Es ist ein Projekt, das größenwahnsinnig erscheint: eine gigantische „Stadt“, die sich über drei Länder erstreckt, mit einem 170 Kilometer langen Wolkenkratzer und von Menschenhand geschaffenen Inseln. Neom, so der Name der Mega-City respektive des Vorhabens der saudi-arabischen Herrscherfamilie, soll die Zukunft der Golfmonarchie absichern. Viele haben daran gezweifelt, ob das gigantische Projekt überhaupt jemals realisiert wird – doch die Bauarbeiten haben längst begonnen. TRAVELBOOK stellt die Pläne um die riesige Hightech-Stadt vor.
Auf einer Fläche von 26.500 Quadratkilometern plant Saudi-Arabien in den kommenden Jahren eine „Zukunfts-Stadt“, die 32-mal so groß wie New York werden soll und damit größer als Mecklenburg-Vorpommern oder sogar Slowenien wäre. Neom heißt die Planstadt, die sich über Saudi-Arabien, Jordanien und Ägypten erstrecken soll. Das Projekt lässt sich der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman (26) etwa 500 Milliarden Dollar kosten. Für den spektakulärsten Teil, das gigantische Gebäude namens „The Line“, haben die Bauarbeiten bereits begonnen. Drohnenaufnahmen des Architekturmagazins „Dezeen“ bei Youtube zeigen Dutzende Bagger, die in der Wüste einen breiten, vollkommen geraden Graben ausheben. Innerhalb des Grabens sollen die Fundamente für die 170 Kilometer lange Stadt respektive den Wolkenkratzer „The Line“ errichtet werden. Und auf der künstlichen Luxus-Insel „Sindalah“ im Roten Meer vor Neom sollen Reisende bereits ab 2024 Urlaub machen können, wie der Kronprinz am 5. Dezember in einer Pressemitteilung bekannt gegeben hat.
Wie „The Line“, „Sindalah“ und Neom realisiert werden sollen und warum das gesamte Projekt umstritten ist: TRAVELBOOK kennt die Details zum Giga-Gebäude, der Insel und zur neuen Mega-City.
„Sindalah“
Ein Jachthafen mit 86 Liegeplätzen für Luxusjachten, eine Anlegestelle für Luxuskreuzfahrtschiffe, ein Golfplatz, mehr als 400 „Ultra-Premium-Hotelzimmer“ und fast 40 Restaurants soll es auf „Sindalah“ geben. Mit dem Projekt wird um die Gunst derer gebuhlt, die sich wahren Luxus leisten können. So wird sie bereits vom saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman als „Zukunft des Luxusreisens“ bezeichnet. Die Insel soll schon Anfang 2024 die ersten Gäste empfangen.

Mit 840.000 Quadratmeter ist die künstlich aufgeschüttete Insel so groß wie 117 Fußballfelder. Sie ist die erste von mehreren von Menschenhand geschaffenen Inseln im Rahmen des Neom-Megaprojekts im Nordosten Saudi-Arabiens. Dabei ist für jede Insel eine eigene Vision und eigenes Design angedacht. Angeblich werden die Inseln so gebaut, dass der vielfältigen Unterwasserwelt im Roten Meer nicht geschadet wird.
„The Line“
170 Kilometer lang, 200 Meter breit und fast 500 Meter hoch: Das gigantische Gebäude „The Line“ soll sich auto- und emissionsfrei quer durch Wüste und Gebirge „schlängeln“. Durch die verspiegelte Glasfassade soll der Mega-Wolkenkratzer mit der Umgebung verschmelzen und wird daher auch häufig „Mirror Line“ genannt.
„The Line“ soll bis zu neun Millionen Menschen beherbergen können. Durch den dreidimensionalen Aufbau sollen die Anwohner alle wichtigen Geschäfte jeweils in fünf Minuten Fußweg erreichen können. Eine Reise von einem Ende zum anderen soll gerade einmal 20 Minuten dauern.

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Was ist das Ziel von Neom?
Mit dem Megaprojekt verfolgt Saudi-Arabien mehrere Ziele. Zum einen sollen Solartechnologie und Windkraftanlagen Neom mit Energie versorgen. So will sich Saudi-Arabien unabhängiger von Erdöleinnahmen machen und den Grundstein für die Entwicklung neuer Technologien legen. Des Weiteren soll Neom ab 2025 von einer unabhängigen Wirtschaftszone mit eigenen Gesetzen und Steuern profitieren.

Die unterschiedlichen Gesetze würden sich etwa darin äußern, dass in Neom, anders als im Rest Saudi-Arabiens, Frauen sich nicht verschleiern müssen. Außerdem soll der Verkauf und Konsum von Alkohol erlaubt sein. Beides würde dann auch auf das zweite Ziel von Neom einzahlen: Es sollen nämlich mehr Touristen in die Region kommen. So plant man, an der langen Sandstrandküste 50 Luxus-Resorts zu eröffnen. Im Jahr 2030 soll alleine „The Line“ fünf Millionen Touristen anlocken.
Ein großer Teil der Vision von Neom ist es, eine möglichst umweltfreundliche Mega-Stadt zu errichten. So heißt es etwa auf der Website des Unternehmens, man wolle wieder eine „Verbindung zur Natur schaffen“. Außerdem plane man mit „erneuerbaren Energien im Überfluss“.

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Prestige-Projekt ist umstritten
Doch trotz dieser lobenswerten Ziele gibt es schon jetzt viel Kritik und Kontroversen um Neom. Zum einen gab es Kritik, als 2018 bekannt wurde, dass auch die Inseln Tiran und Sanafir, die einige Kilometer südlich vom Eingang zum Golf von Akaba liegen, zu dem Projekt gehören sollen. Die Inseln gehören eigentlich zu Ägypten. Das Land unterzeichnete allerdings 2016, dass die Inseln unter Kontrolle der Saudis gestellt werden. In der Folge sei es laut der „Wirtschaftswoche“ in der ägyptischen Bevölkerung zu Protesten gekommen.
Doch das ist nicht der einzige Kritikpunkt. So werden Anwohner in der Region gewaltsam umgesiedelt. 20.000 Mitglieder des indigenen Stammes der Howeitat werden für den Bau aus ihrer Heimat vertrieben. „Neom wird auf unserem Blut, auf unseren Knochen gebaut“, sagte etwa Alia Hayel Aboutiyah al-Huwaiti, Aktivistin und Angehörige des Stammes, dem britischen „Guardian“. Aktivisten warnen bereits seit Jahren eindringlich davor, dass mit Neom auch ein autoritäres Regime unterstützt wird. Saudi-Arabien schränkt in vielen Bereichen die Rechte seiner Bürger ein. Auch gibt es kaum Pressefreiheit, immer wieder werden Aktivisten verhaftet und regimekritische Journalisten verfolgt. Bethany Alhaidari, Mitgründerin der Menschenrechtsorganisation SAJP, riet auf Twitter Investoren dazu, sich von dem Projekt fernzuhalten. „Keine Wirtschaft unter einem archaischen und autoritären Regime ist stabil, ethisch vertretbar oder eine Investition wert“, so Alhaidari.
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Scheitert das Projekt Neom noch?
Wie kürzlich bekannt wurde, wird Saudi-Arabien 2029 die asiatischen Winterspiele ausrichten. Der Wüstenstaat, der immer wieder wegen Menschenrechtsverletzungen in der Kritik steht, will „zum Spielplatz des Wintersports“ werden und sein Image aufpolieren. Das berichtete der „Stern“. Das asiatische Olympia-Komitee hatte Neom auf der 41. Generalversammlung einstimmig als Austragungsort gewählt. Auch abseits der Menschenrechtslage könnte sich das jedoch nach aktuellem Stand noch als Fehler erweisen. Denn bislang ist die Liste der Investoren kurz, noch wäre es möglich, dass das Projekt scheitert.
So gab es mit dem Bauprojekt King Abdullah City, das ebenfalls zur „Vision 2030“ gehört, schon einmal ein ähnliches Vorhaben, das im Sande verlief. 2005 kündigte man sechs Städte an. Doch man baute schließlich nur eine einzige. Bis 2030 sollten eigentlich 2 Millionen Menschen in der Kind Abdullah City leben – bis jetzt sind es weniger als 50.000.