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140 Kilometer von Schottlands Küste entfernt

St. Kilda – die Inseln der „Vogelmenschen“ mitten im Atlantik

Schottland
Der Insel-Archipel St. Kilda besticht auch heute noch durch seine raue Natur. 6000 Jahre lang lebten auf der entlegenen Insel Menschen. Foto: dpa Picture Alliance
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TRAVELBOOK Redaktion

22. Juli 2020, 12:39 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten

Seit der Steinzeit lebten auf dem schottischen Archipel St. Kilda Menschen – bis vor knapp 100 Jahren die letzten von ihnen fortzogen. Die Geschichte dahinter und warum heute die verbleibenden „Einwohner“ der Inseln bedroht sind.

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Im wind- und sturmgepeitschten Atlantik liegt, etwa 140 Kilometer vor der Küste Schottlands, der Archipel St. Kilda – sieben Inseln, erschaffen vor 65 Millionen Jahren durch den Ausbruch eines gewaltigen Vulkans. Ein unwirtlicher Flecken Erde, heute nahezu unbesiedelt, und doch steht St. Kilda als einziger Ort Großbritanniens gleich zweimal auf der Unesco-Welterbe-Liste: einmal wegen seiner kulturellen Bedeutung, dann wegen seiner einzigartigen Natur.

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Denn die Inseln, auch als das „Galapagos des Nordens” bezeichnet, sind Heimat der größten Seevogelkolonie im gesamten Nordost-Atlantik, bis zu einer Million Tiere brüten hier Jahr für Jahr und ziehen ihren Nachwuchs groß – Basstölpel, Papageientaucher, Eissturmvögel, sowie ein Dutzend weitere Arten. Und auch für Menschen waren die Eilande lange ein Zuhause, und das wohl bereits in der Jungsteinzeit vor 6000 Jahren. Laut „SWR 2” lebten hier aber wohl nie mehr als 200 Menschen zur selben Zeit, denn das Dasein auf St. Kilda war hart.

Bei jedem Wetter barfuß

Zeichen der Besiedlung finden sich vor allem auf der Hauptinsel Hirta, in Form von etwa 1500 steinernen Hütten, die den Menschen als Lagerräume dienten – denn auf St. Kilda überlebten die Menschen durch die Jagd auf Seevögel, deren Fleisch und Eier sie ernährten, deren Tran ihre Lampen brennen ließ, deren Knochen ihre Äcker düngten. Mit Netzen, Fallen und Hunden stellten die Bewohner von Hirta ab Mitte August den Tieren nach, für deren Fang es sehr viel Übung und Geschick im Klettern bedurfte – die Seevögel brüten meist in den Klippen der Inseln, der Conachair ist mit 430 Metern die höchste davon in ganz Großbritannien.

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Dieses Bild ist eine der letzten Aufnahmen von St. Kilda und zeigt einige der übrig gebliebenen Insulaner kurz vor ihrer Evakuierung Foto: dpa Picture Alliance
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Geübte Gruppen von Jägern fingen so bis zu 1200 Vögel an nur einem einzigen Tag, pro Saison erlegten die Einwohner nicht selten um die 100.000 Tiere, schon Kleinkinder lernten das nicht ungefährliche Klettern in den Klippen und an den Felsnadeln des Archipels. Das Erstaunliche: Fotos zeigen, dass viele Bewohner von St. Kilda bei jedem Wetter barfuß arbeiteten – und das mussten sie wohl auch, denn die Inseln sind nicht nur völlig baum- und strauchlos, auch hätten solche Luxus-Güter wie Schuhe eines regelmäßigeren Kontakts mit dem Festland bedurft. Noch im 19. Jahrhundert waren die Inseln aber wegen der unberechenbaren Wetterlagen von Oktober bis April quasi unerreichbar.

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Der Anfang vom Ende

Frühe Besucher berichten dennoch von einem äußerst harmonischen Zusammenleben der Insulaner, so habe man jeden Tag stundenlang gemeinsam über alle wichtigen Dinge beraten, Jagdbeute wurde unter Allen gerecht aufgeteilt, ein Jeder übernahm bei der Verarbeitung der Vögel eine gleich wichtige Rolle. Ein Gast auf Hirta schrieb laut „SWR 2”: „Wenn die Insel nicht das so lange gesuchte Utopia ist, wo sollte man es dann suchen?”

Dieses heute verlorene Paradies wurde aber mit dem Beginn der Neuzeit von gleich mehreren Krisen erschüttert, die schließlich dazu führten, dass die Bewohner ihre Inseln – und damit 6000 Jahre Geschichte – nach und nach aufgaben.  Zunächst einmal trugen dazu die schlechter werdenden Ernten auf den Feldern bei, denn einerseits setzte durch den Wind eingetragenes Meersalz dem Boden zu, andererseits die Art der Insel-Bewohner, mit Vogelknochen zu düngen: Diese enthalten nämlich für Pflanzen giftige Schwermetalle, die zudem den Säuregehalt im Boden erhöhten.

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Eines der heute verfallenen Häuser an der „Village Street“, der „Hauptstraße“ von Hirta Foto: Getty Images

Der Untergang einer Kultur

Augenzeugen berichteten auch über einen Wandel durch die Ankunft übereifriger Missionare, die die abergläubischen Einheimischen rasch bekehrten, sodass diese zeitweise sonntags dreimal in die Kirche gingen, bis zu sechseinhalb Stunden lang – für die Jagd und andere Arbeiten blieb da wenig Zeit. Ab 1830 kamen dann die Vorboten des endgültigen Untergangs, und zwar in Gestalt der ersten Touristen: Diese Besucher wollten die letzten „Wilden” Europas bestaunen, sie begegneten den Einheimischen mit einer Mischung aus Erstaunen und Verachtung, und, was noch schwerer wog: Sie brachten zum ersten Mal überhaupt Geld mit nach St. Kilda.

Bald schon inszenierten die Einheimischen Schau-Jagden für die Touristen und begannen, Souvenirs zu verkaufen, wodurch sie eine immer größere Abhängigkeit zum jahrtausendelang fernen Festland entwickelten – und viele von ihnen Sehnsüchte nach einem einfacheren Leben dort. Als nach dem Ende des Ersten Weltkrieges auf den Inseln stationierte britische Soldaten wieder abzogen, folgte ihnen so manches junge Mädchen, andere zogen fort auf der Suche nach Arbeit. Innerhalb von nur zwei Jahren nahm die Inselpopulation um ein Viertel ab.

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Ein gefährdetes Paradies

Am 28. August 1930 schließlich endete im Hafen von Village Bay auf Hirta die etwa 6000-jährige Geschichte der Besiedlung von St. Kilda, als sich die 36 letzten verbleibenden Bewohner von einem Schiff aufs Festland bringen ließen, nachdem sie über den örtlichen Missionar eine Petition an die Regierung gestellt hatten, sie abzuholen. Heute wohnen auf der Insel nur noch zeitweise Angehörige des Militärs, Forscher und Ranger, zweimal pro Woche liefert ein Hubschrauber Lebensmittel, Medikamente und Post.

Und auch die wahren Ureinwohner von St. Kilda sind heute mehr denn je bedroht: So berichtet der „National Trust for Scotland”, der Archipel könne sich „bis zur Unkenntlichkeit verändern.” Grund dafür ist die Erwärmung des Meeres im Zuge des Klimawandels, was wiederum dafür sorgt, dass große Teile des für die Seevögel als Nahrungsquelle wichtigen Planktons verschwinden. Demnach ist die Population der Eissturmvögel, die hier immer noch ihre weltweit größte Kolonie haben, um 50 Prozent eingebrochen – die der Klippenmöwen gar um 95 Prozent.

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Papageientaucher – schön, aber gefährdet (Symbolfoto) Foto: dpa Picture Alliance

Die Natur auf den Inseln ist aber immer noch einzigartig und schützenswert, so kommen zum Beispiel die St. Kilda-Spitzmaus und der St. Kilda-Zaunkönig weltweit nur hier vor, bereits seit der Jungsteinzeit vor etwa 5000 Jahren gibt es zudem eine Rasse Zwergschafe, die wohl sehr frühe Siedler mitbrachten. Wer Ausdauer, Seetauglichkeit und Zeit mitbringt, kann St. Kilda in normalen Zeiten per Boot erreichen – doch vielleicht passt ein Appell auf der Webseite des „National Trust for Scotland” am besten für das Ende dieses Artikels. Dort steht: „Wenn Sie darüber nachdenken, eine unserer Inseln zu besuchen – bitte tun sie es nicht…”

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