
21. Juli 2025, 6:25 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Die niedersächsische Kleinstadt Vienenburg nahe Goslar ist ein wahres Mekka für Eisenbahnfreunde. Denn hier befindet sich der älteste noch erhaltene Bahnhof in ganz Deutschland. Bereits 1840 erbaut, machte er den Ort zu einem Haltepunkt auf der Strecke der 1. Deutschen Staatseisenbahn und zu einem wichtigen Knotenpunkt der Bergbau-Industrie in der Region. Und doch ist es vor allem einem engagierten Verein zu verdanken, dass der älteste Bahnhof hierzulande heute überhaupt noch existiert. TRAVELBOOK-Autor Robin Hartmann erzählt seine Geschichte.
Wer regelmäßig bei TRAVELBOOK vorbeischaut, wird es vielleicht schon einmal bemerkt haben: Ich bin ein riesiger Fan des Harzes, wo ich mehrfach im Jahr wandern gehe. Meine Leidenschaft hat mich schon an viele wunderschöne und oft auch geschichtsträchtige Orte geführt. Und manchmal hilft mir dabei sogar der Zufall. So fuhr ich kürzlich das erste Mal in die Region um Goslar im Nordwestharz, um dort eine mehrtägige Tour in Angriff zu nehmen. Und bei einem Halt in dem kleinen Vienenburg schlug mein Herz plötzlich schneller, denn hier wurde mir eine Story quasi auf dem Silbertablett serviert. Als mein Zug nämlich (sehr kurz) zum Stehen kam, entdeckte ich ein Schild: „Vienenburg: Ältester erhaltener Bahnhof Deutschlands.“
Bei einer schnellen Recherche im Netz erhielt ich, von meinem 100-Kilometer-Gewaltmarsch wieder heimgekehrt, denn auch einige Treffer. Einige Nischen-Webseiten für Eisenbahnfreunde erzählten von einer Erfolgsgeschichte, die bereits vor 185 Jahren begann. Aber auch von dem glücklichen Umstand, dass der Bahnhof Vienenburg heute überhaupt noch existiert. Einst ein zentraler Knotenpunkt der Bergbau-Industrie in der Region, sollte er nämlich vor beinahe 40 Jahren eigentlich abgerissen werden. Dass es anders kam, und auch heute noch Besucher das altehrwürdige Gebäude sehen und besuchen können, ist ein paar engagierten Einheimischen zu verdanken.
Noch von Pferden gezogen
Ein Anruf im Eisenbahnmuseum Vienenburg brachte mir das, was wir Journalisten vielleicht am meisten lieben. Nämlich eine heiße Spur, einen Kontakt zu Robert Oppermann. Seines Zeichens erster Vorsitzender des Vereins zur Förderung des Eisenbahnmuseums Vienenburg. Und tatsächlich nimmt dieser sich eines Abends Ende Juni 2025 eine ganze Stunde Zeit, um mir über Deutschlands ältesten noch erhaltenen Bahnhof und seine erstaunliche Geschichte ausführlich zu berichten. Vieles davon kann er aus dem Kopf aufsagen, der Rest stammt aus seinem erstaunlichen Fundus an Büchern und Archiven.
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„Der Bahnhof Vienenburg existiert bereits seit 1840“, so Oppermann. „Am 10. August dieses Jahres eröffnete er als Haltepunkt auf der Strecke von Braunschweig nach Wolfenbüttel. Das war damals schon etwas ganz Besonderes, es handelte sich ja um eine der ersten Eisenbahnstrecken in Deutschland überhaupt.“ Bauherr war die Braunschweigische Staatseisenbahn, die sowohl das Gebäude als auch die Verbindungen in den kommenden Jahrzehnten erheblich erweitern ließ. Vienenburg war ab 1843 auch ein wichtiger Stopp auf der Reise in den Kurort Bad Harzburg. Bis in dieses Jahr verkehrten auf den Strecken neben Dampfeisenbahnen auch noch von Pferden gezogene Züge.
Bahnhof mit Kaisersaal und 17 Gleisen
„Vienenburg war strategisch günstig gelegen und funktionierte neben dem Personen- auch und vor allem für den Güterverkehr. So gab es zum Beispiel eine Strecke nach Oker, um die dortigen Hüttenbetriebe anzubinden.“ In Vienenburg selbst baute man zur damaligen Zeit Salz ab, welches dann ebenfalls per Bahn weiter transportiert werden konnte. Oppermann muss kurz aufstehen, um eine Zahl genauer zu recherchieren. Man hört ihn am Hörer kurz murmeln, dann sagt er, selbst offenbar ein wenig erstaunt: „Auf dem Höhepunkt, seiner Blütezeit, hatte der Bahnhof 17 Gleise.“ Heute sind davon noch zwei erhalten. Denn die Erfolgsgeschichte von Deutschlands ältestem noch existierenden Bahnhof währte „nur“ etwa 100 Jahre.
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Zunächst erweiterte man die Station beständig, 1888 bekam sie zum Empfang wichtiger Persönlichkeiten sogar einen eigenen „Kaisersaal“. Ob wirklich mal ein Royal hier war, weiß Oppermann aber nicht zu sagen. Doch der Niedergang des Bahnhofs Vienenburg war nicht aufzuhalten. Denn nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs lag er ab 1949 plötzlich im innerdeutschen Grenzgebiet, was vor allem den Güterverkehr erheblich einschränkte. „Schon 1953 gab es erste Rückbauten am Gebäude. Die Einstellung der Strecke von Vienenburg nach Halberstadt war dann der endgültige Tod für den Warenverkehr.“

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Renovierung statt Abriss
Und so drohte 1988 Deutschlands heute ältestem erhaltenen Bahnhof der Abriss. Doch zum Glück kam es anders. „Zu Beginn der Arbeiten legte man die frühere Außen-Verkleidung des Gebäudes frei. So stellte man sein Alter fest, und die Stadt Vienenburg kaufte es dann. Es war zu diesem Zeitpunkt bereits stark baufällig und musste aufwendig renoviert werden.“ Noch im selben Jahr gründete sich der Verein zur Förderung des Eisenbahnmuseums Vienenburg. Diesem ist die Einrichtung der gleichnamigen Stätte zu verdanken. „Hier gibt es Sammlerstücke zu sehen, viel Geschichtliches – und eine originalgetreue Modell-Eisenbahn.“ Der Verein traute sich aber auch an größere Maßstäbe.
„Wir haben echte alte Gleisanlagen nachgebildet und sogar eine eigene Dampflok angeschafft. Von Vienenburg aus starten wir damit, oder anderen angemieteten Zügen, jährlich Sonderfahrten.“ Bis nach Berlin oder Sylt sei man schon gefahren, auf der Tour 2023 nach Erfurt waren 500 Gäste dabei. Am Ende unseres Gesprächs lädt mich Oppermann ein, Deutschlands ältesten erhaltenen Bahnhof und sein Museum doch bald einmal persönlich zu besuchen. An jedem ersten Sonntag im Monat ist es von 13-17 Uhr geöffnet. Der Eintritt kostet für Erwachsene drei Euro, für Kinder 1,50 Euro. Auch Führungen sind möglich. Die Einladung sei damit auch an Sie, liebe Leser, herzlich weitergegeben.