9. Oktober 2019, 10:31 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Bislang durften Tschernobyl-Touristen nur aus sicherer Entfernung einen Blick auf den 1986 havarierten Reaktor 4 werfen. Nun hat die Ukraine den berüchtigten Kontrollraum des Unglücksreaktors für Besucher geöffnet. Wie gefährlich ist das?
Mutige können in Tschernobyl jetzt den zerstörten, radioaktiv verseuchten Kontrollraum des Reaktors 4 betreten. In jenem Raum wurde in den frühen Morgenstunden des 26. April 1986 bei einem Test die schlimmste Nuklearkatastrophe der Geschichte ausgelöst. Die Zahl der unmittelbaren Todesopfer durch die Reaktorexplosion betrug unterschiedlichen Quellen zufolge 31. Darüber hinaus erlitten nach dem Unfall Tausende Menschen strahlenbedingte Krankheiten wie u. a. Krebs.Wie viele Menschen am Ende wirklich aufgrund der Katastrophe starben, darüber streiten Forscher noch immer. Bis zu 1,4 Millionen Menschen könnten es sogar gewesen sein.
Mittlerweile, mehr als 30 Jahre nach der Explosion, werden bereits Touristen über das Gelände des Reaktor geführt. Und jetzt wurde ganz neu auch der Kontrollraum für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Betreten nur mit Schutzanzug erlaubt
Wer sich in den radioaktiv kontaminierten Kontrollraum des Reaktors 4 wagt, muss aus Sicherheitsgründen in der auf maximal fünf Minuten begrenzten Besuchszeit einen Schutzanzug, einen Helm und eine Atemmaske tragen, wie „CNN travel“ berichtet. Nach der Tour werden die Besucher zwei radioaktiven Tests unterzogen.
Nach Informationen der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) in Köln betrug die sogenannte Ortsdosisleistung für radioaktive Strahlung in dem Kontrollraum im Jahr 1999 fünf bis 20 Mikrosievert pro Stunde. „Geht man von diesem Wert aus, würde man bei einer Besuchszeit von circa fünf Minuten eine Strahlendosis von durchschnittlich rund 1,6 Mikrosievert beziehungsweise 0,0016 Millisievert abbekommen“, sagt GRS-Sprecher Sven Dokter auf Nachfrage von TRAVELBOOK. Da die Strahlung aufgrund des natürlichen Zerfalls radioaktiver Stoffe heute wahrscheinlich geringer sei, könne der Wert auch niedriger sein. Zum Vergleich: Die Strahlendosis bei einer Zahn-Röntgenaufnahme beträgt etwa 0,01 Millisievert und ist damit um einiges höher.
Im Gegensatz zu Röntgenaufnahmen, nach deren Beendigung das Gerät ausgeschaltet wird und keine Strahlung mehr abgibt, besteht beispielsweise bei einem Besuch von Tschernobyl die Gefahr, mit radioaktiven Stoffen in Kontakt zu kommen und die Kontamination an andere Orte zu verschleppen. „Damit das nicht passiert, ist beim Besuch des Kontrollraums das Tragen von Schutzkleidung unbedingt nötig. Wenn sichergestellt ist, dass keine radioaktiven Stoffe aufgenommen werden, ist der Besuch des Raums unbedenklich“, sagt Dokter.
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Touristische Highlights in Tschernobyl
Der Kontrollraum und die über dem Reaktor errichtete Schutzhülle (New Safe Confinement) sind aber nur zwei der touristischen Höhepunkte, die Besucher auf den von örtlichen Veranstaltern angebotenen Touren durch die radioaktiv verseuchte Sperrzone von Tschernobyl zu Gesicht bekommen. Des Weiteren werden auf den Touren die nahe gelegene Geisterstadt Prypjat mit ihren verwaisten Wohnblöcken und den rostigen Überresten des einstigen Vergnügungsparks besichtigt und manchmal auch Teile des sogenannten „Roten Waldes“, in dem 33 Jahre nach der Nuklearkatastrophe wieder Leben eingezogen ist. Im „Roten Wald“ sind heute rund 200 Vogelarten, Wölfe, Przewalski-Pferde und andere Tiere heimisch.
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Obwohl der Geigerzähler noch immer tickt, hat sich Tschernobyl in den vergangenen Jahren zu einem beliebten Reise- und Ausflugsziel entwickelt. 2018 sollen nach Schätzungen mehr als 70.000 Touristen das Sperrgebiet in der Ukraine besucht haben. In diesem Jahr sind es bereits mehr als 87.000, wie „The Telegraph“ berichtet. Der diesjährige Besucheransturm dürfte vor allem auf die von Sky ausgestrahlte US-amerikanische Erfolgsserie „Chernobyl“ zurückzuführen sein.