20. Dezember 2019, 6:51 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten
Gewaltwarnungen, Zäune und krasse Rassentrennung – die Erinnerungen, die TRAVELBOOK-Autorin Anna Wengel an ihren Aufenthalt in Kapstadt hat, sind nicht besonders positiv. Für uns hat sie aufgeschrieben, wieso sie die südafrikanische Metropole überhyped findet.
Ich bin kein Fan davon, Orte, Menschen oder Dinge zu bashen. Angesichts des aktuellen Kapstadt-Hypes schüttle ich trotzdem schriftlich ein bisschen den Kopf. Gefühlt die Hälfte meiner Reisefreunde und -bekannten, unzählige Blogger und Influencer strömen seit einer Weile in die südafrikanische Metropole, erfreuen ihre Follower mit hübschen Fotos von Tafelberg, Pinguinen und bunten Häusern. Und den meisten scheint es zu gefallen. Alles wirkt sorgenfrei. Anfang dieses Jahres bin ich nach Kapstadt geflogen – und enttäuscht zurückgekommen. Aus mehreren Gründen:
Nur Angstmache oder reale Gefahr?
Schon bevor ich überhaupt südafrikanischen Boden betrat, stopften mir befreundete Kapstadt-Kenner jede Menge Warnungen ins geistige Gepäck. Wovor wurde ich gewarnt? Gefühlt vor allem. Die mentale Verbotsliste umfasste zum Beispiel diese Anweisungen:
Niemals draußen rumlaufen, wenn es dunkel ist.
Am besten gar nicht rumlaufen.
Am besten hältst du nie ganz an der Ampel an, sondern lässt das Auto langsam weiter rollen.
Auch während der Fahrt das Auto abschließen.
Auf keinen Fall verirren.
Warum? Der Tenor der Warnenden ist immer der gleiche: Sollte ich mich nicht an diese Regeln halten, würde ich wahrscheinlich überfallen, schlimmstenfalls angeschossen und ausgeraubt – und sogar vergewaltigt. Gerade für Frauen sei Kapstadt gefährlich. Trotzdem fliege ich positiv gestimmt und neugierig los. Schließlich macht jeder seine eigenen Erfahrungen – und die eigene Einstellung beeinflusst die Wahrnehmung.
Absperrungen überall
Angekommen in Kapstadt drückt meine Reisebegleitung, die schon mehrmals in Kapstadt war, direkt die Zentralverriegelung im Auto. „Zur Sicherheit.“ Eine knappe Stunde später kommen wir in der Unterkunft, einer Ferienwohnung im Stadtteil Blouberg, an – und ich sehe mich hinter einem Zaun. Denn der ganze Wohnkomplex ist umzäunt, auch zur Sicherheit. Das finde ich alles andere als berauschend. Bedrückend trifft es eher. Die Besitzerin der Unterkunft warnt direkt noch mal, nicht in der Dunkelheit nach draußen zu gehen. Quasi vor der Tür sei vor ein paar Tagen ein „Schrank von einem Mann“ überfallen und schlimm zusammengeschlagen worden. Auch wenn ich die Umgebung bisher überhaupt nicht als bedrohlich empfunden habe, kriecht trotzdem langsam ein mulmiges Gefühl in mir hoch.
Wer regelmäßig nach Südafrika reist, mag dieses Eingeschlossensein-Gefühl in ähnlichen Wohnkomplexen als normal und alltäglich empfinden, ich jedoch fühle mich an meine Zeit in Kabul erinnert. In der afghanischen Hauptstadt saß ich 2012 einen Monat lang hinter der Mauer einer Hilfsorganisation und fühlte mich wie in einer Zwangsjacke – eingeengt und vollkommen ausgeliefert. Zugegeben, wegen der Kabul-Erfahrung bin ich ein Extremfall in Sachen Getriggertsein. Weitere Erinnerungen kommen hoch, als über mir Militärhubschrauber auftauchen. Fast täglich fliegen diese paarweise direkt über das Haus. So nah, dass ich die Boots der Soldaten aus der offenen Tür hängen sehen und mich kaum vor dem ohrenbetäubenden Lärm schützen kann. Doch auch unabhängig vom Hinterm-Zaun-im-Militärhubschrauber-Geräusch-Leben entpuppt sich das mir zuvor so sehr angepriesene Blouberg als Reinfall.
Trennung nach Hautfarben
Gute 25 Jahre nach Ende der Apartheid hat sich das Straßenbild in Kapstadt vielleicht oder wahrscheinlich sehr verändert, ich finde die sichtbare Trennung nach Hautfarben trotzdem krass. In Blouberg ist das besonders deutlich. So hält sich das Bild von einer nach Hautfarben getrennten Gesellschaft, gerade wenn es um Partnerschaften geht. Ganz so extrem sind die anderen Teile, die ich von Kapstadt sehe, nicht. Es gibt Ausnahmen wie den Hipstermarkt in The Old Biscuit Mill, und auch im Stadtteil Muizenberg scheinen die Menschen mehr gemeinsam zu leben.
Krasser Clash zwischen Arm und Reich
So extrem wie die Trennung nach Hautfarben empfinde ich auch die Schere zwischen Arm und Reich. Die ist in Kapstadt überall sichtbar. Das fängt schon bei der Fahrt vom Flughafen in die Stadt an, wenn sich Luxusautos neben Schrottkarren an riesigen Armenvierteln vorbeischieben. Teilweise stehen die Wellblechhütten der Ärmsten in der Stadt nachbarschaftlich neben Villen und anderen prachtvollen Bauten der reicheren Bevölkerungsschichten. Zäune stehen hier natürlich auch. Die schützen die Bewohner vor ungeladenen Besuchern: mit Stacheldraht, Überwachungskameras und Mauern.
Der extreme Kontrast zwischen Protzbauten und Townships mag oberflächlich betrachtet vielleicht spannend sein, ist aber gleichzeitig auch schockierend. Als mir erzählt wird, dass ich zwar nicht allein in die Townships gehen soll – zu gefährlich, wie immer –, aber geführte Touren von Reiseveranstaltern buchen kann, kann ich nur noch den Kopf schütteln. Zwar kommen die Einnahmen oft den Township-Bewohnern zugute, doch dass sich Touristen die Armut aus nächster Nähe anschauen wollen, ist abstoßend.
Instagram-Hype: Kapstadts Pinguine
Pinguin-Bilder aus Kapstadt spülen massenweise in meinen Instagram-Feed und haben mir das Bild vermittelt, dass die niedlichen Tiere da einfach an den Stränden schwimmen, rumlaufen und sich ihres Lebens freuen. Das tun sie am Boulders Beach. Und um den zu sehen, darf der Gast tief in die Tasche greifen. Der Eintritt für Touristen beträgt 160 Rand, das sind umgerechnet ungefähr zehn Euro pro Person. Dann heißt es: Hereinspaziert ins Menschengewühl.
Denn natürlich wollen alle die Pinguine sehen. So quetsche ich mich an rot gebräunten Leibern vorbei, die fast über den kleinen Tieren hängen, um das millionste Foto aus nächster Nähe zu schießen. Als neben mir ein Pinguin plötzlich auf einen anderen steigt, kommt noch ein bisschen mehr Bewegung in die Menge der Hobby-Fotografen. Da wollen alle zugucken. Tierporno frei Haus sozusagen.
Hässliche Architektur
Genauso bekannt wie Kapstadts Pinguine sind die bunten Häuser. Die bekanntesten stehen in Bo-Kaap. Ich hatte vielleicht nicht gedacht, dass ganz Kapstadt so aussieht, aber doch irgendwie mit mehr architektonischer Schönheit gerechnet. Klar, die gibt es auch. Aber gerade, wenn man in Blouberg wohnt, präsentiert sich Kapstadt mit gähnender Langeweile und abhandenkommender Ästhetik.
Das fällt mir besonders beim Spaziergang am Bloubergstrand auf. Den finde nicht nur ich nett, sondern auch unzählige Kitesurfer, die den hier kräftigen Wind nutzen. Deren Drachen vereinen sich mit dem blauen Meer und dem Tafelberg in der Ferne zu einer malerischen Kulisse. Das ist schön. Leider das einzig Schöne, das ich in Blouberg finde. Wende ich den Blick vom Meer weg auf die Straßenseite ist es trostlos, um nicht zu sagen hässlich. Ein Haus sieht aus wie das andere, schnell zusammengebaute und massenweise produzierte Kästen, die vermutlich nicht das Herzprojekt ihres Architekten gewesen sind. Charmant ist anders.
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Brutale Kultur
Ein Stadtteil, der mir wirklich gefällt, ist Muizenberg, den ich an meinem zweiten Kapstadt-Tag besuche. Hier mischen sich die unterschiedlichen Hautfarben am Strand und in den Straßen, ebenso wie die Gehälter. Die Bauwerke sind oft ein bisschen runtergekommen, aber authentisch. Zumindest fühlt es sich hier so an und ich mich wohl. Bis ich die nächste Schreckensgeschichte höre. Sie handelt von Bandenkriminalität und Lynchjustiz. Brutale Ganggeschichten gehören in Kapstadt zur Tagesordnung.
Rund 130 verschiedene Gangs gibt es laut dem „Handelsblatt“ in der Stadt, mit mehr als 100.000 Mitgliedern. Betrachtet man die Mordrate – 66,36 Tötungsdelikte pro 100.000 Einwohner –, landet Kapstadt aktuell auf Platz 11 der gefährlichsten Städte der Welt. Allein in den ersten vier Monaten dieses Jahres wurden 1280 Menschen ermordet, berichtet die südafrikanische „The Times“ unter Berufung auf Zahlen der zuständigen Gerichtsmedizin. Mehr als die Hälfte wurden erschossen. Davon bekommen Touristen und die wohlhabendere Oberschicht vielleicht nicht so viel mit, besonders in den Townships sei die Lage jedoch gravierend – und laut verschiedenen Medien so schlimm wie noch nie zuvor.
Die Schreckensgeschichten, die erzählt werden, lassen meine ursprünglich positive Einstellung zu Kapstadt bröckeln. Kultur hin oder her. Warnungen und grauenvolle Geschichten vermischen sich für mich mit überall präsenten Zäunen und unfairer Reichtumsverteilung zu einem unschönen Bild einer Stadt, die mir viel zu viel gefeiert wird.
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Es ist nicht alles schlecht
Trotzdem möchte ich hier nochmal klarstellen: Wie ein Ort wahrgenommen wird, hängt von der eigenen Stimmung und Einstellung ab. Und ich gebe ehrlich zu, dass ich mich auf dieser Reise habe beeinflussen lassen und mich teils schwer getan habe, positiv zu bleiben. Ob ich nochmal nach Kapstadt fahren werde, weiß ich nicht. Aber gänzlich schlecht ist die Stadt selbstverständlich nicht. Nicht ohne Grund schwärmen viele Reisende von der beeindruckenden Natur und den schönen Stränden. Die gibt es und die lohnen sich. Mit den brutalen Realitäten kann man sich eben arrangieren. Oder nicht.