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Nach Unfällen

Bergsteiger müssen auf dem Mount Everest künftig getrackt werden 

Der Gipfel des Mount Everest
Was einen Aufstieg auf den Mount Everest so gefährlich macht, lesen Sie bei TRAVELBOOK Foto: Getty Images
Larissa Königs
Larissa Königs

04.03.2024, 15:20 Uhr | Lesezeit: 11 Minuten

Kein anderer Berg der Welt fasziniert die Menschen so sehr wie der Mount Everest. Jedes Jahr gehen zahlreiche Menschen das enorme Risiko eines Aufstiegs ein. Dabei können die Folgen lebensgefährlich sein, wie Hunderte Unfälle der Vergangenheit beweisen. Nun handelt Nepal: Ohne Tracking-Chips, also Ortungsgeräte, darf künftig keiner mehr hoch. Erfahren Sie bei TRAVELBOOK mehr darüber und was genau die Besteigung so gefährlich macht.

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Der Mount Everest liegt mitten im Himalaya, der Weg zu seinem Gipfel dauert Wochen und er ist mit 8848 Metern der höchste Berg der Welt. Doch obwohl kaum eine Region auf der Welt so lebensfeindlich ist wie Khumbu in Nepal, wo er sich befindet, wagten sich in der vergangenen Saison so viele Menschen auf den Mount Everest wie noch nie zuvor – Nepal soll 478 Aufstiegsgenehmigungen erteilt haben. Schlimm: Zwölf dieser Abenteuer endeten tödlich, wie das Ministerium bestätigt hat. Fünf weitere Personen gelten bis heute als vermisst. Vor der Mount-Everest-Saison 2024 hat Nepal deshalb neue Vorschrift erlassen. Mehr dazu und was Sie sonst über die Kosten, Routen und Gefahren eines Aufstiegs wissen sollten, erörtert TRAVELBOOK im Folgenden.

Immer mehr Aufstiege – trotz hoher Kosten

Eine so große Zahl an Aufstiegen, wie sie im vergangenen Jahr erreicht wurde, war über lange Zeit völlig utopisch. Bis 1980 gab es insgesamt nur 99 Menschen, die es bis zum Gipfel geschafft hatten. Darunter war auch Reinhold Messner, der den Mount Everest Anfang der 1970er-Jahre als erster Mensch ohne zusätzliche Sauerstoff-Unterstützung bezwang. Daraufhin explodierte die Zahl der Everest-Expeditionen förmlich: In den 1990er-Jahren erreichten erstmals 100 Menschen pro Jahr den Gipfel, also mehr als in den 30 Jahren nach der Erstbesteigung insgesamt.

Dabei ist die Expedition alles andere als günstig. Alleine die Genehmigung kostet in Nepal 10.000 Euro. Im Durchschnitt zahlt man für die gesamte Expedition 50.000 Euro bis 90.000 Euro – nach oben gibt es kaum Grenzen. Da braucht man die zusätzlichen Kosten von rund 10 bis 14 Euro, die für die Miete der künftig obligatorischen Tracking-Chips hinzukommen, sicherlich nicht zu erwähnen. Doch umso bedeutender ist die Maßnahme.

Nur noch mit Tracking-Chips erlaubt

Renommierte Veranstalter von Mount-Everest-Aufstiegen sollen die GPS-Ortungsgeräte, die demnach von einer europäischen Firma hergestellt werden, schon früher verwendet haben. Das erklärt dazu Rakesh Gurung, Direktor des nepalesischen Tourismusministeriums, im Gespräch mit „CNN“. Nun seien sie für alle Bergsteiger verpflichtend. Die Chips werden demnach in die Kleidung ihrer Mieter eingenäht, um den gesamten Aufstieg über fest zu sitzen. „Das wird die Such- und Rettungszeit im Falle eines Unfalls verkürzen“, so Gurungs Hoffnung.

Bislang waren Bergsteiger, wenn sie nicht freiwillig einen GPS-Tracker mit sich führten, beim Erklimmen des welthöchsten Bergs weitestgehend auf sich gestellt. Seitens des nepalesischen Tourismusministeriums galten für Wagemutige nur wenige Regeln. Eine davon: Sie durften lediglich Fotos und Videos von sich und ihrer Gruppe aufnehmen – nicht aber von anderen Menschen auf dem Berg. Zuwiderhandlungen wurden 2021 unter Strafe gestellt. Ansonsten mussten Bergsteiger vor dem Aufstieg ein medizinisches Attest einreichen, eine Bergungs-Versicherung abschließen und eben bezahlen.

 Das südliche Base Camp auf der nepalesischen Seite 
Das südliche Base Camp auf der nepalesischen Seite  Foto: Getty Images

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Start einer Mount-Everest-Expedition und weiterer Ablauf

Vom Fuß des Berges bis zum Gipfel gibt es mehrere Lager, die sogenannten Camps. Die ersten sind das nördliche und das südliche Base-Camp (Basislager). Das südliche Base-Camp auf der nepalesischen Seite ist bei Touristen besonders beliebt. Es liegt auf einer Höhe von 5365 Metern. Zum Vergleich: Der höchste Berg der Alpen, der Montblanc, ist 4810 Meter hoch. Von Lukla aus – dem Städtchen, wo sich der nächstgelegene Flughafen befindet – ist es mit etwa fünf bis sechs Tagen Dauer nicht nur recht zeitaufwendig, das Base-Camp zu erreichen, sondern auch körperlich sehr anstrengend. Viele ungeübte Bergsteiger müssen bereits diese Expedition abbrechen. Trotzdem ist dieser noch der einfachste Part einer Besteigung.

Nach dem Basislager folgen noch vier weitere Camps: Camp 1 auf 5943 Metern, Camp 2 auf 6400 Metern, Camp 3 auf 7162 Metern und Camp 4 auf 8000 Metern.

Der gefährliche Khumbu-Eisbruch

Vom ersten Basecamp aus starten die Expeditionen zum Gipfel. Auf der Südroute, der Standardroute, geht es zunächst in den Khumbu-Eisbruch. Hier fällt das Gletschereis in einer Spalte bis zu 600 Meter ab – überquert wird sie auf Leitern. Immer wieder gibt es dort Lawinen und Unfälle. Mindestens 40 Menschen starben am Khumbu-Eisbruch bislang, wie es vom Tourismusministerium Nepals heißt, das zu den Bergen Statistik führt. 2014 starben dort gleich 16 Sherpas in einer Lawine. Erschwerend hinzu kommt, dass der Weg nur in einem kurzen Zeitfenster beschritten werden kann, den „Fenstertagen“. Sie treten, wenn überhaupt, im Frühjahr zwischen April und Mitte Juni auf. Dabei variiert die Zahl der Fenstertage enorm – während es z. B. 2018 elf davon gab, waren es im Jahr darauf nur zwei.

Auch deswegen gibt es immer wieder Vorschläge für alternative Routen, die weniger gefährlich sind. Doch die meisten davon scheitern an den nepalesischen Behörden.

Mount Everest
Der Khumbu Eisfall am Mount Everest, wie er mit einer Leiter (!) bezwungen wird Foto: Getty Images

Aufstieg dauert mehr als einen Monat

Wer das geschafft hat, durchquert das Tal des Schweigens sowie die Lhotse-Flanke und gelangt schließlich zum Südsattel, der auf 8000 Metern liegt. Dort befindet sich das vierte Basecamp, von dem aus es direkt zum Gipfel geht.

Der gesamte Aufstieg dauert insgesamt durchschnittlich 60 Tage. Das liegt nicht nur an der langen und schwierigen Strecke, sondern auch daran, dass sich die Teilnehmer zunächst akklimatisieren müssen, um nicht Opfer der gefürchteten Höhenkrankheit zu werden. Dafür gibt es zwei Methoden: Zum einen dürfen nur wenige Höhenmeter pro Tag zurückgelegt werden, zum anderen müssen Kletterer teilweise die Strecken, die zuvor erklommen wurden, noch einmal hinab und wieder hinaufsteigen. Mit einem sogenannten Hypoxie-Zelt, das die geringe Sauerstoffsättigung nachahmt, kann man sich schon vor dem Aufstieg zu Hause vorbereiten und somit einige Tage sparen.

Aber auch das mindert nicht die Gefahr der sogenannten Todeszone, in der sich Bergsteiger ab dem vierten Camp befinden. Hier wird es akut lebensgefährlich. Denn das Risiko, an der Höhenkrankheit oder einem Ödem zu sterben, ist hier sehr groß. Der Sauerstoffgehalt in dieser Höhe ist nämlich zu gering für den menschlichen Körper. Auch deswegen wird die letzte Etappe zum Gipfel an einem Tag umgesetzt. Dafür wandern die Bergsteiger schon früh morgens los. Umso dramatischer ist es, wenn man sich in der Todeszone länger als nötig aufhalten muss. Das passiert allerdings immer wieder – und dafür gibt es zwei Ursachen.

Gründe für die vielen Todesfälle am Mount Everest

Lange Wartezeiten

Ein Grund sind zu lange Wartezeiten. Denn auch wenn es unglaublich erscheint, ist der Andrang zum Gipfel manchmal so groß, dass die Bergsteiger auf der letzten Etappe zum Gipfel zu lange bei eisigen Temperaturen warten müssen. Genau das geschah 2019 zweimal; TRAVELBOOK berichtete. Als es im Frühling 2019, ganz oben in der Todeszone, wo der menschliche Körper abbaut und sich nicht erholen kann, einen Stau gab, starben elf Menschen. Ein Foto des Staus ging um die Welt. Die nepalesische Regierung wurde daraufhin dafür kritisiert, zu viele Menschen nach oben gelassen zu haben, die nicht geeignet für das Abenteuer waren.

Keine Qualifikationskontrolle

In Nepal kann jeder – auch ohne Vorkenntnisse – beim Tourismusministerium die Genehmigung zur Besteigung des Mount Everest beantragen und muss dafür 11.000 US-Dollar (mehr als 10.000 Euro) zahlen. Einheimische Bergführer monieren immer wieder, dass viele unerfahrene Menschen am Berg seien, die im Vorfeld kaum hohe Berge erklommen hätten. Die Gefahr eines Staus in der Todeszone ist dadurch entsprechend erhöht.

Schlange stehen um auf den Gipfel des Mount Everest zu kommen: das ist keine Seltenheit mehr
Schlange stehen um auf den Gipfel des Mount Everest zu kommen: das ist keine Seltenheit mehr Foto: Getty Images

Unerfahrenheit und Übermut

Mit der erhöhten Zahl der Besteigenden wächst das Risiko auch aufgrund einer zweiten Ursache für viele Todesfälle: Unerfahrenheit. Zahlreiche Trekking-Touristen unterschätzen den Abstieg zurück zum nächsten Base-Camp, der noch einmal genauso kräftezehrend wie der Aufstieg ist. Seit der ersten Besteigung ereigneten sich 299 bestätigte Todesfälle.

Laut dem Expeditionsarchiv „Himalayan Database“ sind unter den Toten auch einige Bergführer. In der Zeit zwischen der ersten erfolgreichen Everest-Besteigung durch Tenzing Norgay und Edmund Hillary im Jahre 1953 und dem Jahr 2022 waren 113 der 299 erfassten Todesfälle Sherpas. Auch ein Streben nach speziellen Rekorden auf dem Berg sowie nach mehr Arbeit für Expeditionsfirmen könnte die Zahl der Toten beeinflussen, glauben einige.

Unzuverlässige Wettervorhersagen

Gleichzeitig können unzuverlässige Wettervorhersagen Schwierigkeiten bereiten. So sollen an den vielen Todesfällen im Jahr 2023 laut dem Chef des Tourismusministeriums, Yubraj Khatiwada, hauptsächlich der Klimawandel und Wetterumschwünge Schuld gewesen sein. Im Himalaya schneite es im späten März und frühen Mai 2023 stark – das ist um diese Zeit eigentlich selten. Aus dem Tourismusministerium heißt es, dass dies eine größere Herausforderung für Bergsteiger bei der Akklimatisierung an die hohe Höhe sowie beim Gipfelvorstoß bedeutet hatte. Es habe auch besonders viele Fälle von Erfrierungen und Höhenkrankheit gegeben, hieß es aus Regierungskreisen, wodurch rund 200 Mal Hubschrauber in Noteinsätzen Leute aus dem zweiten von vier Höhenlagern ins Basislager fliegen mussten.

Leichen weisen den Weg zum „Dach der Welt“

Ein Problem, das leider nicht neu ist. Der erfahrene Bergsteiger Elia Saikaly beschrieb schon 2019 drastisch auf seinem Instagram-Kanal: „Tod. Massensterben. Chaos. Warteschlangen. Leichen auf dem Weg und im Camp 4.“ Auch der deutsche Bergsteiger Luis Stitzinger berichtete auf BILD: „Ich selbst habe sechs Tote gezählt.“ Besonders verstörend: Viele der Leichen liegen noch immer am Wegesrand, konserviert und tiefgefroren.

Die Bergung auf dem Dach der Welt ist kompliziert. So brauche es für eine einzige Leiche sechs bis acht Sherpas, erklärt Bergführer Kari Kobler der Schweizer Zeitung „Blick“. Das liege daran, dass die gefrorenen Leichen schwerer werden – bis zu 150 Kilogramm.

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Darunter sind Legenden

So makaber es sein mag: Einige der Leichen sind mittlerweile sogar so bekannt, dass sie zu Legenden geworden sind – und zeitweise sogar zu Wegweisern. So auch „Green Boots“. Kaum eine Everest-Leiche ist so bekannt wie sie. „Green Boots“ trägt einen roten Fleecepulli und bekam ihren Namen aufgrund ihrer leuchtend grünen Bergstiefel. Fast 20 Jahre lag sie in etwa 8500 Metern auf dem Everest. Die Identität von „Green Boots“ ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Man geht mittlerweile davon aus, dass es sich um den indischen Bergsteiger Tsewang Paljor handelt, der bei seiner Expedition die gleichen grünen Stiefel trug.

Die Leiche war ein wichtiger Wegweiser auf der Nordroute. Etwa 80 Prozent der Bergsteiger, die sich für die Nordroute entscheiden, machten außerdem in der Höhle „Green Boots Cave“ eine Pause, wie der irische Abenteurer und Filmemacher Noel Hanna der „BBC“ sagte. Erst im Jahr 2014 verschwand sie auf mysteriöse Weise.

Es wird davon ausgegangen, dass „Green Boots“ einer der acht Toten des „Mount Everest Desasters von 1996“ ist, als Bergsteiger in einen Blizzard gerieten. Diese tragische Geschichte ist Basis für mehrere Filme, darunter der Blockbuster „Everest“ mit den Hollywood-Stars Keira Knightley und Jake Gyllenhall. Noch heute liegen die Leichen zweier weiterer Teilnehmer der Expedition, Doug Hansen und Scott Fischer, auf dem Mount Everest.

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Kritik an der Kommerzialisierung

Laut einer Studie aus dem Jahr 2020 von US-Forschern, die im Fachmagazin „PLOS One“ veröffentlicht wurde, ist mittlerweile zwar die Chance, den Mount Everest erfolgreich zu besteigen, heutzutage doppelt so hoch wie noch vor etwa 20 Jahren – mit einer nahezu unveränderten Sterberate. Dennoch sehen viele erfahrene Bergsteiger den Trend der Besteigung des höchsten Bergs der Welt extrem kritisch. Reinhold Messner kritisierte schon vor mehr als 15 Jahren, der Mount Everest werde „zum Rummelplatz“ für Touristen. Sein damaliger Begleiter Peter Habeler sagte in einem Interview mit dem „Spiegel“ 2018: „Die Berge vertragen nicht so viele Menschen“. Was er damit meinte, wird klar, wenn man die Mengen an Müll betrachtet, die viele Bergsteiger auf den Expeditionen zurücklassen.

So finden sich auf dem höchsten Berg der Erde Massen von kaputten Zelten und leere Sauerstoffflaschen. Alleine 2018 sammelte China in einer Expedition mehr als acht Tonnen Müll vom Mount Everest. Davon waren alleine zwei Tonnen menschlicher Kot. Dabei gibt es seit 2015 sogar ein Gesetz, dass jeder Bergsteiger beim Abstieg auch einen Teil Unrat, mindestens acht Kilo, mitnehmen muss. Wer sich widersetzt, muss 100 bis 4000 US-Dollar Strafe zahlen – die viele vermögende und vor allem erschöpfte Bergsteiger jedoch in Kauf nehmen. Doch wenn sowohl der mit der zunehmenden Kommerzialisierung einhergehende Müll als auch die Lebensgefahr der Touristen so ein Problem ist, warum wird dann der Tourismus nicht eingeschränkt?

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Der Grund ist simpel: Der Tourismus ist für das bitterarme Nepal ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Hier ist der Trekking- und Höhenbergsteig-Tourismus sogar der wichtigste Industriezweig des Landes. Einschränkungen wären fatal für die einheimische Bevölkerung.

Themen: News
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