8. Februar 2018, 17:13 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Sie führt direkt am Abgrund entlang, kennt keine Leitplanken oder Absperrungen und ist eine Einbahnstraße, ohne einspurig zu sein: die nördliche Yungas-Straße in Bolivien, auch El Camino de la Muerte genannt – die Straße des Todes. Tatsächlich fanden hier viele den Tod, heute suchen hier Mountainbiker den absoluten Kick.
Mit einem Rad am Abgrund bewegt sich der Fahrer, streckenweise in dichten Nebel gehüllt, oft im Regen und immer: in Lebensgefahr. Die 65 Kilometer lange Straße zwischen La Paz und Coroico in Bolivien – in den 1930ern von Kriegsgefangenen in den Fels gehauen, bis heute ohne Leitplanken und oft so schmal, dass für Gegenverkehr kein Platz ist – wurde einst von der Interamerikanischen Entwicklungsbank zur „gefährlichsten Straße der Welt“ ernannt. El Camino de la Muerte heißt die nördliche Yungas Road bei den Einheimischen, die Straße des Todes.
Zahlreiche Kreuze säumen den Weg
Tatsächlich fanden hier schon viele den Tod. Bis zu 300 waren es vor dem Bau der Umgehungsstraße jährlich, so schätzt man. Heute sind es noch etwa 100. Genaue Zahlen gibt es nicht. Viele Unfallopfer werden nie gefunden, liegen verschollen im unzugänglichen Dschungel von Yungas. Zahlreiche Kreuze säumen den Weg und erinnern an die Opfer. Auch der größte Verkehrsunfall Boliviens passierte hier: Am 24. Juli 1983 stürzte ein Bus in die Schlucht und riss etwa 100 Insassen in den Tod.
Der Unfall blieb nicht ohne Folgen. Zunächst wurde auf der Straße der Linksverkehr eingeführt. So haben die Fahrer den Abgrund besser im Blick, und Fahrzeuge in Richtung La Paz – und somit bergauf – können bei Ausweichmanövern auf der dem Berg zugewandten und damit besser befestigten Straßenseite fahren.
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Mutprobe für Mountainbiker
Doch die nördliche Yungas-Straße blieb auch nach Einführung des Linksverkehrs weiterhin gefährlich. Eine Alternative musste her – und 2006 wurde eine neue, moderne und sehr viel sicherere Straße eingeweiht, die nun den Regierungssitz Boliviens mit dem Dschungel verbindet. Seitdem ist der Verkehr auf der gefährlichen Straße stark zurückgegangen, und somit auch die Zahl der Todesopfer. Allerdings: Die neue Straße ist etwas länger als die alte, weshalb einige Wagemutige sie immer noch bevorzugen.
Zudem zieht sie inzwischen auch noch ganz andere Fahrer an: Mountainbiker haben die Straße für sich entdeckt. Eine Abfahrt auf der „Muerte” gilt als absoluter Kick. Zudem locken die 3000 Höhenmeter, die auf einer solchen Tour zu überwinden sind – wo hat man das sonst schon? Und das Geschäft mit dem Todesritt auf Messers Schneide boomt: Ein paar Dutzend lokaler Veranstalter organisiert die waghalsigen Touren bergab, für die man, so wird versichert, keine großen Erfahrungen auf dem Mountainbike mitbringen muss. Nur Mut.
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Drei bis vier Stunden dauert die Abfahrt
„Downhill Madness“ heißen diese Höllentrips. Dabei werden die Mountainbiker am frühen Morgen von La Paz mit dem Bus zum La-Cumbre-Pass auf 4600 Meter Höhe gefahren, wo sie dann auf das Fahrrad umsteigen. Drei bis vier Stunden dauert die Abfahrt bis nach Yolosa. Wer nicht die billigste Tour gebucht hat, wird danach ins wenige Kilometer weiter gelegene Coroico gebracht, wo die Radler in einem schicken Hotel duschen und Mittagessen können. Zurück geht es dann im Bus – was für viele fast noch aufregender ist, scheint die Straße hier doch gleich sehr viel schmaler und gefährlicher. Wer das alles überstanden hat, bekommt ein T-Shirt mit der Aufschrift „Death Road Surviver“.
Doch wie gefährlich ist die Abfahrt per Mountainbike wirklich? Im Internet monieren manche, dass der Todesritt doch gar nicht so gefährlich sei, wie er verkauft wird – mehr Mythos denn Mutprobe. Und irgendwie sei er dann doch schneller vorbei, als zunächst gedacht. Fakt aber ist, dass es immer wieder zu schweren Unfällen mit tödlichem Ausgang kommt. Vorsicht, Geschick und wohl auch etwas Glück sind also auf jeden Fall nötig.
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Weitere Gefahr: die dünne Luft auf 4000 Metern Höhe
Eine weitere Herausforderung neben den Straßen- und Wetterverhältnissen ist übrigens die Höhe. Die Luft ist auf 4000 Metern sehr dünn. Nicht nur die Ausblicke auf die Berge und den Dschungel rauben einem hier also den Atem. Gegen die Höhenkrankheit hilft bekanntlich das Kauen von Coca-Blättern – von jener Pflanze, aus der auch Kokain gewonnen wird. Und dass in dieser Gegend so mancher Autofahrer dieses vor der Fahrt konsumiert, ist eine weitere, ebenfalls nicht zu unterschätzende Gefahr auf dieser Todesstraße.
Veranstalter der Mountainbike-Touren findet man in La Paz, und zwar vorwiegend in der in der Calle Sagárnaga und der angrenzenden Calle Illampu. Einige sind auch im Internet vertreten, etwa Gravity Bolivia.