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„Dein größter Gegner ist deine Psyche“

Wie es dieses Trio schaffte, mit dem Rad von München nach Rio zu fahren

Trio for Rio Wegweiser
Statt auf die Landkarte zu gucken, weisen hier Schilder den Weg: Noch knapp 9800 km bis Rio. Foto: Trio for Rio
Kristina Hellhake

06.10.2018, 16:35 Uhr | Lesezeit: 11 Minuten

Von München nach Rio – mit dem Rad. Was nach einer Schnapsidee klingt, setzten drei Schwaben in die Tat um und reisten am 1. Mai 2015 los, um rechtzeitig zur Eröffnung der Olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro einzutreffen. Jetzt feiert ihr Film über das Abenteuer auf mehr als 28.000 Kilometern Premiere. Im Interview mit TRAVELBOOK verrät Julian Schmieder vom „Trio for Rio“ seine sieben wichtigsten Lektionen von der Radtour seines Lebens.

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Die längste Straße der Welt zu bereisen, die Panamerikana von Alaska bis Feuerland, das war ein Traum von Julian Schmieder (35). Nur WIE die Strecke zurückgelegt werden sollte war für den Kinder- und Jugendsozialpädagoge aus München lange fraglich. Dann brachte eine Radtour von München nach Rom Klarheit: Das Fahrrad sollte das Fortbewegungsmittel der Wahl sein.

Seinen Bruder Nico (29) konnte Julian schnell für die Idee begeistern, gemeinsam entschloss man sich, direkt vor der eigenen Haustüre zu starten. Ein übergeordnetes Ziel war schnell gewählt: Die Olympischen Spiele in Rio 2016 standen vor der Tür. Kurzerhand wurde der gemeinsame Kumpel Sandro Reiter (35) an Board geholt, das „Trio for Rio“ war komplett. Die Hauptbeweggründe für die Reise über mehr als 28.000 Kilometer? „Da spielten Abenteuerlust, Neugier und der Wunsch, die eigenen Grenzen eine große Rolle,“ sagt Julian Schmieder, Initiator der Radeltruppe, im Gespräch mit TRAVELBOOK.

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Von Schwaben über Alaska bis Rio

Die Route führte die jungen Männer von München aus über die schwäbische Heimat Rottenburg-Hailfingen zunächst nach Frankreich, England und bis nach Schottland. Dort ging es am 26. Mai 2015 im Flieger von Glasgow nach Reykjavik und von Island aus schon zehn Tage später nach Anchorage, Alaska und damit auf die legendäre Panamerikana. Von Feuerland führte sie die letzte und längste Etappe quer durch die USA, Kuba und Mittelamerika bis nach Brasilien. Auf ihrer 467 Tage währenden Radtour, die sie 1554 Stunden im Sattel hielt, trafen die drei auf Grizzlybären, schliefen im Zelt oder wurden in Hotels eingeladen, hatten etwa 40 platte Reifen zu beklagen und wurden von LKW in den Straßengraben getrieben.

„Die ersten drei Wochen gewöhnt sich der Körper noch an die enorme Belastung, der Hintern schmerzt, die Muskeln zucken nachts nach. Danach sind zwei Drittel Kopfsache,“ so Julian Schmieder. Der größte Gegner auf der Mammutstrecke? Die Psyche, die die drei unter den enormen Herausforderungen immer wieder aneinander geraten lässt.

Trio for Rio in der Atacama Wüste in Chile
Um gemeinsam auf 4000 Höhenmetern in der Atacama Wüste anzukommen braucht es Willensstärke und Zusammenhalt Foto: Trio for Rio

Zeitweise vom Trio zum Duo

„Wir sind drei Dickköpfe,“ erklärt Schmieder, „jeden Tag alle individuellen Wünsche, Ideen und Eitelkeiten unter einen Hut zu bekommen, das ständige Zusammensein und die individuelle Tagesform zu berücksichtigen, war mitunter die größte Herausforderung.“ Bei so viel Nähe über so eine lange Zeit knallt es auch mal gewaltig. Und so wurde aus dem Trio zeitweise auch mal ein Duo, als die Gruppe entschied, einige Tage getrennt zu reisen. So war Sandro Reiter in Kanada und den USA für fünf Wochen solo unterwegs und Nico Schmieder in Ecuador für zehn Tage auf sich allein gestellt. Danach fand die Gruppe jeweils wieder zusammen. Julian Schmieder sieht die Konflikte im Nachhinein sportlich: „Die Kilometer werden zur Nebensache, der eigentliche Erfolg ist es, gemeinsam ins Ziel gekommen zu sein. Letztendlich überwiegen die schönen Momente, Emotionen, auch Streit, gehören einfach dazu.“

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„Das Leben spielt sich draußen ab“

Egal bei welcher Gefühlslage, immer mit dabei ist die Kamera, mit der die drei Extremreisenden das Erlebte festhalten und kommentieren. Unter dem Titel „Das Leben spielt sich draußen ab“ ist aus den 400 Stunden Filmmaterial ein Kinofilm entstanden, den die Gruppe in Eigenregie geschnitten hat, vermarktet und vertreibt.

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Im Interview mit TRAVELBOOK verrät Julian Schmieder vor dem Kinostart am 20. Oktober seine sieben wichtigsten Tipps für das Gelingen einer solchen Reise:

1. Die Vorbereitung ist Teil der Reise

„Basics wie Impfungen, Auslandsversicherungen, Visa und die Gültigkeit von Reisepässen und Bankkarten zu checken, verstehen sich von selbst,“ sagt Schmieder. Viele Dinge ließen sich im Vorfeld organisieren, so zum Beispiel auch das Kündigen von Verträgen, die man während der Abwesenheit nicht benötigt. Was körperliche Voraussetzungen angeht, gibt sich der 35-Jährige, der sportlich schon immer aktiv war, gelassen: „Eine Grundfitness sollte man immer mitbringen, die nötige Kondition baut man dann während der Tour auf, unsere längste Strecke umfasste 9,57 Stunden, das kann man kaum üben.“ Generell helfe es, die Vorbereitung und Planung als spannenden Teil der eigentlichen Reise wahrzunehmen: „Dieser Traum war es uns wert, in den zwei, drei Jahren vor dem Start jeden erdenklichen Nebenjob anzunehmen, um uns zu finanzieren.“ Auf diese Weise werde schon der Alltag zum Teil des Abenteuers.

2. Weniger ist mehr

„Auf dem Rad ist jedes Gramm zu viel an Gepäck bremsender Ballast,“ warnt Schmieder, „Je länger die Reise geht, desto weniger darf noch mitfahren. Gerade in den Anden oder bei extremem Gegenwind fluchst du über jedes einzelne Kilo. Bei uns kamen zu den rund 80 Kilo Eigengewicht noch 55 Kilo fürs Rad inklusive Gepäck. Genügend Vorräte zu berücksichtigen, hat beim Packen absolute Prio.“ Überflüssiges verschenkten die Drei an ihre Gastgeber entlang der Route, eine Möglichkeit sich für Obhut oder Essen zu bedanken. Auf ihrer Reise waren sie auf alle Eventualitäten vorbereitet: „Unsere Ausrüstung war für Wüstenhitze und Eiseskälte ausgelegt. Es musste vom Erste-Hilfe-Set über den Wasserfilter bis zur Ersatzspeiche alles mit. In manchen Gebieten mussten wir zusätzlich Proviant für über zehn Tage aufladen: Im Idealfall hat alles eine Doppelfunktion und kann von jedem in der Gruppe genutzt werden,“ sagt Schmieder. So sicherte der Spanngurt das Gepäck, bildete die Wäscheleine und spannte das Zelt ab. Shampoo wird nicht zur Körperpflege genutzt, sondern auch zum Kleidungs- und Geschirrwaschen.

3. Nimm dich und dein Projekt nicht zu ernst

„Egal wo wir auf der Welt unterwegs waren: Humor hilft in der Regel immer weiter! Die Vorurteile vom ernsten Deutschen wollten wir nicht bedienen,“ sagt Julian Schmieder im Interview mit TRAVELBOOK, „wir haben viel über uns gelacht und damit konnten wir die Menschen, denen wir auf der Strecke begegnet sind, oft für uns gewinnen. Dem kubanischen Apotheker mit Gestik, Mimik und einem Sprachmix aus allen erdenklichen Wortfetzen deinen Durchfall oder dem peruanischen Mechaniker ein gebrochenes Tretlager zu erklären, hat oft das Eis gebrochen, zu vielen bunten Konversationen geführt und unzählige Türen geöffnet.“ Humor zeigten die jungen Männer bei der Wahl ihrer Ausrüstung: So erwiesen sich ausgerechnet farbige Poolnudeln als gute Abstandhalter. Durch die kräftigen Farben auch von Weitem gut zu sehen, machten sie die Räder optisch breiter und schafften gerade bei vorbeifahrenden Lastern mehr Raum, da diese von selbst aus größerer Entfernung vorbeifuhren.

Poolnudeln funktionieren beim Trio for Rio als Abstandhalte
Machen das Gefährt optisch breiter und erweisen sich als nützliche Abstandhalter: Poolnudeln auf dem Gepäckträger Foto: Trio for Rio

4. Halte dich an Etappenziele

Ein Ziel, das mehr als 28.000 Kilometer entfernt ist, ist für jemandem auf dem Fahrrad nur schwer greifbar. Entsprechend orientierten sich „Trio for Rio“  an kleineren Abschnitte. „Wir haben versucht, nicht immer nur Rio im Kopf zu haben, sondern jeweils die Ziele zu visualisieren, die als nächstes auf der Route lagen, wie die Grenze zu Mexiko oder Macchu Piccu,“ erklärt Julian Schmieder, „das hat uns beim Durchhalten bei kleinen mentalen Tiefs sehr geholfen. Aber natürlich war es auch schön, ein konkretes Ziel zu einem konkreten Termin zu haben, auf das man hinstrampelt.“

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5. Nimm dir Zeit für Pausen

„Pausentage und Entspannung dürfen selbstverständlich nicht fehlen,“ erklärt Schmieder, der bereits den nächsten Rad-Trip ins ferne Japan plant, „selbst am Ende der Welt, mitten in den Bergen, am Strand oder im Stadtpark findet man eine schönes Fleckchen, um in der Hängematte zu entspannen und um den Muskelkater auszukurieren. Auf Kuba und den Galapagosinseln haben wir uns ein paar Tage ohne Fahrrad gegönnt, Urlaub vom Urlaub sozusagen. Diese Auszeiten waren auch gut für unser Gruppenklima.“

Trio for Rio während einer Fahrradpause
Gerade mit einem langfristigen Ziel vor Augen sind Pausen wichtig, wie hier noch auf Nahe der Heimat in der Nähe von London

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6. Vertraue deinem Bauchgefühl!

In ihrem Reisealltag und in Gefahrensituation setzten die Drei auf ihre Intuition: „Es ist erstaunlich, wie man auf solch einer Reise seine Sinne schärft und instinktiv meist richtig handelt,“ sagt Schmieder und appeliert: „Vertraue deinen Fähigkeiten. Letztlich ist jede Herausforderung reine Kopfsache. Zuviel Recherche über ein Land oder eine Route kann dich auch verrückt machen, auch hier galt für uns: Weniger ist mehr. Klar geht manchmal auch gehörig was daneben, aber auch hier hilft eine positive Grundeinstellung. Über deinen dritten Sturz vom Rad lachst du zwar erst nach der Reise, aber auch das gehört eben dazu, und die besten Storys sind oft die, bei denen man scheitert.“

Trio for Rio treffen auf Grizzyl Bär
Unerwartete Begegnung in Alaska: Als sie den Grizzly entdecken, lassen die Männer ihre Räder zurück und verstecken sich in der Böschung Foto: Trio for Rio

Nicht das Scheitern, aber dafür die mutmaßliche Lücke im Lebenslauf mahnten viele kritische Stimmen an – für das „Trio for Rio“ ein weiterer Grund, durchzuziehen: „Für verrückt erklärt zu werden ist die beste Motivation!“, so Schmieder. Insgesamt sei der Zuspruch aber groß gewesen, die mentale Unterstützung durch Familie und engere Freunde habe enorm gestärkt.

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7. Mach dich frei und unabhängig

Pausenlos online? Beim Leben auf dem Rad undenkbar und diese Pause von der ständigen Errreichbarkeit genossen die drei Reisenden, sagt Schmieder: „W-Lan braucht man nur alle paar Wochen, Strom kann man über Solar gewinnen, die Wäsche kann im Fluss ausgewaschen werden.“ Die Reduktion auf das Nötigste sei der wahre Wellness des Reisens, so der 35-Jährige: „Es tut einfach gut – mit dem Zelt findest du die schönsten Plätze unterm Sternenhimmel und selbst Spaghetti mit Tomatensoße sind auch nach Tag 423 auf dem Rad immer wieder ein Festmahl.“

Trio for Rio Ankunft in Rio
Nach 467 Tagen und ingesamt 1554 Stunden im Fahrradsattel erreichen die drei Radler ihr Ziel Rio Foto: Trio for Rio

Auch in Sachen Orientierung hielten es die Drei simpel, erklärt der Münchner: „Wir sind gerne mit Landkarten gereist. So bekommt man eher ein Gefühl für Distanzen als mit dem GPS-Gerät. Das hatten wir für den Notfall allerdings auch dabei. Sich frei zu machen von Motoren und Elektronik bedeute auf solch einer Reise genau das: Freiheit! Freiheit erlaubten sich die drei auch auf dem Rückweg von Rio, diesen legten sie nämlich deutlich entspannter als die Hinreise zurück: Von den Olympischen Spielen ging es mit dem Flieger nach Lissabon und dann waren es auch nur noch 4000 Kilometer bis in die Heimat. Für die erfahrenen Radfahrer quasi ein Katzensprung.

„Das Leben spielt sich draußen ab.“ feiert am 20. Oktober in Rio-Filmpalast in München Weltpremiere. 

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