Kocontes des Mordes an Micki Kanesaki für schuldig befunden und drei Monate später zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Der Bezirksstaatsanwalt von Orange County sagte damals beim Prozess: „Der Angeklagte dachte, er hätte das perfekte Verbrechen geplant und lockte sein Opfer mit einer Mittelmeer-Kreuzfahrt in den Tod. Er wählte das perfekte Schiff, die perfekte Kabine und den perfekten Zeitpunkt, um seine Ex-Frau zu töten. Und er wäre fast mit einem Mord davongekommen. Dass er sein Opfer erwürgte, bevor er es über Bord warf, war Kocontes‘ Verhängnis. Denn weil sie starb, bevor sie auf das Wasser aufschlug, waren ihre Lungen mit Luft gefüllt – nicht mit Wasser – sodass sie an der Wasseroberfläche trieb. Und wie durch ein Wunder wurde ihre Leiche entdeckt. Diese Fehleinschätzung ermöglichte es uns, ihn wegen Mordes zu verurteilen.“

Der zweite Prozess gegen Kocontes wegen Anstiftung zum Mord steht noch bevor. Aber wie auch immer dieser Prozess ausgehen wird – das Gefängnis wird der heute 64-Jährige in seinem Leben wohl nicht mehr verlassen. Sehr zur Erleichterung von Micki Kanesakis Familie, die immer von der Schuld Kocontes‘ überzeugt war und stets beteuert hat, dass ihre Tochter sich niemals habe das Leben nehmen wollen.

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