
11. Juni 2025, 11:27 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
An wenigen Orten im Harz zeigt sich die Natur noch so wild und unberührt wie im Okertal. Wanderer und Naturfreunde finden hier nicht nur anspruchsvolle Strecken und viel Einsamkeit, sondern auch zahlreiche geschichtsträchtige und teils auch skurrile Orte. Doch Vorsicht, eine Tour hier verheißt nicht nur Entschleunigung, sondern kann mitunter richtig gefährlich werden. TRAVELBOOK-Autor Robin Hartmann war für Sie mehrere Tage in der Gegend unterwegs und verrät, was es zu sehen gibt.
Die Sonne lacht vom Himmel, es ist frühlingshaft warm, und meine Wanderschuhe haben mich soeben an einen der schönsten Orte im Harz getragen. Um mich herum ragen hunderte Meter hoch die steilen Felswände des Okertal in den Himmel. Formationen, wie man sie aus der Sächsischen Schweiz kennt, zieren wie Burgzinnen die bewaldeten Hänge, versprechen eine spektakuläre Aussicht nach einem schweißtreibenden Aufstieg. Am blauen Himmel wahre Wolkengebirge, groß wie Kontinente, schwer über dem Tal hängend wie frisch aufgeschüttelte Daunen-Bettwäsche. Und ich, Zeuge all dieser Pracht, sitze mitten in einem rauschenden Flussbett.
Übersicht
Nicht direkt im Wasser zum Glück, denn die Oker ist an dieser Stelle quasi noch ein ziemlich reißender Gebirgsfluss. Mein Rastplatz trägt den schönen Namen Verlobungsinsel, ein steinernes Eiland im Fluss mit Picknickbänken und einer Panorama-Aussicht. Die Neugier hat mich hierhergeführt, denn ich bin im Harz innerhalb einiger Jahre schon weit herumgekommen – das Okertal war für mich bis dato aber immer eine große Unbekannte. Das liegt daran, dass ich meist im Ostharz wandere, das ursprüngliche Naturjuwel aber im Westen des sich über drei Bundesländer erstreckenden Harz in der Nähe der Stadt Goslar liegt. Mein Einstand hier hätte schöner nicht sein können.
Gefahr durch Hochwasser

Ich tauche meine Füße in das eiskalte Wasser der Oker, fülle meine Trinkflasche auf, beobachte andere Wanderer. Diese staksen, zum Teil barfuß, durch die zahlreichen Ströme des Flusses. Und sind sich wahrscheinlich nicht bewusst, dass dieser so romantisch anmutende Ort lebensgefährlich sein kann. Denn ganz in der Nähe liegt der mächtige Okerstausee, aus dem immer wieder zur Stromgewinnung kontrolliert Wasser abgelassen wird. Passiert das, kann der Pegelstand im Fluss innerhalb von Sekunden stark ansteigen und zu einer potenziell tödlichen Gefahr werden. Schilder weisen daher auch überall darauf hin, dass das Waten oder gar Baden im Fluss im eigenen Interesse verboten ist.
Mich zieht es, auf einem schmalen Waldweg leicht oberhalb des Flusses, zu einem der wohl skurrilsten Orte im Okertal. Dem selbst ernannten Königreich Romkerhall, das eigentlich wenig mehr ist als eine 1863 erbaute Gaststätte. Dieses hat aber nicht nur eine „offizielle“ Regentin, sondern mit dem Königsthaler sogar eine eigene Währung, und geht tatsächlich zurück auf einen echten Royal. Nämlich auf den ehemaligen britischen König Georg V., der seinerseits mit einer deutschen Prinzessin verheiratet war. Er nutzte, obwohl fast blind, die Gegend um Romkerhall in den 1860er-Jahren als Jagdrevier. Später unterstellte er das Gebiet der Krone von Hannover und erklärte es als gemeindefrei. Da dieser Zustand bis heute währt, verfiel man schließlich vor Ort auf eine raffinierte Werbe-Idee.
Auch interessant: Das Bodetal: Die spektakuläre Schlucht im Harz
Das „kleinste Königreich der Welt“

So erklärte sich Romkerhall im Okertal im Jahr 1988 nämlich selbst zum „kleinsten Königreich der Welt“. Und wer den Hotelgasthof betritt, dem begegnet fast schon überladen wirkender Prunk auf Schritt und Tritt. Gemeinsam mit der nahe gelegenen Verlobungsinsel ist der Ort heute eine beliebte Hochzeits-Location. Auf Wunsch kann man sich auch mit der Staatskarosse, einem echten Rolls-Royce, zum Standesamt kutschieren lassen. Beliebt sind auch Bankette und öffentliche Empfänge, bei denen man sich zum Ritter schlagen lassen kann. Wer noch mehr zu dem Ort wissen möchte, kann sich auch auf der offiziellen Website informieren. Heute ein Gasthaus und Hotel, war das auch von außen imposante Gebäude früher das Jagdschloss von King Georg V.
Und diesem ist auch eine andere Attraktion ganz in der Nähe zu verdanken, nämlich der höchste Wasserfall im gesamten Harz. Die Kaskade, gespeist aus dem Gebirgsbach Kleine Romke, ließ der Royal nämlich 1862 künstlich anlegen. Seitdem stürzt er sich über einen Steilhang 64 Meter in die Tiefe und ist auch im Winter bei Eiskletterern beliebt. Überhaupt kommen Freunde des vertikalen Nervenkitzels zu jeder Jahreszeit an den archaischen Gesteinsformationen des Okertal, dass sich bereits vor 350 Millionen Jahren zu bilden begann, auf ihre Kosten. Wer einen steilen Aufstieg vom „Königreich Romkerhall“ nicht scheut, kann gleich mehrere von ihnen erwandern. So hat man sowohl von der Feigenbaumklippe als auch dem Treppenstein eine unglaubliche Sicht auf das weite, viel flachere Umland. Einmal auf dem Hochplateau angekommen, sind mehrere dieser Felsen bei einer Rundwanderung bequem zu erreichen.
Auch interessant: Warum Treseburg im Harz mein persönlicher Kraftort ist
Das Harz-Atlantis

Dem Flussverlauf folgend, ist es von hier nicht mehr weit bis zur Okertal-Sperre, einem der mächtigsten Stauseen im gesamten Harz. Bis zu 47,4 Millionen Kubikmeter Wasser kann sie stauen, hat eine Mauerhöhe von bis zu 67 Metern und eine Länge vom 250 Metern. Laut der „Harzwasserwerke“ erzeugt sie jährlich 12,5 Millionen Kilowattstunden Strom. Der bei dem von 1956 bis 1957 errichteten Bau entstandene See ist so groß, dass sogar Ausflugsschiffe darauf verkehren. An seinen Ufern liegt mit Schulenberg ein Ort mit einer dunklen Vergangenheit. Denn bei dem Nest handelt es sich um das „neue“ Schulenberg. Die alte Ortschaft versank nach der Fertigstellung der Okertal-Sperre in den Fluten des Wassers und ist heute ein beliebtes Revier für Taucher. Sinkt der Pegel in dem Stausee, tauchen immer mal wieder Reste des Harz-Atlantis auf.
Die Oker führt Wanderer schließlich auch nach Altenau, einen der schönsten Orte im Westharz. Anders als in anderen Lagen, wo ganze Landstriche verwaist erscheinen, ist Altenau fast so etwas wie eine kleine Boomtown, hat sich mit auf den modernen Tourismus zugeschnittenen Angeboten einen gewissen Status erarbeitet. Das liegt unter anderem an der Kristall-Therme „Heißer Brocken“, in der man in mehreren Becken mit warmem, heilsamem Sole-Wasser baden kann. Die verschiedenen Saunen ergänzen das Angebot, und so kann man hier schon einmal ein paar entspannte Stunden oder auch einen ganzen Tag verbringen. Ich jedenfalls wünschte mir am Ende, ich hätte länger gebucht.
Auch interessant: Das Geheimnis der Teufelsmauer im Harz

Die besten Tipps für eine Wandertour durch den Harz

Winter im Harz – Aktivurlaub im Winterwunderland

Brockengarten im Harz – hier blühen Bergpflanzen aus aller Welt
Ein echter Weltrekord-Halter
An warmen Tagen wartet auch ein Waldschwimmbad auf Besucher. Wer aktiv sein möchte, kann sich unter anderem auf der Disc Golf-Anlage versuchen. Nicht zuletzt bietet Altenau an den Ausläufern des Okertal auch einen echten Superlativ, denn man beherbergt hier den größten Botanischen Garten für Kräuter auf der ganzen Welt. Sehr gut essen kann man zwischendurch im Imbiss Zur Rast oder im italienisch angehauchten Hotel-Restaurant Parkhaus mit Blick auf einen schönen Brunnen. Nicht zuletzt ist Altenau auch geschichtsträchtig, denn Dichterfürst Goethe startete 1777 von hier aus seine Erstbesteigung des Brockens, dem mit 1142 Metern höchsten Berg im gesamten Harz.
Dementsprechend führt denn auch ein nach Goethe benannter Wanderweg zum nächsten Natur-Highlight, nämlich dem nahen Nationalpark Harz. Auch der Harzer Hexen-Stieg, der wohl spektakulärste Fernwanderweg in der Region überhaupt, passiert Altenau. Auf der nahen Wolfswarte kann man sich hier zum Abschluss noch einen der beeindruckendsten Ausblicke der Gegend auf einer Höhe von 918 Metern genießen. Hierbei handelt es sich um einen sogenannten Bruchberg, der zum Teil anmutet wie eine riesige Geröll-Halde. Und während der Blick schweift, kommen all die Erlebnisse im Okertal und seiner unmittelbaren Umgebung in Gedanken wieder zurück. So viel ist jetzt schon klar: Es ist nur ein Abschied auf Zeit.