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TRAVELBOOK-Autor war vor Ort im skurrilen Mini-Staat

Tipps für einen gelungenen Kurztrip nach Gibraltar

Gibraltar
Etwas mehr als 30.000 Menschen leben in Gibraltar, das geografisch zwischen Spanien und Marokko liegt. Wahrzeichen des Landes ist sein imposanter Felsen. Foto: Getty Images
Robin Hartmann Autorenkopf
Freier Autor

26.02.2024, 12:07 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten

Auf einer nur wenige Quadratkilometer großen Landzunge zwischen Spanien und Marokko liegt einer der skurrilsten Orte auf unserem Kontinent: Der Mini-Staat Gibraltar, der seit mehr als 300 Jahren unter der Souveränität des Vereinigten Königreiches steht. Unser Autor hat bei seinem zweitägigen Besuch viele Überraschungen erlebt. Hier verrät er, was Sie bei einem Gibraltar-Besuch gesehen haben sollten – und warum ein paar der wichtigsten Touristen-Highlights unter der Erde liegen.

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So lange ich denken kann, war ich immer schon fasziniert von Kleinstaaten. Stets habe ich mich gefragt, wie ein Land funktionieren kann, dessen Fläche in den Medien mitunter einem Größenvergleich mit Fußballfeldern standhalten muss. San Marino, Monaco, Vatikanstadt – auf dem europäischen Kontinent sind wir ja quasi geradezu gesegnet mit solchen Orten. Und dann gibt es da noch Gibraltar. Ein Überseegebiet des Vereinigten Königreiches, und doch Teil der Europäischen Union, das so Mancher wohl auch unter dem Namen „Affenfelsen“ kennen dürfte. Als sich nun kürzlich auf einer Reise die Gelegenheit ergab, war mir als stets neugieriger Mensch schnell klar: Das muss ich mir unbedingt mal genauer ansehen.

Aus Richtung Málaga an Spaniens Südküste kommend, machte ich mich also mit dem Bus auf den Weg nach Gibraltar. Ich hatte keine Direktverbindung finden können, was schlicht daran liegt, dass die spanischen Busse natürlich nur bis zur Grenze fahren (dürfen). Der Ausstiegspunkt heißt hier La Línea de Concepción, eine Stadt, die ich mir aufgrund ihres klangvollen Namens als sehr romantisch vorstellte. Ich hätte nicht falscher liegen können. Kurz vor dem Ziel kommt zum ersten Mal der auch aus der Ferne gewaltige Felsen von Gibraltar in Sicht, das Wahrzeichen des Mikro-Landes. Und mit ihm ein Industriehafen und eine Gesamtszenerie von beispielloser, ja entmutigender Hässlichkeit.

Gibraltar
Gibraltar grenzt an die spanische Stadt La Línea. Beide Orte sind auf den ersten Blick erst einmal erschreckend industriell und hässlich Foto: Getty Images

Opfer des Brexit

Vom Busbahnhof in La Línea sind es dann nur noch ein paar hundert Meter bis zur Grenze. Und schon von Weitem sehe ich, dass ich auch mit meiner Imagination von Gibraltar absolut haarsträubend daneben lag. Hatte ich mir ein paar vereinzelte Villen ausgemalt, die sich malerisch an den imposanten Felsen schmiegen, an einem Ort, wo man nur das Meeresrauschen hört, so werde ich abermals deftig enttäuscht. Denn stattdessen findet man Hochhäuser, dicht an dicht, so weit das Auge reicht. Man wähnt sich eher in Asien als am geografischen Ende Europas. Dazu ein infernalischer Lärm, den der Kleinstaat, so muss ich bald lernen, quasi den ganzen Tag lang erzeugt.

Doch umkehren ist natürlich keine Option. Zu groß jetzt die Neugier, was mich hinter dem hunderte Meter langen Grenzzaun erwartet. Da ja Gibraltar, wie bereits erwähnt, zur EU gehört, bekomme ich auch trotz mehrmaligen Bittens bei der Passkontrolle leider keinen Souvenirstempel. Zwei Einheimische, die direkt hinter mir anstehen, beobachten meine Bettelversuche mit einer Mischung mit Belustigung und Frustration. „Ich war eben nur kurz in Spanien ein Lotterielos kaufen“, so der eine. „Trotzdem muss ich seit dem Brexit jedes Mal ein- und ausstempeln. Sie haben sogar meinen Rucksack durchsucht, obwohl ich nur zehn Minuten drüben war.“ In Gibraltar stimmten damals laut „Süddeutscher Zeitung“ 96 Prozent der Menschen gegen den Austritt aus der EU.

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Gibraltar
Europa Point ist der südlichste Punkt von Gibraltar. Der Felsen ist wegen seiner strategischen Lage zwischen Atlantik und Mittelmeer in der Vergangenheit seit Jahrtausenden schwer umkämpft gewesen. Foto: Getty Images

Alles „very british“

Dann eine weltweit wohl einmalige Skurrilität: Denn um endgültig das Territorium Gibraltar zu betreten, diesen nur 6,5 Quadratkilometer großen Flecken, überquert man die Landebahn des, ja, er nennt sich tatsächlich so, Internationalen Flughafens. Eine gelangweilte Mitarbeiterin in ihrem Wachhäuschen verrät mir, dass hier pro Woche im Winter maximal zehn Maschinen landen, im Sommer seien es ein paar mehr. Und schon auf den ersten Metern in diesem neuen Land fällt sofort auf: Alles hier ist „very british“. Die roten Doppeldeckerbusse gibt es genauso wie die roten Telefonzellen und Briefkästen, nur den Linksverkehr sucht man vergeblich.

Der Hauptstraße Winston Churchill Avenue folgend gelangt man dann auch schnell zum alten Herz von Gibraltar, dem Hauptplatz Grand Casemates Square. Hier buhlen zahllose Restaurants und Bars um Kundschaft, Fish&Chips dominiert klassisch englisch das kulinarische Angebot. Von hier ab verläuft die gepflegte Main Street, eine wuselige kleine Gasse, die man erstaunlich leicht mit jeder Einkaufsstraße einer deutschen Kleinstadt verwechseln könnte. Wegen seines Sonderstatus ist Gibraltar ein Shoppingparadies für Touristen aus aller Welt. Das Angebot reicht von Tabakwaren über Spirituosen bis hin zu Spielzeug und Luxusartikeln. Gezahlt wird, natürlich, in Britischen Pfund.

15.000 Gastarbeiter pro Tag

Alle Läden, in denen ich war, akzeptierten aber auch Euros bzw. Kartenzahlung. Also machte ich mir gar nicht die Mühe, Währung einzutauschen – den Prozess stellte ich mir trotzdem ein wenig so vor, als würde man Spielgeld für einen Vergnügungspark erwerben. Irgendwann trieb mich der Hunger dann in den „Angry Friar“, außen wie innen ein klassisches Pub, das auch überall in England stehen könnte. An den holzgetäfelten Wänden ein Gedicht von Geoffrey Chaucer aus seinen „Canterbury Tales“ über den namensgebenden Geistlichen, der mehr den weltlichen Genüssen als seiner Berufung zugetan ist. Auf dem Weg zur Toilette eine beeindruckende Sammlung Zippo-Feuerzeuge, mehrere Bilder mit Widmungen von Angehörigen der britischen Marine, die hier einst einkehrten.

Die Fish&Chips genau wie sie sein müssen, triefend vor Frittierfett und mit labberigen Pommes, wie man sie eben aus England kennt. Dazu erhalte ich einen ganzen Korb voller kleiner Soßentüten, die ich dann in mühevoller Handarbeit über meinen Fisch verteile. Essig, Remouladensauce, Salz, Pfeffer und auch sonst alles in Gibraltar muss importiert werden, weil das Land über keinerlei Industrie verfügt. Um den Mini-Staat überhaupt am Laufen zu halten, kommen jeden Tag 15.000 spanische Gastarbeiter über die Grenze. Sie arbeiten in den Supermärkten, als Busfahrer und Krankenschwestern, aber auch in den zahlreichen Banken. Mit dem Geld, dass sie in der britischen Kolonie verdienen, können sie in Spanien sehr gut leben.

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Aufstieg zum Affenfelsen

Von touristischem Interesse ist ansonsten noch der Europa Point, der südlichste Zipfel von Gibraltar. Als Fixpunkt auf der Passage zwischen Mittelmeer und Atlantik war der heutige Kleinstaat schon zu Zeiten der Phönizier von außerordentlicher strategischer Bedeutung. 1704 eroberten ihn die Briten von den Spaniern, 1713 trat Spanien im Vertrag von Utrecht dann das Land auch offiziell an das Vereinigte Königreich ab. Was nicht hieß, dass die Spanier nicht mehrfach versuchten, den Felsen zurück zu erobern. So belagerten sie Gibraltar unter anderem von 1779 bis 1783 vier Jahre lang, doch letztlich erfolglos. Ich habe selten einen Ort mit einem solch ausgeprägten Nationalstolz gesehen. Sämtliche Einwohner, mit denen ich die Chance hatte zu sprechen, betrachteten sich auch heute noch zu quasi 110 Prozent als Briten.

Gibraltar
Die berühmten Makaken leben auf den gewaltigen Sandstein von Gibraltar, der auch als Affenfelsen bezeichnet wird Foto: Getty Images

Der zweite Tag in Gibraltar gehört dann ganz dem Affenfelsen, zu dem ich bereits morgens über die Altstadt aufsteige. Der gigantische, mehr als 200 Millionen Jahre alte jurassische Sandstein ist komplett als Naturreservat „Upper Rock“ geschützt. Der Eintritt für den Tag beträgt 16 Pfund (knapp 19 Euro), und schon am Eingang sehe ich die ersten Affen. Wie sie nach Gibraltar gelangten, ist noch heute ein Rätsel. 2005 ergab ein Gentest der Uni Zürich zumindest, dass sie wohl mit Populationen in Marokko und Algerien verwandt sind. Viel besser gefällt mir aber eine Legende, die ich später bei meinem Besuch lese. Demnach glaubten unter anderem die Römer, zwischen dem Felsen von Gibraltar und dem hier nur gut 20 Kilometer entfernten Marokko gebe es eine unterseeische Verbindung, über die die Tiere schließlich übersiedelten.

Dichtes Tunnelnetz

Ein Besuch auf dem Affenfelsen ist, als würde man in ein Geschichtsbuch des Landes eintauchen. So erwarten einen gleich zu Anfang mehrere Tunnelsysteme, die hier im Laufe der Jahrhunderte zu Verteidigungszwecken in den weichen Sandstein gegraben wurden. Im Zuge des Zweiten Weltkrieges evakuierte man die gesamte Zivilbevölkerung von Gibraltar unter anderem nach Jamaika, Madeira und Nordirland. Man fürchtete einen Angriff von deutscher Seite, den Hitler unter dem Decknamen „Operation Felix“ auch tatsächlich plante. Britische Einheiten gruben von 1940 bis 1943 ein Tunnel-Netz von insgesamt 50 Kilometern, in dem eine Truppe von 16.000 Mann 16 Monate hätte Stand halten können. Einen kleinen Teil dieser Stollen kann man heute besuchen.

Fast noch beeindruckender sind jene Tunnel, die die Briten im Zuge der großen Belagerung von 1779 bis 1783 in den Fels hauten. Noch heute kann man hier Replika der Kanonen sehen, die die englischen Verteidiger an strategisch günstigen Stellen positionierten. An beiden Orten informieren zudem Informationstafeln in mehreren Sprachen wirklich hinreichend über die besondere Geschichte des Ortes. Über den Felsen führen insgesamt vier Wanderwege, auf denen man an allen Attraktionen vorbeikommt. Da wäre zum Beispiel noch eine kleine Hängebrücke und eine Glasbodenplattform. Von letzterer aus hat man auch die spektakulärste Aussicht auf den Felsen von Gibraltar. Wer möchte, kann sich zudem zahlreiche Geschützbatterien ansehen, die die Briten errichtet haben.

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Gibraltar
Sehen Sie den Engel? Diese Gesteinsformation ist die wohl berühmteste in der St.Michael’s Cave Foto: Getty Images
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Der Zugang zur Unterwelt

Der Höhepunkt meines Besuchs war für mich aber die St.Michael’s Cave, eine wunderschöne Tropfsteinhöhle. Durch dramatische Beleuchtung werden die Stalagmiten und Stalaktiten eindrucksvoll illuminiert. Namensgebend für die Grotte ist eine Felsformation, die mir beim Anblick eine ehrfürchtige Gänsehaut über den Rücken jagt. Sie sieht, besonders wenn angestrahlt, tatsächlich aus wie ein riesiger, steinerner Engel mit ausgebreiteten Flügeln. Die Griechen glaubten, in der damals für bodenlos gehaltenen Höhle befände sich einer der Eingänge zu ihrer Unterwelt, dem Hades. Mit „The Awakening“ (Das Erwachen) gibt es hier zudem für Besucher eine spektakuläre Installation aus Videoprojektionen und Ton, ähnlich wie man sie vom „Festival of Lights“ kennt.

Wieder an der Oberfläche kann man auf dem Felsen, in teils mehr als 400 Metern Höhe über Gibraltar, zum Abschluss eines Besuches den Sonnenuntergang bewundern. Die Bucht sowie das kleine Land und die Hügel in Spanien werden noch einmal in warmes Licht getaucht, bevor alles in einem Farbenrausch explodiert, als wäre einem Kind der Tuschkasten umgekippt. Eine letzte Station führt mich dann noch in das Pub „Lord Nelson“ auf dem Casemates Square, wo jeden Mittwoch eine Jam Session mit sehr begabten Musikern stattfindet. Sie lassen mich zum Abschied tatsächlich noch ein paar Songs hinstümpern, die ich vollmundig als „mein erster und wahrscheinlich einziger Auftritt“ in Gibraltar ankündige. Andererseits, man soll ja niemals nie sagen.

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