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Natronsee in Tansania

Der alkalischste See der Welt, in dem tote Tiere zu Stein werden

Lake Natron
Der Natronsee (Lake Natron) im ostafrikanischen Tansania ist ein extrem gefährlicher See – und doch für viele Tiere ein Paradies Foto: Getty Images
Robin Hartmann Autorenkopf
Freier Autor

02.11.2021, 06:43 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten

Der Natronsee (Lake Natron) im afrikanischen Tansania ist ein Gewässer der gefährlichen Extreme: In keinem anderem See der Welt ist das Wasser so alkalisch. Die Folge: Tiere, die in den See fallen und dort sterben, erstarren zu Stein. Dennoch gelingt es manchen auch, an diesem unheimlichen Ort zu überleben.

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Im Norden von Tansania, an der Grenze zu Kenia, am Grunde des Afrikanischen Grabenbruchs, befindet sich ein Gewässer, das mit einem unheimlichen Superlativ aufwarten kann: Der Natronsee, 56 Kilometer lang und zwölf Kilometer breit, gilt als der alkalischste See der Welt. In keinem anderen ist das Wasser so basisch wie dort, wo ein pH-Wert von bis zu 10.5 erreicht werden kann – das ist fast so hoch wie bei reinem Ammoniak. Der See ist aber auch Lebensraum, und nicht überall zerstörerisch. Nur unter gewissen Bedingungen und an bestimmten Stellen ist er ätzend.

Lothar Krienitz, im Ruhestand befindlicher Mitarbeiter des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei, erklärt auf TRAVELBOOK-Anfrage das Phänomen des Lake Natron: „Der Boden, auf dem sich der Natronsee gebildet hat, besteht aus extrem Soda-reicher, also salzhaltiger Asche vulkanischen Ursprungs. Dieses Salz, reichert sich im Wasser an und konzentriert sich, sodass derart hohe pH-Werte zustande kommen. Der See ist insgesamt sehr flach, nur wenige Zentimeter bis Meter, was die Anreicherung der basischen Salze beschleunigt. Nach dem Austrocknen kristallisiert sogenannte Trona, eine Mischung aus Soda (Natriumkarbonat) und Natron (Natriumhydrogenkarbonat), und bedeckt die trockenen Areale mit einer lebensfeindlichen grauweißen Kruste.“

Das liegt aber auch noch an anderen Faktoren: Der Lake Natron hat zwar mehrere Zuflüsse, aber keinen Abfluss. Das heißt, Wasser kann nur durch Verdampfung entweichen. Auch dadurch sammeln sich das Natriumkarbonat und andere Mineralien, und reichern sich langsam an. „Normalerweise enthält der Natronsee 30 bis 90 Gramm Salz pro Liter Wasser, aber in manchen Gebieten des Sees kann dieser Wert deutlich höher liegen, und bis zur Kristallisationsgrenze von etwa 300 Gramm steigen. Andererseits kann der Salzgehalt auch niedriger sein, speziell nach Regen, oder an den Mündungen der Flüsse oder Quellen. Diese Areale bieten den Lebewesen des Sees Alternativen, um den unwirtlichen Bedingungen zeitweise zu entkommen oder dort vorhandene Nahrungsressourcen zu nutzen.“

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Das Wasser mumifiziert Tiere

Lake Natron
Wegen seiner spiegelglatten Oberfläche gilt der Natronsee als Todesfalle vor allem für Vögel und Fledermäuse Foto: Getty Images

Und dieser extrem hohe Anteil an Natriumkarbonat und anderen Salzen im Wasser führt zu einem bizarren, man könnte auch sagen, gruseligen Effekt. Tiere, die im Wasser des Lake Natron verenden, werden quasi versteinert. Vor allem Vögel und Fledermäuse sind davon betroffen. „Die im See befindlichen salzhaltigen Laugen mumifizieren die Tiere“, bestätigt Krienitz, der den Lake Natron selbst bereits mehrfach besucht hat. „Das Salz dehydriert das Fleisch und konserviert es so. Dadurch trocknet der tote Körper aus und bleibt erhalten.“

Der Prozess an sich ist dabei schon jahrtausendelang bekannt: Bereits die alten Ägypter setzten Natriumkarbonat für den Prozess der Mumifizierung ihrer Toten ein. Auf diese Weise blieben die Toten perfekt für die Nachwelt konserviert. Das Wasser im Lake Natron hat einen vergleichbaren Effekt. Im Übrigen ist er laut Krienitz zwar ein Extrem, aber durchaus kein Einzelfall: „In Afrika gibt es zahlreiche dieser Seen mit einem sehr hohen PH-Wert.“

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Zur Todesfalle wird der Lake Natron aber auch durch seine hochreflektierende Oberfläche, aufgrund derer Vögel oder auch Fledermäuse den See nicht als solchen wahrnehmen. Fliegen sie dann irrtümlich hinein, greift das Wasser sie sofort an, verätzt Augen und Haut. Das würde übrigens ebenso jedem Menschen passieren, der im Lake Natron badet.

Leben in lebensfeindlicher Umgebung

Lake Natron
Jedes Jahr kommen Hunderttausende Zwergflamingos zum Lake Natron, um dort zu brüten Foto: Getty Images

Auch die Wassertemperatur des Natronsees kann wahrhaft extrem sein. Denn der See wird mitunter durch vulkanische Quellen am Grund des Sees aufgeheizt, weshalb das Wasser Temperaturen bis zu 60 Grad Celsius erreichen kann. Und so unglaublich es klingen mag, gibt es dennoch reichlich Leben in dem laugenhaltigsten See der Welt. Die Grundlage des Nahrungsnetzwerks sind Salzwasser-Cyanobakterien und Algen, die sich durch das warme Wasser, die hohe Sonnenenergie und die Mineralien prächtig entwickeln.

Am beeindruckendsten unter den Bewohnern des Sees sind zweifellos die hunderttausenden Zwergflamingos, die Jahr für Jahr wieder versuchen, am Lake Natron zu brüten. Leider klappt das laut Krienitz aber nicht jedes Jahr, weil das Bedingungsgefüge perfekt sein muss. Wetter, Wasserstand und potenzielle Störfaktoren beeinflussen das Brutgeschäft dramatisch. Um ihre Jungen zu schützen, nisten die Tiere in Regionen des Sees, in denen die Bedingungen ganz besonders harsch sind, wie Lothar Krienitz erklärt. Diese sind somit für Fressfeinde nahezu unzugänglich. Die Flamingos selbst können das Salz im Wasser über Drüsen oberhalb ihres Schnabels ausscheiden. Sie haben sich so in ihrer Stoffwechselphysiologie und ihrem Körperbau weitgehend an die eigentlich lebensfeindlichen Bedingungen angepasst.

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Ein bedrohtes Paradies

Durch die extremen Bedingungen sind die Flamingos also vor Fressfeinden in der Regel bestens geschützt. Aber auch für sie kann der Lake Natron gefährlich werden. Denn regnet es wenig, und verdampft zugleich Wasser aus dem See, kann sein PH-Wert nochmals steigen. Zudem müssen sich auch die Tiere vor den oft unberechenbar ansteigenden Temperaturen in dem Gewässer in Acht nehmen.

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Für die Vögel ist der Lake Natron dennoch überlebenswichtig. Er gilt als das größte Brutgebiet für Zwergflamingos in ganz Ostafrika: 75% der heute lebenden Zwergflamingos sind laut Krienitz am Natronsee geschlüpft. Daher wurde der See auch als internationales Vogelschutzgebiet ausgewiesen. Allerdings ist das Paradies bedroht: In den Wäldern rund um den See kommt es zu immer stärkeren Rodungen. Zum einen werden Bäume für Holzkohle-Gewinnung geschlagen, zum anderen der fruchtbare vulkanische Boden für die Landwirtschaft urbar gemacht.

Zäune und Straßen unterbrechen zudem uralte Wanderrouten für Wildtiere, Viehherden überweiden die Grünflächen rund um den See. Geraten Mensch und Tier aber aneinander, verlieren in der Regel meistens die Tiere. Genau dieses Szenario könnte auch dem Lake Natron drohen. Hoffnung macht eine Initiative des World Wide Fund For Nature (WWF), der rund um den See ein 4500 Quadratkilometer großes Schutzgebiet ausweisen lassen möchte. Das Schicksal des alkalischsten Sees der Welt liegt jetzt in der Hand des Menschen.

Quellen

NASA
Encyclopedia Britannica
Smithonian Magazine
WWF

Themen: Afrika
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