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34 Jahre nach der Reaktorkatastrophe

Wie sicher ist Tschernobyl für Touristen?

Riesenrad Prypjat, Tschernobyl
Das verrostete Riesenrad in Prypjat. Die Geisterstadt zählt zu den Haupt-Touristenattraktionen in der Sperrzone von Tschernobyl. Foto: Getty Images
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TRAVELBOOK Redaktion

12.05.2020, 13:21 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten

Obwohl der Geigerzähler noch immer tickt, hat sich Tschernobyl in den vergangenen Jahren zu einem beliebten Reiseziel entwickelt. 2018 sollen nach Schätzungen 70.000 Touristen das radioaktiv kontaminierte Sperrgebiet in der Ukraine besucht haben. 2ß19 gab es noch einmal einen Buchungsanstieg von 30 bis 40 Prozent, unter anderem dank US-amerikanische Erfolgsserie „Chernobyl“ sein. Doch wie sicher ist eine Reise ins Sperrgebiet heute, Jahrzehnte nach der Reaktorkatastrophe, eigentlich? TRAVELBOOK hat bei Experten nachgehakt.

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Verlassene Häuser, Schulen und Kindergärten, ein Schwimmbad, in dem seit Jahrzehnten niemand geschwommen ist, ein Vergnügungspark mit einem verrosteten Riesenrad – trotz der morbiden Kulisse lockt die Geisterstadt Prypjat im Sperrgebiet von Tschernobyl zunehmend mehr Besucher an. Bis zum Reaktorunglück am 26. April 1986 und der anschließenden Evakuierung lebten in Prypjat rund 50.000 Menschen. Die Stadt war eigens für die Arbeiter im vier Kilometer entfernten Atomkraftwerk Tschernobyl gebaut worden.

Die Sperrzone von Tschernobyl

Der erste Super-Gau, die Explosion des Reaktors 4 im Kernkraftwerk Tschernobyl am 26. April 1986, hatte verheerende Auswirkungen. In der Ukraine, in Weißrussland und in Russland wurde ein Gebiet mit einer Fläche von insgesamt 150.000 Quadratkilometern radioaktiv verseucht. 330.000 Menschen mussten in Sicherheit gebracht werden. Noch im gleichen Jahr richtete man um den havarierten Reaktor eine Sperrzone mit einem Radius von 30 Kilometern ein.

34 Jahre nach der Nuklearkatastrophe zählen die Geisterstadt Prypjat und der so genannte New Safe Confinement, die neue Schutzhülle über dem alten Sarkophag, zu den Haupt-Touristenattraktionen in der Sperrzone von Tschernobyl. Besichtigt werden darf das nach wie vor radioaktiv kontaminierte Gebiet nur im Rahmen offizieller, geführter Touren. Doch wie gefährlich ist ein Besuch der Sperrzone von Tschernobyl?

Sarkophag Tschernobyl
Die Schutzhülle über der Reaktor-Ruine ist einer der Touristenmagneten in der Sperrzone von Tschernobyl Foto: Getty Images

Strahlungsdosis und Vorsichtsmaßnahmen

„Eine organisierte, offiziell genehmigte Tour ist gesundheitlich unbedenklich“, versichert Sven Dokter, Sprecher der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) in Köln, auf Nachfrage von TRAVELBOOK. Die Teilnehmer bekämen nach Angaben aus der Ukraine eine Strahlendosis von allenfalls bis zu 0,004 Millisievert ab. „Das liegt immer noch deutlich unter der Dosis, die man durch einen Flug von Frankfurt nach Kiew erhält“, erläutert Dokter und nennt ein weiteres Beispiel: „Wenn beispielsweise vor dem ehemaligen Kulturzentrum in Prypjat rund 1000 Nanosievert gemessen werden, müsste man sich dort 1000 Stunden aufhalten, um eine Strahlendosis von einem Millisievert zu erhalten. Das entspricht dem deutschen Grenzwert für die zusätzliche Dosis, die ein einzelner Mensch pro Jahr durch die Nutzung von Strahlung etwa in Industrie oder Forschung erhalten darf.“ Daher stelle auch ein mehrtägiger Aufenthalt in der Sperrzone von Tschernobyl grundsätzlich keine gesundheitliche Gefahr dar.

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„Typischerweise liegt in der Sperrzone die sogenannte Ortsdosis, d.h. die Strahlenbelastung an einem bestimmten Ort, bei 0,002 bis 0,05 Millisievert pro Stunde“, sagt Heuel-Fabianek auf Nachfrage von TRAVELBOOK. Dies hätten Messungen des Deutschen Bundesamtes für Strahlenschutz und von ukrainischen Spezialisten im Jahr 2016 ergeben. Jedoch seien vereinzelt auch höhere Werte bis zu 0,2 Millisievert pro Stunde gemessen worden. „Orte mit solch hohen Werten müssen bei geführten Touren mit Touristen unbedingt gemieden werden“, warnt Heuel-Fabianek.

Besucher sollten sich grundsätzlich an die Anweisungen und Regeln zum Aufenthalt in der Sperrzone zu halten. „An Checkpunkten in der Sperrzone wird mehrmals vorsorglich geprüft, ob sich an der Bekleidung oder den Schuhen der Besucher radioaktive Partikel befinden. Souvenirjäger sei dringend davon abgeraten, Gegenstände, Steine oder andere ‚Fundstücke‘ mitzunehmen“, sagt Heuel-Fabianek. Die Belastung durch die Reaktorkatastrophe habe zwar abgenommen, dennoch sei die Sperrzone kein Ort, an dem man sich ohne Vorsichtsmaßnahmen und ohne fachkundige Begleitung aufhalten sollte. Tagestouren in die Sperrzone von Tschernobyl starten in der Regel mit dem Bus in Kiew und kosten rund 100 US Dollar.

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Braunbären und Wölfe im „Roten Wald“

Bei vielen Tschernobyl-Touren steht neben der Stadt Prypjat und dem New Safe Confinement auch ein Besuch des so genannten „Roten Waldes“ auf dem Programm. Der Kiefernwald in der Nähe des havarierten Reaktors wurde durch die Katastrophe besonders hart getroffen. Aufgrund der hohen Strahlendosis starben nicht nur die Bäume ab, sondern verendeten auch die meisten Tiere. Inzwischen hat sich die Fauna im „Roten Wald“ wieder erholt. Unter anderem leben hier Braunbären, Bisons, Wölfe, Luchse, Przewalski-Pferde und mehr als 200 Vogelarten.

Przewalski-Pferde, Tschernobyl
Przewalski-Pferde in der Sperrzone von Tschernobyl Foto: Getty Images
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Warum überhaupt nach Tschernobyl reisen?

Tschernobyl zählt sicher nicht zu den klassischen Reisezielen aus dem Hochglanz-Prospekt. Dennoch reisen Jahr für Jahr Zehntausende ins Sperrgebiet – und das aus unterschiedlichen Gründen. „Sicherlich hat es für viele Besucher einen ‚Gruselfaktor‘. Andere hingegen wollen gern einfach mal ein ‚etwas anderes‘ Ziel besuchen“, sagt Ornella Carlone vom Reiseportal Urlaubspiraten auf Nachfrage von TRAVELBOOK.

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Für manche spiele es auch eine Rolle, den Besuch dieses außergewöhnlichen Ortes bei Instagram und anderen Social-Media-Kanälen zeigen und mit Freunden und Familie teilen zu können. „Letztlich muss man auch sagen, dass dieser Ort einen beeindruckenden Einblick in die Vergangenheit bietet und somit ein toller und spannender Ort für jeden Fotografen ist. Darüber hinaus sehen wir auch einen wachsenden Trend in Bezug auf Lost und Abandoned Places im Allgemeinen“, so Carlones Einschätzung.

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