11. April 2020, 11:04 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Im Jahr 1953 wird der Mount Everest zum ersten Mal bezwungen – von Edmund Hillary aus Neuseeland, der eigentlich Imker ist. Dabei hat der Mann neben seinen unbestreitbaren Fähigkeiten und seinem kongenialen Partner Tenzing Norgay vor allem eines: Glück. Der zweite Teil unserer Reihe Epic Travels.
Es ist der 29. Mai 1953, Ortszeit 11:30 Uhr, als der neuseeländische Imker Edmund Hillary und sein Kollege, der Nepalese Tenzing Norgay, einen letzten Schritt auf einem Weg machen, der bis dahin bereits über 30 Jahre gedauert hatte. Hillary zuerst, so schreibt es später Norgay in seiner Biografie „Tiger of the Snows”, danach er selbst, setzen Fuß auf Land, das bis dahin noch nie ein Mensch vor ihnen betreten hat: Den Gipfel des Mount Everest. Er ist mit 8848 Metern der höchste Berg der Welt, eine wahre Urgewalt aus Stein, Eis und Schnee, die Einheimischen nennen ihn respektvoll „Muttergottheit des Landes”.
Nie zuvor hatte jemand diesen Punkt erreicht, nicht Wenige hatten das Wagnis wegen früherer, stets gescheiterter Expeditionen, für schlicht unmöglich gehalten. Doch nun standen sie da, Hillary und Tenzing, und schüttelten sich ob ihres Triumphs die Hände, „in guter angelsächsicher Tradition”, wie „National Geographic” Hillary später zitieren soll. Danach fielen sie sich in die Arme und aßen ein paar Süßigkeiten. Alles in allem verbrachten sie etwa 15 Minuten auf dem Gipfel. Dafür hatte das britische Empire, in dessen Auftrag sie unterwegs waren, zuvor über drei Dekaden gearbeitet, viele tapfere Bergsteiger bezahlten dafür mit dem Leben.
Zahlreiche gescheiterte Expeditionen
Denn bereits seit 1921 hatte es die ersten (dokumentierten) Bestrebungen gegeben, den Gipfel des Mount Everest zu stürmen. Kein Mann war dabei so hartnäckig gewesen wie die britische Bergsteiger-Legende George Leigh Mallory, der laut „History” einmal, gefragt, warum er den Berg unbedingt besteigen wollte, gesagt haben soll: „Weil er da ist.” Drei Anläufe unternahm Mallory, erreichte den Gipfel mehrmals beinahe, nur um schließlich bei einem weiteren Versuch 1924 gemeinsam mit seinem Kollegen Andrew Irvine spurlos zu verschwinden. Seine gut konservierte Leiche gab der Berg erst 1999 wieder frei. Ob es die beiden tatsächlich als Allererste bis zum Gipfel geschafft haben, ist bis heute unklar.
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1952 werden die Briten dann noch fast überholt, als ein Team von Schweizer Bergsteigern dem Gipfel des Mount Everest so nahe kommt wie kein anderes zuvor. Damals müssen Raymond Lambert und ein gewisser, noch unbekannter Tenzing Norgay ganz kurz vor dem Gipfel wegen mangelnder Verpflegung aufgeben, doch die Route über den gefährlichen Khumbu-Gletscher, die sie als erste überhaupt gegangen sind, legt den Grundstein für den späteren Erfolg der britischen Expedition.
350 Träger für die Ausrüstung
Deren Leiter, Colonel John Hunt, hat dafür nur die absolute Elite ausgesucht, darunter eben Hillary, der zuhause in Neuseeland Bienenzüchter ist, und mit den Bergen seiner Heimat eine ideale Trainingsstätte hatte. Laut dem Expeditionsmitglied G.C.Band sei Hillary damals auf der absoluten Höhe seiner körperlichen Fitness gewesen: „Es war seine vierte Himalaya-Expedition in etwas über zwei Jahren”, zitiert ihn „National Geographic”. „Er war ein Typ, der die Ärmel hochrollte und Dinge durchzog”. So zum Beispiel die Führung der Truppe über den Khumbu-Gletscher, damit man ein dem Gipfel „nahes” Basislager aufschlagen konnte.
Das Vorhaben war dabei von Anfang an ein wahrer Kraftakt für alle Beteiligten. So wurden etwa 350 Träger benötigt, um die mehrere Tonnen schwere Ausrüstung zu schleppen, dazu 20 Sherpas, darunter auch Tenzing Norgay, der durch seine exzellente Fitness und seine Kenntnis des Himalaya bei der letztlich erfolglosen Schweizer Expedition ein Jahr zuvor aufgefallen war. George Band, Teilnehmer der britischen Gruppe, erinnerte sich Jahre später: „Der grundlegende Plan war, dass es zwei Versuche zur Erstürmung des Gipfels geben würde, ausgeführt von jeweils zwei Mann – und einen möglichen dritten, sofern nötig.”
Extrem knappes Zeitfenster
Ein Problem war vor allem das extrem enge Zeitfenster. Erst am 21. Mai beginnt die Gruppe mit ihren ersten Versuchen, doch schon ab dem 1.Juni soll die gefürchtete Monsun-Zeit hereinbrechen, die unberechenbares Wetter und vor allem schwere Schneestürme im Gebirge mit sich bringen kann. Dann würde allein der gesunde Menschenverstand jeglichen Aufstiegsversuch verbieten. Die Gruppe schlägt also ein erstes Lager auf, laut „Encyclopedia Britannica” auf 7315 Metern Höhe. Am 26. Mai schließlich erreichen Tom Bourdillon und Charles Evans, die als Alpha-Team ausgewählt worden waren, den Südgipfel des Mount Everest. Doch nur etwa 100 Meter unter dem absolut höchsten Punkt der ganzen Welt müssen sie aufgeben, da ihnen der Sauerstoff auszugehen droht.
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Zwei Tage später bekommen also Hillary und Norgay ihre Chance, sie errichten ein letztes Camp auf 8500 Metern Höhe und verbringen dort eine frostige, schlaflose Nacht, bevor sie in den frühen Morgenstunden des 29. Mai zum Endspurt aufbrechen. Sie erreichen den Südgipfel bereits um 9 Uhr, doch auf den letzten 100 Metern stellt sich ihnen eine letzte, potenziell tödliche Herausforderung entgegen: Eine meterhohe vertikale Wand aus Fels, an der sie sich ungesichert, nur mit ihrer Eiskletter-Ausrüstung mit letzter Kraft hochziehen müssen. Die Passage gilt heute als Hillary-Step, und ist eine der gefährlichsten bei der Besteigung des Mount Everest.
Der Gipfelsturm wird zum Politikum
Auf dem Gipfel galten dann Hillarys Gedanken den 1924 verschollenen Bergsteigerkollegen Mallory und Irvine, wie er „National Geographic” erzählte. „Mit wenig Hoffnung schaute ich mich um, suchte nach irgendeinem Zeichen, dass die Beiden den Gipfel erreicht hätten – ich habe nichts gesehen.” Nach 15 Minuten, ein längerer Aufenthalt wäre tödlicher Leichtsinn gewesen, machen sich Hillary und Norgay wieder an den Abstieg. Auf dem Weg nach unten treffen sie ihren Expeditionskollegen George Lowe, dem Hillary übermütig zuruft: „Well, George, we knocked the bastard off! – Wir haben den Bastard erledigt!”
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Die Nachricht von der Besteigung des Mount Everest verbreitet sich in Kathmandu wie ein Lauffeuer. James Morris, ein Reporter der englischen „Times”, der in einem tieferen Lager den Ausgang der Expedition abgewartet hatte, hat so viel Angst, dass ihm jemand seine Sensations-Story wegschnappen könnte, dass er den Artikel darüber codiert an die heimische Redaktion telegrafiert.
Wer war nun zuerst auf dem Mount Everest?
Doch wer stand nun als Erster auf dem Mount Everest? Der Brite Hillary oder der Nepalese Tenzing? Die nepalesische und indische Presse hoffte auf Tenzing, die britische auf Hillary. Um politischen Spannungen vorzubeugen, entschied man sich für einen Pakt, wie Hillary erzählte: „John Hunt, Tenzing und ich hatten ein Treffen. Wir beschlossen, kein Wort darüber zu verlieren, wer als Erster oben gewesen ist.”
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Diese Absprache blieb bestehen, bis Norgay in seiner Biografie verriet, Hillary sei in der Tat zuerst auf dem Gipfel gewesen. Die Geschichte wird in England am 2. Juni 1953 öffentlich bekannt gemacht wird – genau an dem Tag, an dem Elizabeth II. den englischen Thron besteigt. Die Zeitungen jubeln: „All das, und der Everest noch dazu!” Dennoch entschied sich das Empire übrigens dazu, zwar John Hunt und Edmund Hillary zum Ritter zu schlagen, Tenzing Norgay aber nur einen Verdienstorden zu verleihen, da er kein britischer Staatsbürger war.
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Noch heute Run auf den Everest
So oder so: Hillary und Norgay hatten einen Erfolg für die Ewigkeit errungen, der ohnehin nicht in Preisen und Ehrungen messbar ist – und traten eine sprichwörtliche Lawine los, die die Welt des Bergsteigens bis heute in Atem hält. Mittlerweile versuchen jedes Jahr zahlreiche Menschen, den Gipfel zu erreichen, laut „History” haben das bislang etwa 300 von ihnen mit dem Leben bezahlt.
Immer wieder gibt es Kritik an diesem beispiellosen Run auf den Everest, wo sich an manchen Tagen mittlerweile Schlangen zum Gipfel bilden. Bergsteigen ist längst nicht mehr der Gentlemen-Sport, der er einst vorgab zu sein. Der erfahrene Everest-Guide Russel Brice fand dazu gegenüber „National Geographic”, bezogen auf die Kritik an bezahlten Sherpas, folgende Worte: „Wissen Sie, wer der erste geführte Tourist auf dem Berg war? Ed Hillary!” Dieser selbst sagte derselben Zeitung einst über seinen Erfolg: „Tenzing und ich dachten, wenn wir einmal den Berg bestiegen hätten, wäre es unwahrscheinlich, dass es jemals jemand wieder versuchen würde. Wir hätten nicht falscher liegen können.”